Florian Norbu Gyanatshang im Gespräch: Kontrolle über Tibet verstärkt

”Free Tibet“ und „Tibet is not a part of China”, das hat er gerufen am 20. August in Peking in der Nähe des Olympiastadions, genannt das Vogelnest. Florian Norbu Gyanatshang, ein Deutsch-Tibeter, geboren in Deutschland, 30 Jahre alt, stammt aus Stuttgart. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater ist Tibeter.
Titelbild
(ETD)
Von 31. August 2008

Mit Jeremy Wells und John Watterberg aus den USA entfaltete er die tibetische Fahne. Sie hoben die Fäuste in Erinnerung an die beiden schwarzen Athleten, die bei den Olympischen Spielen in Mexiko 1968 ihre Fäuste erhoben haben, um für die Menschenrechte der Schwarzen in den USA zu protestieren. In Sekundenschnelle wurden sie festgenommen und abtransportiert.

Die verhängte Strafe von 10 Tagen Gefängnis mussten sie nicht absitzen, nach vier Tagen wurden sie abgeschoben.

Epoch Times sprach mit Florian Norbu Gyanatshang nachdem der erste Medienansturm sich gelegt hatte.

ETD: Ihr Vater ist Tibeter, hat er auch von dem chinesischen Regime Unterdrückung erfahren? Und wie sind Sie dann so aktiv für Tibet geworden?

Gyanatshang: Ich bin eigentlich schon seit frühester Kindheit dazu angehalten mich über die Lage in Tibet zu informieren. Mir wurde das von meiner Mutter früh nahe gebracht. Mein Vater selber hat nicht viel, oder eigentlich so gut wie gar nicht über die Zeit vor seiner Flucht gesprochen, insofern weiß ich von ihm nicht so viel. Nachdem ich älter geworden bin, ist mir auch immer bewusster geworden, wie wichtig es ist, dass wir Tibeter uns für Tibet einsetzen, weil es geht nicht, dass wir uns zurücklehnen und zuschauen wie andere die Arbeit für uns machen.

Bei den Aufständen im März haben die Tibeter in Tibet auch ein klares Zeichen gesetzt, dass es eben nicht eine Bewegung ist oder nur von Tibetorganisationen kommt, sondern dass es der Wunsch der Tibeter ist, dass sich etwas an der Situation ändert und dass wir Freiheit und Menschenrechte kriegen. Das war für mich ein entscheidender Punkt, wo ich gesagt habe, ja ich will nach Peking. Ich will dort ein Zeichen setzen.

ETD: Wussten Ihre Eltern schon vorher von ihrer Aktion?

Gyanatshang: Nein. Bevor ich abgereist bin, habe ich nur meine Schwester informiert. Aber sie hat dann am Abend vorher meine Mutter informiert.

Soweit ich das mitgekriegt habe, haben meine Eltern und meine Schwester das sehr gefasst aufgenommen und waren eigentlich sehr stolz auf das, was ich getan habe.

ETD: Ist Ihr Vater Buddhist?

Gyanatshang: Mein Vater ist Buddhist, meine Mutter ist Christin.

Ich möchte noch etwas sagen, es gab jetzt in den Medien Berichte über mich als Person, die nach China gefahren ist und dort demonstriert hat. Ich denke, es ist wichtig zu sehen, dass es nicht um mich geht, es geht um die Menschenrechte, es geht um die Freiheit in Tibet. Ich bin gefahren, weil ich das Visum hatte und die Möglichkeit hatte dort zu demonstrieren.

Es gibt sehr viele Tibeter im Exil, die jederzeit bereit gewesen wären, dort zu demonstrieren, aber die nicht fahren konnten, weil sie kein Visum bekommen haben. Ich bin auch nicht der Einzige gewesen, der da gestanden ist und demonstriert hat, mit mir waren zwei Amerikaner da und während der gesamten Zeit der Olympischen Spiele waren sehr viele westliche Aktivisten da, die demonstriert haben. Es geht nicht um mich. Es geht darum, dass für Tibet ein Zeichen gesetzt werden konnte und das hätten auch andere getan.

ETD: Wo sehen Sie die Grundlösung für die Tibetproblematik? Und wie finden Sie den Weg, den der Dalai Lama eingeschlagen hat?

Gyanatshang: Ja, ich habe mich für ein freies Tibet, für einen eigenständigen Staat eingesetzt und ich denke, das wäre für Tibet die beste Lösung. Aber die beste Lösung ist nicht immer die realistische Lösung. Ich denke, der Weg, den Seine Heiligkeit vorschlägt, mit einer echten Autonomie für das gesamte tibetische Gebiet, wäre eine Lösung, die sehr viel realistischer ist als ein eigenständiger tibetischer Staat.

