Online-Streit über Weihnachten in China

Invasion der Weihnachtsmänner in China
Titelbild
Traditionelle Trommeln werden geschlagen von westlich verkleideten chinesischen "Weihnachtsmännern". (Foto: China Photos/Getty Images)
Von 26. Dezember 2006

„Wenn Weihnachten naht, sind Einkaufszentren, Restaurants und Hotels mit Weihnachtsbäumen geschmückt, Weihnachtsgrüße überfluten das Internet, die Zeitungen, das Fernsehen und Radioprogramme. Hunderte Millionen Kurznachrichten werden über Handys verschickt. Freunde tauschen Weihnachtsgrüße aus.“ Damit möchten zehn Doktoranden der besten Universitäten Chinas die Weihnachtstimmung nicht in Deutschland oder in irgendeinem westlichen Land beschreiben, sondern im heutigen China. In einem Appell im Internet vom 18. Dezember 2006 riefen die zehn Doktoranden der Philosophie- beziehungsweise Erziehungswissenschaft auf, dem Feiern vom Weihnachtsfest zu widerstehen zugunsten der Pflege chinesischer Traditionen.

Solch eine intensive Weihnachtsstimmung kannten die Chinesen vor ein paar Jahren noch nicht. Die westliche Kultur ziehe am Anfang „wie sanfter Wind und Nieselregen“ über das Land, aber jetzt schon „wie ein Sturm“. Dies spiegle sich unmittelbar darin wider, dass Weihnachten in China immer populärer wird und intensiver gefeiert wird. Das chinesische Volk solle „aus dem kollektiven kulturellen Koma erwachen, um sich der kulturellen westlichen Invasion zu widersetzen“. So forderten die zehn Doktoranden in ihrem Appell.

Kollektives kulturelles Koma

Die Christen könnten Weihnachten feiern und jeder Mensch habe natürlich auch die Freiheit Weihnachten zu feiern. Aber „die meisten Landleute benutzen unbedacht den Namen „Weihnacht“, ohne irgendwelche Kenntnisse über die westliche Weihnachtskultur zu haben. Sie beteiligten sich unbewusst an der lärmenden Festlichkeit des Weihnachtsfestes. Der wesentliche Grund für das kollektive kulturelle Koma der Landleute sei der „Untergang der chinesischen Kultur als gesellschaftliches Fundament“ und „das Versagen auf Seiten der Regierung, chinesische Traditionen zu wahren, während sie die Wirtschaft fördert“. So heißt es weiter in dem Appell.

„Das Volk kehrt freiwillig und bewusst zur Tradition zurück; stellt die Wege des Konfuzius wieder her und entwickelt sie weiter; es baut den Hauptanteil der chinesischen Kultur wieder auf; es erkennt die konfuzianische Kultur als das Fundament und den wesentlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens und des staatlichen Regierens an. Das ist die grundlegende Aufgabe der Wiederherstellung der chinesischen traditionellen Kultur“, so der Hauptinitiator dieses Appells, Wang Dasan, Doktorand der philosophischen Fakultät der Volksuniversität Peking. Er beschäftigt sich mit der Forschung über die traditionelle chinesische Kultur.

Dieser Appell löste eine kontroverse Diskussion unter Chinas Internetbenutzern aus. Zehntausende reagierten darauf mit Kommentaren. Bis zum 22. Dezember, vier Tage nach der Veröffentlichung dieses Appells, hatten in den größten Internetportalen Chinas, tengxun.com (63630 Teilnehmer), sina.com (41915 Teilnehmer) und Souhoo.com (19552 Teilnehmer) über hunderttausend Internetbenutzer an der Diskussion teilgenommen. Über 60 Prozent stimmten für einen Boykott des Weihnachtsfestes, während 25% Prozent unmissverständlich gegen den Boykott sprechen. Die nationalistischen Töne stießen auf breite Unterstützung. Viele Teilnehmer forderten, mit Konfuzius den Weihnachtsmann zu vertreiben und die nationale Identität besser zu fördern.

„Ist der Mond der westlichen Länder wirklich runder als unserer?“

„Am Jahresende habe ich glücklicherweise von vielen Freunden Weihnachtsgrüße bekommen. Ich freue mich darauf. Trotzdem: warum feiern wir Chinesen, die nicht an Gott glauben, Weihnachten? Darüber mache ich mir Sorgen. Oberflächlich wurden die Chinesen von den Geschäften angeschoben, Weihnachten zu feiern. Die Geschäfte schaffen die Weihnachtstimmung nur um den Konsum zu fördern. Die Jugendlichen beteiligen sich daran, weil sie Spaß daran finden möchten. Aber die Chinesen feiern Weihnachten, obwohl sie nicht nur keine Freude daran gefunden haben, sondern sie sind auch orientierungslos geworden. Sie finden in sich nicht mehr das Gefühl, ein Chinese zu sein. Gegenüber der Infiltration der westlichen Kultur werden unsere Landsleute immer gleichgültiger. Sie haben keine geistige Stütze mehr und finden auch keine kulturelle Identität. Heute ist das chinesische traditionelle Fest die „Wintersonnenwende“. Im alten China war dieser Tag das drittwichtigste Fest nach dem chinesischen Neujahrsfest und dem Geburtstag des Kaisers. Der Kaiserhof veranstaltete große Festlichkeiten und das Volk aß Jiaozi (chinesische Maultaschen). Ich wünsche euch allen eine frohe „Wintersonnenwende“ und guten Appetit beim Essen von Jiaozi. Lassen wir dabei die Freude und das Selbstvertrauen, ein Chinese zu sein, wieder zu ihrem Recht kommen!“

„Dieser Wind aus Westen macht mich wirklich besorgt. Viele unserer eigenen Feste werden vergessen und sind untergegangen. Ist der Mond der westlichen Länder wirklich runder als unserer?“

„Das Leben ist viel zu angespannt“

„Meine Familie hängt die Bilder vom Weihnachtsmann auf so wie ein „Neujahrsfestbild“. Weihnachten als Anlass zu nehmen, um sich mit der ganzen Familie zum Essen zu treffen und unter Freunden gegenseitig Glückwünsche zu schenken, was ist dabei nicht gut? Wenn es möglich wäre, wünsche ich auch ein paar Tage von meinem Arbeitgeber frei zu bekommen. Das Leben ist viel zu angespannt…“

„Den Chinesen das Feiern der Weihnacht zu boykottieren ist genauso lächerlich wie dem Westen das Benutzen von Essstäbchen zu boykottieren.“

„Wenn wir Weihnachtsfeiern boykottieren würden, könnten wir uns schon der Invasion der westlichen Kultur widersetzen? Nein.“

„Lernt was ihr könnt von anderen Kulturen. Wenn ihr es nicht mögt, ist das ok. Aber lasst so breite Verallgemeinerungen. Warum ist China nur so nationalistisch?“

„Warum behauptet der Internetuser Shang, dass China ein atheistisches Land sei? Oh, das steht vielleicht in der Satzung der Kommunistischen Partei. Aber in der Tat ist es genau umgekehrt, weil alle an die KP glauben sollen. [In diesem Sinn ist die KP wie eine Religion.] Ehe ich an die KP glauben muss, würde ich lieber Weihnachten feiern.“



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