Nackte Beamte erschüttern Gesellschaft in China

„Nackte Beamte“ ist ein Phänomen, das es so wohl nur in China gibt und das zunehmend zu einer Destabilisierung der Gesellschaft in China beträgt.
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„Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“ Aus Farm der Tiere, ein Roman von George Orwell; 1945.Foto: Odd Aandersen/AFP/Getty Images
Von 19. Dezember 2011

Am 9. Dezember 2011 veröffentlichte die Webseite gdcct.gov.cn einen Artikel mit dem Titel „Nackte Beamte können die Basis der Gesellschaft in China erschüttern“. Darin steht, dass „Beamte in China einerseits an der Frontlinie von Politik und Wirtschaft bleiben, wo sie Macht ausüben und große Summen kassieren können. Anderseits arrangieren sie den Weg für ihren Rückzug … Diese Strategie kann nicht nur dazu führen, dass Beamte noch verantwortungsloser und willkürlicher bei ihrer Arbeit im Inland handeln, sie kann auch das Volk enttäuschen und somit die Basis der Gesellschaft erschüttern. Am Ende wird es sich zu einer Tragödie für das Volk und das Land entwickeln.“

Das Phänomen „nackte Beamte“ – Ein Zeichen sozialer Schieflage

Lin Zhe, Professorin der Parteischule des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, verkündete im März 2010 vor der Volksversammlung und der Politischen Konsultativkonferenz, dass es in China von 1995 bis 2005 1,18 Millionen „Nackte Beamte“ gegeben habe. „Nackte Beamte“ ist mittlerweile ein gebräuchlicher Ausdruck in China und bezeichnet Beamte, die allein in China arbeiten, während alle nahestehenden Familienangehörigen im Ausland sind.

Mit den normalen Beamtengehältern kann man in China keinen großen Reichtum erwerben. Aber sogar rangniedere Mitglieder des öffentlichen Dienstes in China sind in der Lage, aus ihrem Job eine Reihe von Vergünstigungen zu ziehen. Das beginnt bei Einladungen zum Essen und endet bei hohen Summen für sich selbst oder Familienangehörige. Das ist natürlich offiziell verboten, aber es gibt keine funktionierenden Mechanismen gegen Korruption. Viele korrupte Beamte schicken ihre Familienangehörigen ins Ausland und deponieren das Geld auf ausländischen Konten anstatt im Mutterland China.

Cai Jiming, Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz, äußerte im Juli 2009, dass „0,4 Prozent aller Chinesen 70 Prozent allen Reichtums besitzen“. Lee Kuan Yew, der erste Premierminister des Stadtstaats Singapur sagte in einem Interview mit der Zeitung „The Economic Observer“ im September 2011: „Die größte Herausforderung, der China gegenübersteht, ist die Kluft zwischen Arm und Reich.“

Time Weekly veröffentlichte im Juli 2009 einen Artikel und erklärte, wer den Reichtum in China besitzt. Bis Ende März 2006 habe es in China 3220 Menschen gegeben, die mehr als 100 Millionen Yuan (etwa 10 Millionen Euro) besitzen. Davon seien 91 Prozent Familienangehörige von hochrangigen Beamten. Ein großer Teil ihres Reichtums stehe in Zusammenhang mit ihrem Familienhintergrund.

„Nackte Beamte“ könnten die Basis der Gesellschaft in China erschüttern

Professor Lin Zhe meinte, sie mache sich Sorgen, weil es außer einer Beschränkung der höchsten Ämter in einigen wenigen Regionen, keine Regelungen für solch nackte Beamte gebe. Nur das eigene Gewissen könne diese Beamten von einer Flucht abhalten. Nach einer Studie von Wang Jie, eines ehemaligen Vertreters des Volksrats, sind 97 Prozent aller befragten Beamten gegen eine Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse.

