Legenden werden enttarnt
Im Jahr 2006 fing die internationale Gemeinschaft endlich an, die immer intensiver werdende Medienkontrolle durch die chinesische Regierung wahrzunehmen. Seit Ende 2005 kursierten Berichte darüber im chinesischen Internet: Die „Peking News“ („Xinjingbao“) musste ihre Publikationen einstellen, „Freezing Point“ („Bingdian“), die Wochenbeilage der Zeitung „China Youth Daily“ („Zhongguo Qingnianbao“), wurde verboten. Der Herausgeber der Zeitung „Public Interest Times“ („Gongyi Shibao“) wurde ersetzt. „Shenzhen Legal Daily“ („Shenzhen Fazhi Bao“) wurde verboten und die Webseite „Das Volk“ („Baixing“) zeitweilig ebenfalls. Obwohl die Gründe für die Schließungen unterschiedlich waren, zeichneten sie doch in ihrer Gesamtheit ein düsteres Bild der Attacken der Regierung auf die Medien.
Am 5. Juli 2006 unternahm der Nationale Volkskongress den unerhörten Schritt und stimmte einem Gesetzesentwurf zu, nach dem nicht genehmigte Berichte über den Ausbruch von Krankheiten, Naturkatastrophen, soziale Unruhen und andere „öffentliche Notfälle“ mit Strafen von 50.000 bis 100.000 Yuan (Anm.d. ca. 5.000 bis 10.000 Euro) belegt werden konnten. Diese unverschämte legislative Verletzung der Pressefreiheit muss den Hoffnungen der internationalen Gemeinschaft, die sie eventuell für die chinesische Regierung gehegt hatte, den Todesstoß versetzt haben. Ausländische Korrespondenten geben inzwischen ihrer Sorge Ausdruck, dass sie beim Zusammentragen der Fakten für ihre Berichterstattung gesetzlichen Restriktionen unterworfen werden – das aber viereinhalb Jahre, nachdem mein Bericht in chinesischer Sprache unter dem Titel „Wie kontrolliert die chinesische Regierung die Medien?“ erschienen ist.
Medien ohne Wächterfunktion
Bevor ich ein Leben im Exil außerhalb Chinas begann, arbeitete ich in einem Medienunternehmen in Shenzhen und erfuhr aus erster Hand, wie die chinesische Regierung die Medien kontrolliert. In der Hoffnung, dass ich eines Tages das veröffentlichen könnte, was ich erfahren hatte, begann ich, Material zu sammeln. Als ich in die Vereinigten Staaten kam, konnte ich im Jahre 2003 dank der Hilfe der New Yorker Menschenrechtsgruppe „Menschenrechte in China“ (HRIC) an meinem Bericht „Medienkontrolle in China“ arbeiten und ihn komplettieren.
Die in diesem Buch aufgestellten Fakten enthüllen eine bittere Wahrheit: Die Medien, eigentlich zuständig für die gesamte Gesellschaft, erfüllen ihre Wächterfunktion in China nicht. Der einzige Wächter ist die Regierung selbst, die die Medienorganisationen und Journalisten beobachtet. Der Hauptunterschied zwischen den chinesischen und westlichen Medien kommt schon in der Definition, die die chinesische Regierung für die Medien hat, zum Ausdruck: „Sprachrohr der Partei“.
Als ich dem HRIC vorschlug, an meinem Bericht „Medienkontrolle in China“ zu arbeiten, wurde ich gefragt: „Die chinesischen Medien unterliegen gegenwärtig einem Prozess der Marktliberalisierung und eine ausländische Mediengesellschaft nach der anderen geht nach China. Vorausgesetzt, diese zwei Prozesse bringen die Liberalisierung der chinesischen Medienlandschaft voran, wie kann dann die chinesische Regierung die Medien weiter kontrollieren?“ Tim Luard, Berichterstatter der BBC, stellte am 16. Februar 2006 die gleiche Frage.
