Parteiquerelen in China: Ein Blick hinter die Kulissen

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China: Schlussveranstaltung vom Nationalen Volkskongress in Peking.Foto: AP Photo/Andy Wong
Von 17. März 2012

Am 14. März kritisierte der chinesische Premierminister Wen Jiabao auf einer Pressekonferenz mit ungewöhnlich harten Worten die Stadtregierung von Chongqing. Nur einen Tag  später, am 15. März, wurde Bo Xilai, der Parteichef der Metropolregion Chongqing, durch Zhang Dejiang ersetzt. „The Epoch Times“ befragte mehrere Spezialisten über dieses politische Erdbeben in China und ermöglicht so einen Blick hinter die Kulissen.

Der Umgang mit der Wahrheit

Die Niederlage von Bo Xilai beginnt mit dem Verrat von Wang Lijun, dem Polizeipräsidenten von Chongqing. Dieser flüchtete am 6. Februar ins amerikanische Konsulat und soll dort Beweismaterial von großer politischer Sprengkraft an die Amerikaner übergeben haben. Der politische Kommentator Cheng Xiang zog Parallelen zwischen dem Fall von Wang Lijun und dem Fall von Lin Biao in der Zeit von Mao Tsetung: „Damals wurde die Sowjetunion als Feind betrachtet und er (Lin Biao) flüchtete in die Sowjetunion. Diesmal wählte er (Wang Lijun) in der Kampagne ´Rote Lieder´ die westlichen Länder als Feinde und flüchtete am Ende ins amerikanischen Konsulat, um Schutz zu finden. Durch diese Fälle wird die Heuchelei der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gründlich offenbart.“

Der politische Analyst Wu Fan erkannte ebenfalls die Heuchelei der KPCh in der Rede von Wen Jiabao. Am 14. März hielt Wen Jiabao das letzte Mal als Premierminister eine Pressekonferenz. Am Anfang seiner Rede bedauerte er die Unvollkommenheit seiner Arbeit und fügte hinzu: „Ich wünsche ganz herzlich, dass ich, mit allen guten Dingen, die ich in meinem Leben für das Volk getan habe, vom Volk vergessen werde“.

Wu Fan sagt dazu: „Ich finde das sehr traurig … wenn man andere Politiker der Welt betrachtet, schreiben viele von ihnen eine Biographie und hoffen, dass die Menschen sie in guter Erinnerung behalten. Aber diese China-Kommunisten wünschen, dass man sie vergisst.“ Er meint, dass man daran erkennen könne, dass sie ein schlechtes Gewissen haben. Er erklärte: „Wenn sie etwas Gutes getan haben, wird das der KPCh zugeschrieben. Wenn irgendetwas schief geht, müssen diese Menschen die Verantwortung übernehmen …  Wen Jiabao muss die Verantwortung für viele Sachen tragen. Für den Fall von Gao Zhisheng ist er verantwortlich, bei der Verfolgung von Falun Gong kann er sich auch nicht herausreden … Es gibt so viele korrupte Beamte in China, wie kann er als Premierminister keine Verantwortung tragen?“

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Die Lage in China ist angespannt

Als am 15. März die Absetzung von Bo Xilai bekannt gegeben wurde, waren viele Anhänger des China-„altkommunistischen“ Gedankengutes in China unzufrieden. Sie riefen im Internet die Einwohner der Stadt Chongqing zum Protest auf. Ihre Parole lautet: „Gebt uns Bo Xilai zurück, gebt uns den Weg zu gemeinsamem Reichtum zurück.“ Im Gegenzug verstärkte die KPCh in verschiedenen großen Städten die Polizeikontrollen.

Gerüchten zufolge wurde bereits Militär nach Chongqing geschickt, um Proteste zu unterdrücken. Zhu Jianguo, ein unabhängiger politischer Analyst, hält diese Information für glaubwürdig. Er äußerte zu Apple Daily, dass die KPCh nicht zuerst abwarten und danach das Feuer löschen werde. „Militär hinzuschicken ist der sicherste Weg.“

Herr Lin, ein Einwohner der Stadt Guangzhou sagte zur Epoch Times, dass nach dem Volkskongress mehr Polizei in seiner Stadt zu sehen sei und dass die Polizisten mit Schusswaffen bewaffnet seien. Er fügte hinzu: „Jetzt ist die Situation in China sehr ernst. Man hat das Gefühl, dass jederzeit etwas Unerwartetes passieren kann.“

Hat Bo noch eine Chance?

Gerüchten zufolge ist Bo Xilai nach der Ankündigung seiner Entlassung trotz seines beträchtlichen Einflusses in „Schutzhaft“ genommen worden. Mit seinem Versprechen von einem „Weg zum gemeinsamen Reichtum“ und dem „Kampf gegen die Mafia“ gewann er in Chongqing große Beliebtheit. Außerdem wird er von den reaktionären Anhängern von Maos Ideen unterstützt.

