Der Fall Wang Lijun – Einblicke in chinesische Innenpolitik

Titelbild
Wang Lijun, Polizeichef von Chongqing, muss sich beim Nationalkongress vor Journalisten rechtfertigen.Foto: Getty Images
Von 10. März 2012

Der Fall Wang Lijun ermöglicht einen seltenen Einblick in die Abgründe chinesischer Innenpolitik. Machtverlust wird auch zum Verlust von Lob und Anerkennung.

Als Polizeipräsident von Chongqing wusste Wang Lijun sehr gut, dass es für ihn jetzt um Leben und Tod geht. Im Gegensatz zu anderen Verlierern im internen Machtkampf der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) – die unerwartet mit Bergen von Beweismaterial konfrontiert – Korruption und Machtmissbrauch eingestehen mussten oder Selbstmord begingen, flüchtete Wang Lijun ins amerikanische Konsulat und plauderte dort die dunklen Geheimnisse der KPCh aus. Die chinesische Regierung versuchte wie üblich, zunächst diese blamable Tatsache zu vertuschen. Diese Methode funktionierte diesmal jedoch wegen der Beteiligung der Amerikaner nicht. Danach behauptete die Regierung, dass das Problem erledigt sei, obwohl sich die Situation verschlimmert hatte.

Die zwei feindseligen Gruppen innerhalb der KPCh

Es gibt viele Interessengruppen innerhalb der kommunistischen Partei Chinas, die sich zu zwei großen Lagern zusammenfassen lassen. Eine davon ist die Gruppe der jetzigen Regierung, deren Anführer Staatspräsident Hu Jintao ist. Die andere Gruppe steht unter der Kontrolle von Jiang Zemin, seinem Vorgänger. Zu dieser zweiten Gruppe gehören viele KPCh-Kader aus der Zeit von Mao Zedong und ihre Familienangehörigen. Sie wird oft als „die Kronprinzen-Partei“ bezeichnet. Bo Xilai gilt als eine der wichtigsten Personen in dieser Gruppe und Wang Lijun war seine rechte Hand.

Am Anfang waren die Anzeichen für einen großen Konflikt kaum erkennbar

02. Februar: Das Informationsbüro der Stadt Chongqing veröffentlichte die Entscheidung, dass Wang Lijun anstelle des Polizeipräsidiums zukünftig Verantwortung für das Erziehungswesen übernehmen wird.

Erklärung: Beide Ämter sind vom politischen Rang her gleich, jedoch bedeutet die Versetzung in ein Ressort mit kaum realer Macht ein politisches Abstellgleis, das ein Ende der Karriere von Wang Lijun erahnen lässt.

03. Februar: Die offizielle Erklärung zur Versetzung von Wang Lijun verlautete, dass es eine ganz normale Personalversetzung sei und gleichzeitig wurde Wang Lijun hoch gelobt.

05. Februar: Wang Lijun besuchte die Pädagogische Universität von Chongqing und äußerte dort, die neue Stelle sei für ihn „eine gute Chance, etwas Neues zu lernen“.

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Wang Lijun flüchtet ins amerikanische Konsulat

06. Februar: Wang Lijun betrat als Frau verkleidet gegen 22:00 Uhr heimlich das amerikanische Konsulat in Chengdu. Eine Woche später veröffentlichte Bill Gertz einen Artikel in der Washington Free Beacon mit dem Titel „House Probes Botched Defection in China“ und erläuterte Details über den Aufenthalt von Wang Lijun im amerikanischen Konsulat.

Während seines Aufenthalts soll Wang Lijun mit General-Konsul Peter Haymond über die Korruption von Bo Xilai, die Zusammenarbeit von Bo Xilai mit der Mafia sowie die Unterdrückung von Andersdenkenden durch die chinesische Polizei ausgesagt haben.  Danach soll  Haymond Botschafter Gary Locke in Peking informiert haben. Daraufhin habe Locke sich mit hochrangigen chinesischen Beamten in Verbindung gesetzt und diese hätten angeboten, Offiziere des Ministerium für nationale Sicherheit zu schicken, um Wang Lijun nach Peking zu begleiten. Es wurde berichtet, diese Offiziere hätten am nächsten Tag das amerikanische Konsulat mit Wang Lijun verlassen und es hätte heftige Diskussion zwischen ihnen und hochrangigen Beamten aus Chongqing gegeben, die vor dem Konsulat warteten. Zum Schluss wäre Wang Lijun mit den Offizieren des nationalen Sicherheitsministeriums nach Peking gegangen.