Ich teilte ihm kurz und bündig ein paar Fakten mit: „Was chinesische Journalisten über die Marktliberalisierung sagen, trifft den Nagel auf den Kopf. Medien zu zwingen ‚ins Meer zu tauchen‘ (ein chinesischer Ausdruck, der besagt, dass ein staatseigenes Unternehmen privatisiert wird), gleichzeitig aber die Regierungskontrolle aufrechtzuerhalten, ist, als würde man mit gefesselten Händen und Füßen ins Meer geworfen. Solange echte Nachrichten grenzwertig sind und es nur eine Informationsquelle gibt, müssen die chinesischen Mediengesellschaften mit Dreck hausieren gehen, wollen sie sich auf dem Markt behaupten. Chinas Online-Medien gehören zu den schlimmsten in der Welt, wenn es um obszöne Inhalte geht, aber die chinesische Regierung ist ausgesprochen glücklich, wenn sie sieht, wie sich chinesische Bürger in Sinnlichkeit suhlen, solange sie sich nur aus der Politik heraushalten.“
Internationale Mediengruppen dürften mit dem Gedanken gespielt haben, dass mit ihrem Eintritt in den chinesischen Markt die Pressefreiheit langsam aber sicher käme. Aber seit dem Jahre 2000 ist keine Medienorganisation mehr so unbedarft, an dieser Meinung festzuhalten. Die allgemeine und unausgesprochene Frage bei jedem ist: Weil es doch Chinas politische Führer sind, die das Sagen haben, wer bekommt ein Stück vom chinesischen Medienmarkt ab?
Niemand vertraut mehr darauf, ein Stück von diesem Kuchen zu bekommen als Rupert Murdock, der im Laufe der Jahre schon viel Geld und Energie investiert hat, um freundliche Beziehungen zu chinesischen Spitzenbeamten aufzubauen. Sein Erfolgsgeheimnis besteht darin, sich niemals in Politik einzumischen und kein Interesse an Demokratie, Freiheit und Menschenrechten in China zu zeigen. Selbst Probleme wie der Lebensstandard des chinesischen Volkes, über den auch die chinesischen Medien berichten, gehören nicht in sein Ressort. Konsequenterweise steht Murdock der Liberalisierung der chinesischen Medien völlig gleichgültig gegenüber. Er hat sogar versucht, sich durch die Hintertür Zutritt zu den chinesischen Märkten zu verschaffen, indem er in Hongkongs Phoenix TV – ein Sender, der eindeutig von der chinesischen Regierung gestützt wird – investiert hat.
Wenn man verstehen will, wie die chinesische Regierung das Internet kontrolliert, so erweist sich ein Bericht in englischer Sprache als besonders hilfreich: „China‘s Golden Shield: Corporations and The Development of Surveillance Technology in the People‘s Republic of China“, von Greg Walton. Als er beim Aufbau des chinesischen Internets in China mitarbeitete und ausländischen Gesellschaften, die in China operierten, technische Unterstützung gab, konnte Walton direkt beobachten, wie ausländische Hightech-Unternehmen der chinesischen Regierung halfen, ein Kontrollsystem für das Internet aufzubauen. Nachdem er in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, fühlte er sich durch sein Gewissen verpflichtet, diesen Bericht zu schreiben. Ethan Gutmann, auf dessen Werk ich mich auch stütze, stellt deutlich heraus, dass die Vereinigten Staaten die Verantwortung tragen, dem chinesischen Volk zu helfen, das Internet als Instrument für freien Informationsaustausch und als „Kommunikationsnetzwerk für die Revolution“ zurückzuverlangen.
Das Kapitel über die Internetkontrolle dieses Buches basiert auf meinen eigenen Forschungen und auf den Berichten von Walton und Gutmann. Bei anschließenden Zeugenaussagen vor dem Kongress der Vereinigten Staaten habe ich wiederholt meiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die Vereinigten Staaten ein Gesetz einbringen, das diese unehrenhafte Zusammenarbeit zwischen amerikanischen Unternehmen und der chinesischen Regierung einschränkt.