Seine Heiligkeit der Dalai Lama ist die einzige Person, die diesen Kompromiss unter den Tibetern durchsetzen könnte und deswegen denke ich, für die chinesische Regierung wäre es jetzt an der Zeit, mal ernsthaft mit Seiner Heiligkeit zu sprechen. Denn das wäre ein Kompromiss zwischen beiden Positionen, dass Tibet ein eigener Staat sein muss und dass Tibet untrennbarer Teil des chinesischen Staatsgebietes ist.

Seine Heiligkeit ist relativ alt, wenn er stirbt, dann gibt es keinen mehr, der einen derartigen Kompromiss durchsetzen könnte. Es gibt auf tibetischer Seite sehr viele Vorbehalte darüber, ob unter chinesischer Herrschaft eine echte Autonomie möglich ist. Aber ich denke, allein schon der Versuch in diese Richtung wäre ein Fortschritt zu dem, was es jetzt gibt.

Auch wenn ich persönlich mir ein freies Tibet wünsche und mich auch weiter dafür einsetzen werde, denke ich auch, dass der mittlere Weg, eine Autonomie, etwas wäre, was auf jeden Fall sehr begrüßenswert ist.

Ich meine, man kann nicht immer das bekommen was man wünscht und es wäre für mich auch wirklich toll, wenn es zwischen der chinesischen Regierung und den Tibetern einen Kompromiss geben könnte. Wenn man sich auf etwas einigen könnte.

ETD: In China werden nicht nur die Minderheiten, wie Tibeter, Uighuren auch viele Gläubige zum Beispiel Untergrundkirchen und auch Falun Gong-Praktizierende genauso wegen ihres Glaubens unterdrückt. Glauben Sie, dass unter diesem kommunistischen Regime eine echte Autonomie in Tibet möglich wäre?

Gyanatshang: Das ist eine sehr schwierige Frage, ich halte es unter diesem derzeitigen Regime eigentlich nicht für möglich. Aber ich denke, jeder Versuch in die Richtung wäre schon ein enormer Fortschritt, ein enormes Aufeinanderzugehen. Es kann sich nichts ändern ohne dass man irgendwie miteinander spricht.

ETD: Sehen Sie nicht die Möglichkeit auch in China, dass das passieren könnte, was in Europa im Jahr 1989 passiert ist, dass das kommunistische Regime zusammenbricht?

Gyanatshang: Momentan wirkt das chinesische Regime ja sehr stabil, allerdings wirkte auch der Ostblock kurz vor dem Zusammenbruch sehr stabil. Es gibt sehr viele unzufriedene Stimmen von Chinesen in China, sodass ich durchaus auch die Möglichkeit sehe für solch einen Zusammenbruch.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, inwieweit Tibet von solch einem Zusammenbruch profitieren könnte. So weit ich es mitbekommen habe, sehen die meisten Chinesen in China Tibet als Teil von China an, auch wenn sie ihre Regierung kritisieren. Das ist auch, was ich von Exilchinesen mitbekommen habe.

Unter dieser Voraussetzung würde ich mich auch wundern, ob eine andere chinesische Regierung Tibet einfach so die Unabhängigkeit geben würde oder ob sie nicht genau da weiter machen würde, wo sich derzeit die chinesische Regierung befindet. Dazu kommt ja, dass die Siedlungspolitik dafür gesorgt hat, dass derzeit etwa genauso viele Han-Chinesen in Tibet leben wie ethnische Tibeter, das heißt selbst wenn man eine Abstimmung im tibetischen Gebiet durchführen würde, würde das Ergebnis auch nicht für die Unabhängigkeit ausfallen.

ETD: Viele Chinesen sagen, dass Tibet auf jeden Fall ein untrennbarer Teil Chinas ist, weil sie so im Geschichtsunterricht erzogen werden und die Propaganda der KPCh so etwas verbreitet. Könnte die Sache sich nicht ändern, wenn die Chinesen in einem freien Land auch andere Informationen frei bekommen können?

Gyanatshang: Wenn man zurück schaut, es gab eine Zeit, als alle Leute gedacht haben die Welt ist flach. Sie haben auch nicht, nur weil man ihnen gesagt hat, dass die Welt rund ist, am nächsten Tag geglaubt, dass die Welt rund ist. Genauso denk ich auch, dass ein chinesischer Staatsbürger, wenn er Zugang zu westlichen Medien hat, nicht auf einmal glauben wird, dass Tibet ein eigener Staat ist, wenn er es vorher sein ganzes Leben lang anders gehört hat. Man ändert seine Meinung nicht aufgrund einer einzigen Information, sondern erst wenn man längerfristig mit einem anderen Bild konfrontiert ist und dann langsam seine eigenen Schlüsse ziehen kann.