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Journalist Zhou Fang schrieb in seinem Artikel, dass Bo Xilai während seiner Amtszeit die wirtschaftliche Statistik gefälscht habe. Für ihn und seine Beamten sei es viel wichtiger, Parolen zu rufen, als ihre Arbeit gut zu machen. Der sogenannte „Kampf gegen die Mafia“ habe einerseits dazu gedient, seine Feinde zu vernichten, anderseits habe er dadurch unberechtigterweise Geld beschlagnahmt. Diese Mittel habe er in staatliche Unternehmen gesteckt, die keinen Gewinn machen. Dadurch habe er den Hass des Volkes auf die Reichen geschürt. Dies habe er den „Weg zum gemeinsamen Reichtum“ genannt. Zhou Fang kritisierte seine Methoden und meinte, dass er eigentlich die Arbeitsscheuen unterstützt habe. Sein Weg führe eher zu gemeinsamer Armut.

Cheng Xiang glaubt nicht, dass Bo noch eine Chance hat: „Seine Hauptunterstützer sind die übriggebliebenen Anhänger von Mao Tse-tung. Die Anzahl dieser Menschen in China sei zwar sehr groß, aber sie haben keinen großen Einfluss. „Jeder weiß, dass sie nur ideologische Diskussionen führen wollen. Wer will wirklich in die Zeit von Mao zurückkehren? Deshalb ist die Basis von Bo Xilai nicht so stark wie man denkt.“

Xu Qingfa schrieb in seinem Mikroblog, dass er bereits am Anfang des Volkskongresses gedacht habe, dass das Parteizentrum Bo Xilai nicht nach Chongqing zurückkehren lassen werde. Außerdem prophezeite er, dass bald Berichte über den Selbstmord von hochrangigen Beamten in Chongqing erscheinen werden.

Jiang Weiping, ein ehemaliger Journalist der Zeitung Wenhui, ist der Meinung, dass die Niederlage von Bo Xilai und Wang Lijun nur ein Anfang sei. Danach würden politische Erdbeben in der Metropole Chongqing folgen.

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Was wird das Interregnum bringen?

Warum wurde ausgerechnet Zhang Dejiang, der als Jiang Zemin nahstehende Person eingeschätzt wird, der Nachfolger von Bo Xilai? Damit steht Zhang Dejiang im parteiinternen Konflikt eigentlich auf der Seite von Bo Xilai, der ebenfalls der Gruppe von Expräsident Jiang Zemin zugerechnet wird. Außerdem ist der Ruf von Zhang nicht besonders gut. Er wird beispielsweise verdächtigt, nach dem schweren Zugunglück im Juli 2011 den Befehl gegeben zu haben, die Wracks vor Ort zu vergraben, anstatt Menschenleben zu retten.

Nach Einschätzung von Wu Fan ist die Einsetzung von Zhang Dejiang ein Zeichen dafür, dass eine Vereinbarung zwischen den beiden feindseligen Gruppen der KPCh getroffen wurde.

Jiang Weiping meinte, dass diese Aufgabe eine Falle für Zhang sei. Als Nachfolger von Bo Xilai stehe Zhang der größten Herausforderung seiner politischen Karriere gegenüber. Er erklärte: „Bo Xilai hat eine Falle hinterlassen. Wenn sein Nachfolger den (im sogenannten „Kampf gegen die Mafia“) unschuldig verhafteten Menschen keine Gerechtigkeit bringe, werden ihre Familienangehörigen unzufrieden sein und sie werden sich ununterbrochen beschweren. Wenn der Nachfolger die Gerechtigkeit durchsetzt, wird die Lage instabil. Ausgelöst durch regionale Unruhen kann das Ganze zusammenbrechen.“

Gao Yu, ein langjähriger politischer Beobachter, vertritt die Meinung, dass der Einsatz von Zhang nur eine vorübergehende Lösung sei. Er sagte zu Apple Daily, dass Zhang nach Chongqing geschickt wurde, weil jemand mit dem gleichen politischen Rang wie Bo Xilai gebraucht wurde. Er vermutet, dass Zhang nach der 18. Parteiversammlung im Herbst wieder in Peking bleiben werde.

Parteiquerelen oder Mafiakrieg?

Am Schluss der Pressekonferenz kritisierte Wen Jiabao die Stadtregierung von Chongqing. Wu Fan meinte dazu: „Diese Rede hat die internen Kämpfe der KPCh offenbart. Hu Jintao und Wen Jiabao sind deutlich eine eigene Fraktion… Ihre großen Gegner sind Jiang Zemin, Zhou Yongkang, Bo Xilai und die anderen China-„Altkommunisten“, also die sogenannten ´Kronprinzen´.“

Wu Fan fügte hinzu, dass die Intensität des internen Kampfes in der KPCh jeden Tag zunehme. Er beschreibt die Situation folgendermaßen: „Wenn sich die KPCh reformieren würde, würde sie ihre Macht und ihre Vorteile verlieren … Wenn nicht, warten sie auf eine Revolution.“

Ai Weiwei schrieb in Twitter: „Es ist nicht wichtig, wer von ihnen seine politische Karriere beendet oder in den Parteiquerelen sein Leben verliert. Es handelt sich um interne Kämpfe der Mafia. Es bedeutet nicht, dass das Volk ein besseres Leben führen kann oder ein bisschen mehr Freiheit hat, nicht im Entferntesten.“

 

 

 



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