„Küchenkultur“ ist nicht gleich Redefreiheit
Eine Menschenrechtsaktivistin sagte einmal zu mir, dass ihre Familie ihr erzählt habe, dass die Chinesen unter Freunden inzwischen alles sagen könnten, was sie wollten und dass kein Thema tabu sei. Weil sie unsicher war, ob sie das glauben konnte, fragte sie mich: „Sind Ihre Berichte nicht in den Medien des Festlands China veröffentlicht worden?“ Ich erzählte ihr, dass die Belegschaftsmitglieder mehrerer Medienorganisationen gefeuert wurden, weil sie Berichte und Essays von mir veröffentlicht hatten. Man ignoriert, dass selbst im stalinistischen Russland eine „Küchenkultur“ herrschte, die es den Leuten ermöglichte, sich alle Arten von „reaktionärer“ Satire und Beschimpfungen gegen die Regierung in der privaten Umgebung ihrer Familie zu gönnen. Chinas gegenwärtige politische Kultur, die den Leuten erlaubt, in privaten Unterhaltungen die Regierung zu kritisieren, sie aber dazu zwingt, in der Öffentlichkeit zu lügen, hat eine Zwiespältigkeit des Charakters hervorgebracht, der die Leute veranlasst, zu jeder Zeit das zu sagen, was politisch angebracht ist.
Es gibt zwei Gründe, warum die chinesische Allgemeinheit keine Redefreiheit besitzt: Erstens müssen alle chinesischen Medienorganisationen bei der Regierung registriert und von ihr anerkannt sein. Außerdem stehen sie unter der Aufsicht sowohl der Partei als auch der Regierung, und zwar durch eine zuständige Behörde (Zhuguan Bumen) und eine Sponsoreneinheit (Zhuban Danwei) in jedem System. Partei und Regierung antworten somit auf die Berichte der Medien. Zweitens – den Menschen außerhalb Chinas allgemein unbekannt – dürfen die Chinesen keiner Vereinigung beitreten. Schlimmer noch, die Regierung hält das Bildungsniveau der meisten Leute niedrig und behauptet, dass die Zeit für die Einführung einer Demokratie noch nicht reif sei. Infolgedessen fragen Ausländer häufig: „Glauben die meisten Chinesen nicht, dass es genüge, verbesserte wirtschaftliche Verhältnisse zu haben und sie Rede- und Pressefreiheit nicht brauchen?“
Tatsache ist jedoch, dass die neototalitären Herrscher ihre Macht missbrauchen, ganz ähnlich wie das maoistische totalitäre System vor ihnen, und die Geschichte umschreiben. Dem Volk wird eine genaue kollektive Erinnerung vorenthalten. In einem solchen Land, in dem die Regierung das Denken kontrolliert und manipuliert, werden nicht nur geschichtliche Erinnerungen verfälscht, sondern die Menschen werden auch gegenüber Werten wie Menschenrechten, Freiheit und Demokratie resistent. Unter diesen Umständen ist es unvernünftig zu erwarten, dass die 900 Millionen Landbewohner Pressefreiheit verlangen.