Erklärung: Das Ministerium der nationalen Sicherheit steht unter der Kontrolle von Staatspräsident Hu Jintao. Wang Lijun ist zum amerikanischen Konsulat gegangen, um Informationen über Bo Xilai zu hinterlegen. Dadurch vollzog er den Wechsel auf die Seite von Hu Jintao und will auf keinen Fall in die Hand der „Kronprinzen-Partei“ fallen.

Locke hat nur hochrangige Beamte aus Peking über den Fall informiert, woher wussten dann die Beamten aus Chongqing Bescheid? Einige sind der Meinung, dass Zhou Yongkang, ein Mitglied des ständigen Ausschusses des Politbüros der KPCh und Sekretär der Zentralkomitee-Kommission für Politik und Recht, diese Information verraten hat.

Bo Xilai hat in der Stadt Chongqing mit großem Eifer und Brutalität Falun Gong-Praktizierende verfolgt. Durch diese Schandtat zeigt er seine Loyalität zu Jiang Zemin. Manche meinen, dass der sogenannte „Kampf gegen die Mafia“, den Bo Xilai in Chongqing geführt hat, eigentlich dazu diente, Hu Jintao Schwierigkeiten zu bereiten und die Macht für die „Kronprinzen-Partei“ in dieser Region zu sichern. Zhou Yongkang sah Bo Xilai als besten Kandidaten für seine eigene Nachfolge und wollte ihn schützen.

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Die interne Spannung wird heruntergespielt

07. Februar: Die ungewöhnlichen Spannungen in der Nähe des amerikanischen Konsulats erregten Aufmerksamkeit. In Mikroblogs aus Festlandchina wurde über viele Soldaten, die die Straßen in der Nähe des Konsulats blockierten, berichtet.

08. Februar: Zhou Yongkang kam in Chongqing an. Am Vormittag berichtete das Informationsbüro der Stadtregierung von Chongqing:  „Wang Lijun ist aufgrund langer harter Arbeit psychisch extrem angeschlagen und fühlt sich körperlich sehr unwohl. Zurzeit nimmt er Urlaub, um sich zu regenerieren.“

09. Februar: Ein Sprecher des U.S. Department of State gab an, dass sich Wang Lijun am 06. Februar im Konsulat mit amerikanischen Beamten getroffen habe und das Konsulat danach freiwillig wieder verlassen habe.

Am selben Tag bestätigte Cui Tiankai, der Vize-Außenminister von China, dass Wang Lijun zum amerikanischen Konsulat gegangen sei und betonte, dass es sich um einen Einzelfall handele. Außerdem äußerte er, dass das Problem bereits erledigt sei.

Indizien zeigen eine Verschärfung des internen Konflikts

10. Februar: Viele Zeitungen berichten über den Besuch von Bo Xilai in der Provinz Yunnan. Laut unbestätigten Informationen wünschte Bo Xilai unerwartet die 14. Militärgruppe der Provinz Yunnan zu besuchen, in der Kameraden seines Vaters das Kommando haben.

11. Februar: Bo Xilai traf Stephen Harper, den Kanzler von Kanada, in Chongqing.

12. Februar: Die Medien in Chongqing veröffentlichten ein Foto von Stephen Harper ohne Bo Xilai. Erst am nächsten Tag veröffentlichte die Chongqing Daily einen weiteren Artikel über das Treffen mit einem Foto, auf dem Bo Xilai und Stephen Harper die Hände schüttelten.

Am selben Tag wurde bekannt gemacht, dass Guan Haixiang, dem Direktor des Jiangjin-Distriktes der Stadt Chongqing eine neue Aufgabe zugeteilt wird.

Erklärung: In China hängen die Berichte der Medien oft eng mit politischen Hintergründen zusammen. Die Tatsache, dass der Bericht über ein Treffen zwei Mal erscheint, zeigt den Machtkampf zwischen Bo Xilai und Hu Jintao. Der nachträgliche Bericht mit dem Foto von Bo Xilai kann auf seinen Einfluss in Chongqing zurückgeführt werden.

Die angekündigte Versetzung von Guan Haixiang bedeutet einen Punktsieg für Hu Jintao, zu dessen Gruppe er gehört. Die Ankündigung kann als Signal verstanden werden, dass er der neue Polizeipräsident sein wird. Manche sehen darin ein Zeichen dafür, dass der Kampf zwischen Hu Jintao und Bo Xilai an Intensität zunimmt.

13. Februar: Die zentrale Zeitung der KPCh veröffentlichte einen Artikel, in dem die Loyalität von Beamten der Regionalregierung in Frage gestellt wurde. Es wurden Beamte kritisiert, die sich nur für den Ausbau ihrer eigenen Macht interessieren und die Bedürfnisse des Volkes ignorieren.



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