Wusste Peking von den Kriegsplänen der Taliban?

Evakuierung aus Afghanistan schon am 2. Juli – warum hat Peking die Lage besser eingeschätzt?

Dieser Gastbeitrag ist der Originaltext zum Video: „Evakuierung aus Afghanistan schon am 2. Juli – warum hat Peking die Lage besser eingeschätzt?“ vom YouTube-Kanal „Leas Einblick“

Vor über einer Woche ist Kabul gefallen. Auf dem internationalen Flughafen der afghanischen Hauptstadt herrscht reines Chaos. Die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und alle anderen NATO-Staaten kämpfen noch um die Evakuierung ihrer Staatsbürger und Ortskräfte. 

Während die meisten anderen Länder Botschaften schließen, bleibt die chinesische Botschaft weiter offen. Peking betrachtet das Versagen des Westens in Afghanistan mit Schadenfreude. 

Die chinesischen Diplomaten in Kabul sind in diesen Tagen relativ entspannt, da sie niemanden aus dem Krisengebiet evakuieren müssen. Wo bleiben die chinesischen Staatsangehörigen in Afghanistan? Die meisten von ihnen sind nämlich schon längst nach China zurückgebracht worden. Die erste Rückführung von 210 in Afghanistan lebenden Chinesen fand schon am 2. Juli statt. Etwa 6 Wochen vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul.

Die Bundesregierung steht derweil wegen der viel zu spät gestarteten Rückführung der deutschen Bürger und ehemaligen Helfer in der Kritik. 

Wer trägt die Verantwortung für die Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan – der Bundesnachrichtendienst oder das Auswärtige Amt? Während die Schuldfrage heftig diskutiert wird, fragt man sich: Haben die Chinesen besseren Zugang zu Informationen in Afghanistan – oder haben sie vielleicht ganz andere Quellen?

Am 2. Juli landete eine chinesische Maschine in der Stadt Wuhan. Bei der Testung am Flughafen wurden 52 Passagiere positiv auf Covid-19 getestet. 22 davon sind bestätigt.

Wuhan ist genau die Stadt, wo Covid-19 Anfang letzten Jahres ausbrach. Mit einem extrem harten Lockdown versuchte Wuhan die Pandemie einzudämmen. Das gesellschaftliche Leben wurde für 76 Tage komplett runtergefahren: Menschen durften ihre Wohnungen nicht verlassen, alle Geschäfte waren zu. Die Metropolstadt Wuhan in Zentralchina verwandelte sich in eine Geisterstadt.

Die Erinnerungen an diese bitteren Erfahrungen sind auch nach einem Jahr immer noch frisch. Nun gibt es auf einmal 22 importierte Fälle. „Wie konnte es dazu kommen?“ „Wer sind diese Passagiere?“ Nachdem die chinesischen Medien über diese importierten Fälle berichtet haben, war die Empörung der chinesischen Netizens laut. Daraufhin erst haben die Behörden bekannt gegeben, dass es sich um eine Maschine gehandelt habe, die aus Kabul gekommen sei. An Bord haben sich 210 chinesische Staatsangehörige befunden. Der Flug sei Teil der Rückführungsaktion aufgrund der gefährlichen Lage in Afghanistan gewesen.

Seit dem Sturz der Taliban-Regierung im Jahr 2001 haben chinesische Unternehmen in großem Umfang in Bergbau und in die Infrastruktur Afghanistans investiert. Viele chinesische Staatsangehörige sind nach Afghanistan gegangen, um an großen Bauprojekten mitzuwirken.

Am 29. April begannen die USA und ihre NATO-Verbündeten ihren Abzug aus Afghanistan. Seitdem sind die Taliban-Kämpfer auf dem Vormarsch, um die Macht wiederzuergreifen.

Bereits im Mai warnte Chinas Außenministerium chinesische Bürger vor Reisen nach Afghanistan. Seit dem 19. Juni wies China seine Bürger an, Afghanistan zu verlassen. 

Ende Juni erinnerten sowohl das chinesische Außenministerium als auch die chinesische Botschaft in Afghanistan chinesische Bürger und Organisationen daran, kommerzielle Flüge und andere Möglichkeiten zu nutzen, um Afghanistan so schnell wie möglich zu verlassen. 

Bis zum 29. Juli hatte China die Rückführungsaktion offiziell abgeschlossen. 

Warum haben die westlichen Nachrichtendienste die Sicherheitslage in Afghanistan falsch eingeschätzt? 

Der ehemalige BND-Mitarbeiter Gerhard Conrad hat im ARD-Fernsehen eine Antwort gegeben.

Conrad meint, Geheimdienste hätten mit vielen Kräften vor Ort sein müssen, was in Afghanistan bekanntermaßen nicht mehr der Fall gewesen sei. Und sie hätten die Bewegungen des Gegners, der Taliban, kennen müssen. Sie hätten auch die Kräfte und die Absichten der Regierungsseite kennen müssen. Beides sei nicht in ausreichendem Umfang der Fall gewesen, vermutet der frühere BND-Mann. 

Diesbezüglich hatte China einen deutlichen Vorteil. Peking pflegt nämlich seit Jahren gute Kontakte zu den Taliban. Zwischen China und den Taliban hat es in den letzten Jahren Dutzende geheimer Treffen gegeben. 

Am 28. Juli trafen sich Chinas Außenminister Wang Yi und Mullah Baradar, der Vorsitzende des Politischen Komitees der Taliban, in der chinesischen Stadt Tianjin. Wang Yi bezeichnete die Taliban als „eine bedeutende militärische und politische Kraft“. Mit diesem offiziellen Treffen hat die chinesische Regierung klar und unmissverständlich ihre Unterstützung für die Taliban ausgesprochen.