Nichtsdestoweniger haben sich in den vergangenen zehn Jahren Menschen der untersten Stufe der chinesischen Gesellschaft an Fernsehstationen und andere Medien gewandt, als ob diese ein offizielles Appellationsgericht seien, wo sie um Rechtshilfe wegen vielerlei Ungerechtigkeiten ersuchen. Das zeigt wenigstens ein vages Bewusstsein der Menschen an, dass die Massenmedien genutzt werden können, um für Rechte zu kämpfen und Ungerechtigkeiten anzuprangern. Wenn solche Klagen ignoriert werden, was in überwiegender Mehrheit geschieht, richten die Menschen ihren Zorn auf die Medien und sagen: „Ihr werdet auch von der Regierung bezahlt. Regierungsbeamte decken sich immer gegenseitig.“
Pressefreiheit muss zuerst kommen
Man muss fairerweise zugeben, dass Mitte der 1990er-Jahre die Redefreiheit in China einigermaßen Platz fand. Die Zeitung „Nanfang Zhoumo“ brachte sie mit einer Reihe von herausragenden Artikeln auf den Weg. Verglichen mit diesen Publikationen kann man von den Artikeln, die in der Beilage „Freezing Point“ der „China Youth Daily“ erschienen, kaum sagen, dass sie bahnbrechend waren. Es ist nur so, dass sich, nachdem die früheren Magazine eliminiert worden waren (indem man Schriftsteller und Herausgeber, die sich offen geäußert hatten, feuerte), „Freezing Point“ und „Peking News“ die Aufmerksamkeit der Zensoren auf sich zogen. Die Tatsache, dass Publikationen, die sich zwar mit sozialen Themen beschäftigten, sich aber aus der Politik heraushielten, vom Propagandaministerium kontrolliert wurden, macht deutlich, dass die Regierung die Schraubzwinge fester dreht. Medienpublikationen können in China zu jeder Zeit eliminiert werden. Und wann immer dies in der jüngsten Vergangenheit geschah, erklärten einige Leute der Intelligenz, dass diese Artikel zu radikal gewesen seien und dass den Autoren und Herausgebern der gesunde Menschenverstand gefehlt habe, sich selbst zu schützen. Es macht keinen großen Unterschied, ob man zynisch ist oder sich vorsichtig äußert, im Endeffekt ist die chinesische Regierung skrupelloser geworden.
Während einige chinesische Journalisten versuchen, durch individuelle Anstrengungen und unter hohem Risiko die Zensur zu durchbrechen, könnten Beobachter von außen das als „einen Fortschritt bei der Pressefreiheit“ missverstehen. Dieses Missverstehen könnte sogar noch durch „Lippenbekenntnisse“ des Regimes verstärkt werden. Zum Beispiel haben die internationalen Medien große Erwartungen in das offizielle Versprechen gesetzt, dass „während der Olympischen Spiele in Peking 2008 ausländische Reporter die Freiheit haben zu berichten, was sie wollen.“ Das Versprechen wurde nicht eingehalten. Bei einer Reihe von Ereignissen wie der Proteste der Tibeter im März, dem Erdbeben in Sichuan im Mai und den massiven Protesten in Weng‘an in der Provinz Guizhou am 28. Juni, durfte kein Medium Interviews machen und „frei“ berichten. Bis China die Pressefreiheit erhält, ist es noch ein schwerer, langer Weg. Auf dieser strapaziösen Reise braucht das chinesische Volk tragende Hilfe von der internationalen Gemeinschaft.
Ich bin glücklich darüber, dass in den letzten Jahren eine wachsende Anzahl von Nationen der Menschenrechtssituation und dem Problem der Pressezensur in China mehr Aufmerksamkeit schenkt. Viele in der Welt der Politik haben erkannt, dass eine diktatorische chinesische Regierung kein verantwortungsbewusstes Mitglied der internationalen Gemeinschaft werden kann. Diese Erkenntnis hat dem chinesischen Volk geholfen, sich bei seinem Kampf für Menschenrechte und Demokratie weniger isoliert zu fühlen. So wie ein Gedanke dem Handeln vorausgehen muss, wird die Pressefreiheit den Menschen nicht nur mehr Zugang zu Informationen ermöglichen, sondern auch als Kommunikationsträger wertvollen, unabhängigen Denkens dienen.
He Qinglian, geboren 1956, ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin und arbeitet zur Zeit am Institut „Human Right in China“ (http://iso.hrichina.org) in New York. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität Fudan in Shanghai arbeitete He Qinglian in der Propaganda-Abteilung des Stadtkomitees der Kommunistischen Partei in Shenzhen, bevor sie in die Redaktion der Zeitung Shenzhen Legal Daily wechselte, gleichzeitig an der Universität Jinan beschäftigt war. In ihrem 1997 in Hongkong erschienen Buch „China in der Modernisierungsfalle“ räumt die Ökonomin grundlegend mit dem Mythos „vom Wandel durch Handel“ auf. He emigrierte 2001 in die USA, wohnt derzeit in Princeton, New Jersey.
Ihr neues Buch heißt: „The Fog of Censorship: Media Control in China“ (248 Seiten, Human Rights in China, 2008, ISBN-13: 978-0971735620).
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