Wie viel Geld hat China durch korrupte Beamte verloren? Bis heute gibt es keine wirklich aussagekräftigen Studien. In einem Artikel der Webseite 360doc.com stand, dass es nach Einschätzung des Ministeriums für Fremdwährung von 1997 bis 1999 etwa 10 Milliarden Dollar verlorenes Kapital durch geflohene Beamte gegeben habe. Diese Zahl ist jedoch viel geringer als die einer Studie der Peking Universität, bei der das verlorene Kapital für die Jahre 1997, 1998 und 1999 jeweils 36,4 Milliarden, 38,6 Milliarden und 28,3 Milliarden Dollar betrug. Nach Einschätzung des Wirtschaftsexperten Fangang habe China im Jahr 2000 48 Milliarden Dollar durch geflohene Beamte verloren. Das ist mehr als das gesamte Investitionsvolumen ausländischer Firmen in China, das im Jahr 2000 40,7 Milliarden Dollar betrug. Aktuellere Zahlen sind nicht mehr zu finden.

Die Partei verliert ihre Basis

Die Kommunistische Partei Chinas, chinesische Verkörperung einer Idee, die die Wurzel allen Übels im Kapital und bei denjenigen, die darüber verfügen, sieht, erlangte einst durch ihre vielen Versprechen an die Bauern und Arbeiter die politische Macht in China. Der aufwändige Lebensstil vieler Beamter und der Kapitalfluss ins Ausland durch „nackte Beamte“ lässt die Partei immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren. Lange Jahre bezeichnete sie das chinesische Volk als ihre Basis. Heutzutage scheint diese Basis langsam auseinander zu bröckeln.

Sun Liping, Professor für Soziologie an der Tsinghua Universität, erklärt, dass die Partei einen „rasanten Verlust der gesellschaftlichen Anerkennung“ erlebe. Der Professor macht einen Vergleich, an dem dieses Problem besonders deutlich wird. Als in den 80er Jahren in der Stadt Shenyang ein großes Feuer ausbrach, weinten viele Menschen in den Straßen, weil sie es als Verlust des ganzen Volkes betrachteten. Im Jahr 2009 zerstörte ein Großbrand das Gebäude des Staatsfernsehens in Peking. Obwohl der Schaden durch das Feuer in die Milliarden ging, war die vorherrschende Meinung in den Internetforen Begeisterung und Schadenfreunde. Manche fragten, ob diese Personen nicht daran gedacht haben, dass auch sie einen Teil der Verluste zu tragen haben, schließlich gehöre das Gebäude doch dem Staat. Es wurde geantwortet: „Wenn die Milliarden nicht verbrannt wären, wären sie gegessen worden.“ Sie meinten damit die vielen Geschäftsessen der Beamten. Manchen war sogar das Wasser zum Löschen des Feuers zu schade, weil es in Peking sehr trocken ist. Hinter solchen Diskussionen steckt ein eindeutiges Gefühl, nicht dazuzugehören. Der Reichtum gehört „ihnen“, nicht „uns“.

Der politische Machtapparat in China ist außer Kontrolle

Professor Sun Liping ist der Meinung, dass die Korruption ein Zeichen des außer Kontrolle geratenen politischen Machtapparates in China sei. Die Partei verliere ihre interne Kontrolle.

Vor einigen Jahren wurde schon gesagt, dass politische Befehle nicht mehr aus Zhongnanhai (Hauptquartier der Kommunistischen Partei und Regierungssitz in Peking) herauskommen können. Die Regionalregierungen und die verschiedenen Ministerien haben so weder Druck von den Vorgesetzten der Zentralregierung noch die Überwachung von Untergebenen zu fürchten. Professor Sun Liping bezeichnet dieses Phänomen als „das Zerreißen der Staatsmacht“. Dass die Korruption nicht effektiv bekämpft werden könne, liege daran, dass der Kampf gegen die Korruption zu einem parteiinternen Machtkampf geworden ist.

Chinesische Internetforen zitieren ein Buch „Die Blackbox der Kommunistischen Partei Chinas“, das interne Machtduelle verschiedener Interessengruppen der Partei beschreibt. „The Central Commission for Discipline Inspection of the Communist Party of China” ist das Organ, das gegen Korruption kämpfen sollte. In dem Buch heiße es, dass dieses Inspektionskomitee den Kampf gegen die Korruption als Ausrede verwende, um durch heimliche Überwachung, Folter oder Bedrohung anderen politischen Interessegruppen Schaden zuzufügen. Wohl nur eine Frage der Zeit, bis „nackte Beamte“ ihren Familien hinterherziehen.

 



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