Ich habe mit einem jungen Offizier, der mich verhört hat, sehr ausgiebige Gespräche darüber geführt, wie die Sicht von Chinesen in China auf Tibet ist. Er hat mir viel darüber sagen können und viele neue Erkenntnisse für mich darüber gebracht, wie die Chinesen in China die Sache sehen. Auch wenn ich seine Meinung auf keinen Fall teile, so hat es doch bei mir sehr viel mehr Verständnis für die Sichtweisen gebracht, welche die Chinesen innerhalb von China haben. Sie begründen das mit den Informationen, die ihnen vorliegen. Es wird ihnen zum Beispiel sehr nahe gebracht, dass die Wirtschaft in Tibet von China subventioniert und aufgebaut wird. Ich denke, das ist definitiv ein Verdienst der chinesischen Regierung.

ETD: Meinen Sie das wirklich?

Gyanatshang: Ich meine, dass was die an Infrastruktur aufbauen in Tibet definitiv ein positiver Aspekt ist. Bloß das Problem ist, dass von dieser Infrastruktur, die sie aufbauen, derzeit hauptsächlich die Han-Chinesen in Tibet profitieren und nicht die Tibeter. Das sind Dinge, die den Chinesen in China ja nicht bekannt sind.

ETD: Ist das nicht gerade die Hauptpropaganda des chinesischen Regimes? Sie sagen immer, dass sie so viel in Tibet investiert haben und dass sie sich um die Tibeter kümmern. Sie haben meistens eine ganz andere Absicht als sie gesagt haben, nämlich Erhaltung ihrer Macht und noch mehr Kontrolle.

Gyanatshang: Ja, jetzt wo Sie sagen „Kontrolle über Tibet verstärkt“, da habe ich heute Morgen die Information bekommen, dass die chinesische Regierung in Tibet ihre Truppen so weit aufgestockt hat, dass dort mehr Truppen sind als beim Einmarsch in Tibet.

Den Tibetern wird nicht erlaubt, ihre Emails zu lesen und ins Internet zu gehen. Es gibt keinerlei private Telefonate mehr, die nicht mitgehört werden. Diese Unterdrückung vom Aufstand im März wird immer schlimmer. Wenn das jetzt in den Medien nicht erscheint, dann ist eben die Eindämmung der Berichterstattung recht erfolgreich.

ETD: Wovor hat Ihrer Meinung nach eigentlich die kommunistische Partei so viel Angst gegenüber Tibet?

Gyanatshang: Einer der Punkte ist meiner Meinung nach klar, dass der chinesische Staat ja sehr viele Ethnien beinhaltet und die chinesische Regierung hat Angst, wenn Tibet eigenständig ist, dann werden die Uighuren kommen, dann werden die nächsten und die nächsten und die nächsten kommen und dann wird nicht viel übrig bleiben. Zum anderen wird Tibet in der westlichen Welt sehr oft als kleines Bergland am Rande von China betrachtet, den wenigsten ist bewusst, was für ein enormes Gebiet Tibet umfasst. Wenn ich richtig informiert bin, dürfte Tibet ja etwa ein Fünftel des chinesischen Staatsgebietes ausmachen, wenn man von dem tibetisch bewohnten Gebiet ausgeht, nicht vom tibetisch-autonomen Gebiet.

Zum anderen ist es ja strategisch mit den Himalaya-Grenzen ein gut zu verteidigender Ort, aufgrund der Höhe eine optimale Raketenabschussbasis, auch mit diversen Rohstoffen ausgestattet, auf die die chinesische Regierung ungern verzichten würde.

ETD: Was ist Ihr jetziger Plan, was möchten Sie weiter für die Freiheit in Tibet tun?

Gyanatshang: Ich habe mich weit vor den Olympischen Spielen für Tibet engagiert und genauso werde ich mich auch nach den Olympischen Spielen weiter für Tibet engagieren. Ich bin im Vorstand der Sektion Deutschland des Tibeter-Jugendvereins, wir versuchen die tibetische Kultur zu fördern, uns politisch für Tibet einzusetzen, mit Demonstrationen, mit Informationsveranstaltungen, auch mit Aktionen und versuchen auch den Austausch unter tibetischen Jugendlichen zu fördern, dass sie sich besser vernetzen, besser kennen lernen.

Genauso wird die Arbeit weitergehen. Nur weil die Olympischen Spiele vorbei sind, heißt das nicht, dass alles vorbei ist, genauso wie der Aufstand in Tibet ja auch jetzt während dieses Interviews weitergeht. Genauso jetzt während dieses Interviews nach den Olympischen Spielen werden immer noch Leute verhaftet, willkürlich verhaftet, verschwinden gelassen, gefoltert oder getötet und genau deswegen ist es auch sehr wichtig, dass wir jetzt weitermachen, nicht ausruhen und auf einmal aufhören.

Die Fragen stellte Maria Zheng.

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