Gewalt statt Demokratie in Taishi

Chinesischer Abgeordneter schwer misshandelt – ausländische Journalisten geprügelt
Titelbild
"Ihr Ausländer ruiniert Taishi. Ihr schreibt und schreibt über alles, was hier los ist." Die Gemeindeverwaltung will Ruhe haben vor Ort in Taishi. Die Bewohner wollen Demokratie.
Von 11. Oktober 2005

Nachdem in Taishi, einem Dorf mit rund 2.000 Einwohnern im Süden Chinas, der Versuch gescheitert war, einen korrupten Dorfführer auf demokratische Weise zu entlassen, zog das kleine Dorf die internationale Aufmerksamkeit immer mehr auf sich. Ein britischer Journalist von „The Guardian“ wurde bei seinem Besuch im Dorf Taishi am 8. Okt geprügelt und ein Abgeordneter der Provinz Hubei, der ihn begleitete, wurde innerhalb von Sekunden ohnmächtig geschlagen, sodass zunächst von seinem Tod ausgegangen wurde.
 
Am Vormittag des 8. Oktober begaben sich der Guardian-Journalist Benjamin Joffe-Walt und sein Assistent Chen aus Singapur zusammen mit dem chinesische Abgeordneten des Provinz-Parlaments von Hubei, Lu Banglie, in das Dorf Taishi. Nachmittags gegen 17 Uhr erhielten Freunde von  Lu, die außerhalb des Dorfs auf ihn warteten, die Nachricht, dass die drei von etwa 30-40 Sicherheitsleuten verprügelt worden seien. Laut Aussage der Dorfbewohner wurde das Auto von den Schlägern umgekreist. Sie schenkten zunächst Joffe-Walt und Chen weniger Beachtung, zerrten Lu aus dem Auto und schlugen wild auf ihn ein, sodass er innerhalb kurzer Zeit ohnmächtig wurde. Auch als er schon wie leblos im Straßengraben lag, schlugen sie noch auf ihn ein. Im Guardian heißt es dazu: „Er lag da – ein Auge quoll hervor, die Zunge zerschnitten, Blut strömte aus seinem Mund, seine Glieder waren verdreht. Das Genick anscheinend gebrochen, sein Kopf war so zur Seite gedreht, als wäre er mit einem Gummiband am restlichen Körper befestigt.“

Augenzeugen berichteten gegenüber den Medien, „Sie wurden schlimm geprügelt!“ Nach Aussage der Dorfbewohner sind diese Sicherheitsleute von der Dorfverwaltung gekauft.“ Jeder bekommt pro Tag 100 Yuan (ca. 10 Euro) dafür. Ihre Aufgabe ist es, Fremde und Ausländer, die ins Dorf kommen, zu verprügeln und zu vertreiben.“

Benjamin Joffe-Walt, der Reporter des Guardian, hat selbst Medizin studiert und vermutete, dass der Abgeordnete Lu zu Tod geprügelt wurde. Laut Guardian wurden er und sein Assistent und Übersetzer vehement beschimpft: „Ihr Ausländer ruiniert Taishi. Ihr schreibt und schreibt über alles, was hier los ist und dadurch sind die ganzen Geschäfte aus der neuen Industriezone geflohen.“ Sie wurden von den  Sicherheitsleuten zunächst von oben bis unten am ganzen Körper untersucht und dann zum Verhör gebracht. Beim Verhör wurde ihnen laut Guardian unter anderem gesagt: „China ist offen für Ausländer. Wir begrüßen jeden Journalisten in Guangzhou, aber wenn sie sich nicht genau an die Anweisungen halten, können wir Ihre Sicherheit nicht garantieren.“ Inzwischen wurde das britische Konsulat eingeschaltet. Joffe-Walt stand später so unter Schock, dass er kaum von seinen Erlebnissen berichten könnte. Ein Reporter von „Radio Free Asia“ hat inzwischen herausgefunden, dass Lu in seine Heimat zurück transportiert wurde und sich nicht mehr in akuter Lebensgefahr befindet.

Am Abend nach dem gewalttätigen Vorfall wurde die Professorin Ai Xiaoming von der Zhongshan Universität in Guangzhou (nächstgelegene Großstadt) von Dorfbewohnern darüber unterrichtet, dass die Dorfgemeindeverwaltung die Bewohner dazu überreden wollte, anzugeben, dass Lu durch einen Autounfall ums Leben gekommen sei. Die Professorin hatte vor zehn Tagen eine ähnliche Prügelei bei ihrem Besuch in Taishi erlebt. Das Taxi, in dem  sie mit zwei Rechtsanwältinnen und einer Journalistin das Dorf verlassen wollte, wurde auch von solchen Sicherheitsleuten belagert, die mit Motorradschlössern die Scheiben des Wagens einschlugen. Ebenfalls am 8. Oktober wurden Abel Segretin, ein Journalist von „Radio France International“, und Liu Xiaoxin von der in Hongkong erscheinenden „South China Morning Post“ ebenfalls beim Besuch des Dorfes von solch einem Schlägertrupp belagert und angegriffen.

Die Proteste wegen unrechtmäßigen Landerwerbs, Korruption und Umweltverschmutzung haben in China inzwischen ein ungeahntes Ausmaß erreicht, sie reihen sich ein in die 74.000 Demonstrationen, die für das vergangene Jahr offiziell genannt werden. Die Geschehnisse in Taishi eröffnen für China eine neue Dimension des demokratischen Protestes, die sich mit Sicherheit wie ein Lauffeuer in China verbreiten und Vorbildcharakter haben wird. Demokratie beginnt von unten.



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