Drei Tage später rückten die Taliban verstärkt gegen afghanische Provinzhauptstädte vor und starteten eine groß angelegte Offensive – viel früher als erwartet. Auf diese Situation waren die USA und ihre Verbündeten nicht vorbereitet. 

Dieses Muster trat interessanterweise auch zu Beginn dieses Jahres auf. Am 12. Januar traf sich Chinas Außenminister mit dem birmanischen Militärführer Min Aung Hlaing zusammen. Zwei Wochen später putschte das Militär in Myanmar die demokratisch gewählte Regierung und ergriff die Macht. War das ein Zufall? Die Bürger in Myanmar glauben jedenfalls nicht dran. Sie sind fest davon überzeugt, dass das Militär in Myanmar Unterstützung von China bekommen hat. Sie protestierten gegen die chinesische Regierung in Yangon, indem sie chinesische Nationalflaggen verbrannten. 

Die chinesische Regierung hat die Vorwürfe dementiert. Doch am 11. August haben internationale Medien darüber berichtet, dass das Militär in Myanmar eine finanzielle Hilfe in Höhe von 6 Mio. USD bekommen hat.

Gibt es vielleicht doch eine Parallele zwischen den beiden Fällen? 

Wenn China über die Absichten der Taliban im Vorfeld keine Kenntnis gehabt hätte, wie konnten die chinesischen Diplomaten dann so entspannt bleiben, während viele westliche Länder darum fürchten, dass sie es nicht schaffen, bis zum 31. August alle ihre Staatsbürger und Ortskräfte aus Afghanistan zu evakuieren? Es gibt genug Grund für den Verdacht, dass die Taliban ihre Kriegspläne mit Peking abgestimmt haben. 

China geht zurzeit auf Schmusekurs mit den Taliban. Warum fordert Peking seine Bürger auf, Afghanistan so schnell wie möglich zu verlassen, wenn die USA ihre Truppen abziehen? Der Grund, den chinesische Beamte anführen, ist einfach: Sie seien besorgt über die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan.

Als Nachbarland von Afghanistan hat China 20 Jahre lang von dem militärischen Einsatz der NATO in Afghanistan profitiert. Denn die USA und ihre Verbündeten haben über 20 Jahre lang in Afghanistan mit viel Mühe für relativ stabile Verhältnisse gesorgt.

Für China waren die Soldaten der USA und ihrer Verbündeten die besten Wächter für Chinas Interesse in der Region. Peking musste diesen Schutzdienst nicht mal bezahlen. Mit dem Truppenabzug der USA ist das alles nun vorbei. 

Vor diesem Hintergrund kann man den Zorn von Chinas Außenminister Wang Yi gegenüber den USA noch besser verstehen.

In seiner Rede auf dem Weltfriedensforum in Peking am 02. Juli sagte Wang Yi in Bezug auf den Truppenabzug der USADie USA „sollten nicht einfach die Last auf andere abwälzen und sich aus dem Land zurückziehen, ohne sich um das Chaos zu kümmern, das dort herrscht. Der Rückzug darf nicht zu Chaos und Krieg führen.“

Wang Yi sprach also von „Last“, „Chaos“ und „Krieg“. Als Chinas Topdiplomat ist ihm klar, dass wenn sich die Amerikaner nicht mehr um die Sicherheitslage in Afghanistan kümmern, diese heiße Kartoffel in Pekings Hand landen würde. Egal ob sich die Parteiführung in Peking um die Sicherheitslage in Afghanistan kümmern will oder nicht, bleibt ihr sowieso keine andere Wahl.  

Obwohl Peking die Bereitschaft gezeigt hat, mit den Taliban eine politische Allianz einzugehen, fühlt sich China gegenüber den Taliban doch nicht ganz so sicher. 

Ein Personalwechsel auf der höchsten militärischen Ebene im uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang zeigt, dass Peking Angst davor hat, dass mögliche Konflikte in Afghanistan auf chinesisches Territorium überschwappen könnten.

Dieser Personalwechsel war so geheim, dass die Außenwelt erst am 05. August durch eine Kurzmeldung über eine Veranstaltung davon erfahren hat: General Wang Haijiang ist nun Oberbefehlshaber der örtlichen Einheiten der chinesischen Armee in Xinjiang. Er gilt als erfahrener Spezialist in schwierigen Regionen. Zuvor war er Kommandeur in Tibet.

Vor vielen Jahren berichteten die Medien oft über tibetische Mönche, die sich aus Protest gegen die Unterdrückung selbst verbrannten. In den letzten Jahren scheint Tibet im Vergleich zu Xinjiang besonders ruhig zu sein. 

Vor einem Monat reiste Chinas Staatschef Xi Jinping sogar zum ersten Mal in seiner Amtszeit nach Tibet und ließ sich von den tibetischen Mönchen feiern.

Nun soll General Wang Haijiang seine Erfahrungen, die er in Tibet gesammelt hat, in dem unruhigen Gebiet Xinjiang einsetzen.

Xinjiang ist durch den schmalen Wakhan-Korridor mit Afghanistan verbunden. Die Grenze zwischen den beiden Ländern ist kurz – nur 76 Kilometer. China befürchtet, dass der Wakhan-Korridor von Terroristen genutzt werden könnte, um nach Xinjiang zu gelangen. 

Am 6. August verkündeten die Taliban, das Grenzgebiet zu China unter ihre Kontrolle gebracht zu haben.

Ob sich die Taliban letztendlich an die Abmachung halten werden, bleibt eine offene Frage für Peking. 



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