Unruhen in Tibet: „Unsere Kultur ist vom Aussterben bedroht“

Der Tibeter Denzin über die Vorfälle in seiner Heimat
Titelbild
Chinesische Polizisten zeigen Präsenz in Kangding, dem jahrhundertealten Handelszentrum der Han-Chinesen und Tibeter. (Teh Eng Koon/AFP/Getty Images)
Epoch Times21. März 2008

Mit Besorgnis sieht Denzin (Name von der Redaktion geändert), der heute in Deutschland lebt, die Entwicklung in seiner tibetischen Heimat. Im Gespräch mit Epoch Times Deutschland beleuchtet er die Hintergründe für die Unruhen und widerlegt schon jetzt die offiziellen Angaben über die Anzahl der Toten.

Nach Augenzeugenberichten zieht China in Tibet zurzeit immer mehr Militär zusammen. Die letzten ausländischen Journalisten wurden ausgewiesen, Telefone werden abgeschaltet und Handys konfisziert. Unabhängige Informationen aus Tibet zu bekommen wird immer schwieriger. Die Weltöffentlichkeit wird bald nur noch aus der Perspektive der Kommunistischen Partei über die Vorfälle in Tibet unterrichtet.

Am Tag des Interviews mit der Epoch Times Deutschland, am 20.3., telefonierte Denzin mit einem Freund in Tibet. Dabei erfuhr er folgendes: Am 10. März demonstrierten in der tibetischen Hauptstadt Lhasa rund 4.000 Menschen – Mönche und tibetische Zivilbevölkerung. Später breiteten sich die Demonstrationen in andere tibetische Regionen aus. Er hörte weiter, dass es am Sonntag dem 16.03. auch erste Demonstrationen in seinem Heimatort in der Provinz Amdo gegeben habe. Acht Menschen, von denen er auch einige persönlich kennt, seien schon an diesem Tag ums Leben gekommen. Die Zahl der Toten sei bis zum 19.03. allein in seinem Heimatort auf 20 angestiegen. Sie sollen bei den Demonstrationen erschossen worden sein.

Der ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Havel – selbst Opfer des Kommunismus – bei einem friedlichen Protest vor der chinesischen Botschaft in Prag. (Stringer/AFP/Getty Images)
Der ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Havel – selbst Opfer des Kommunismus – bei einem friedlichen Protest vor der chinesischen Botschaft in Prag. (Stringer/AFP/Getty Images)

Nachts gebe es nun eine Ausgangssperre. Wer sich nicht daran hält, werde sofort und ohne Vorwarnung erschossen, so die Drohung der chinesischen Besatzer. Am Tag dürfe man sich nur unter ständigen Passkontrollen auf der Straße bewegen. Den Angehörigen der Erschossenen sei es auch tagsüber nicht gestattet, ins Kloster zu gehen, um für die Toten zu beten, so wie es nach den buddhistischen Bräuchen vorgesehen ist, was die Lage weiter anspanne.

Die allgemeine Lage für die Bevölkerung werde immer schwieriger: Mobil- und Festnetztelefone funktionieren an vielen Orten jetzt nicht mehr. Auf dem Markt und in den Geschäften gebe es nichts mehr zu kaufen. Die meisten Informationen konnte Denzin von einem Freund erhalten. Weil alle Telefone abgehört werden, konnten sie nicht über Details sprechen, dies würde die genannten Personen und deren Verwandten in zu große Gefahr bringen.

ETD: Was sind die Gründe warum die Situation gerade jetzt eskaliert?

Denzin: Es ist einfach zu viel passiert, es hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Tibeter haben überhaupt keine Menschenrechte. Der Buddhismus ist sehr friedfertig und schadet niemandem. Wir haben immer wieder und immer wieder nachgegeben. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, wo die Sache explodiert.

Die Tibeter wollen Buddhismus praktizieren und ihr lebender Buddha ist der Dalai Lama. Die sechs Millionen Tibeter möchten ihn gerne sehen und wollen, dass er zurück nach Tibet kommt. Aber er ist jetzt schon alt geworden. Er mag als ein normaler Mensch erscheinen, aber wir glauben an ihn; wir glauben, dass er ein lebender Buddha ist.

ETD: Das chinesische Regime macht den Vorwurf, dass der Dalai Lama hinter allem steckt und Tibet von China abspalten will.

Denzin: Der Dalai Lama vertritt nicht diese Position, das ist absurd und undenkbar.

ETD: Wie steht es um die Gewaltbereitschaft der Tibeter?

Denzin: Zunächst haben die Mönche und die Zivilbevölkerung friedlich für die Menschenrechte demonstriert, sie haben niemandem etwas zuleide getan. Aber dann sind einige erschossen worden. Wenn man mitansehen muss, wie der eigene Sohn von chinesischen Polizisten einfach so erschossen wird und man dann noch nicht einmal für die Toten beten darf, dann konnten sich einige aus Verzweiflung nicht mehr zurückhalten. So kam es zu spontanen und leider auch gewalttätigen Vergeltungsaktionen.

ETD: Die chinesische Propaganda unterstellt den Tibetern, dass sie sich von China abspalten wollen und appelliert damit an das Nationalgefühl der Chinesen.

Tibetische Mönche drücken ihre Solidarität in ihrem Exil in Neu Delhi aus. (Manpreet Romana/AFP/Getty Images)Tibetische Mönche drücken ihre Solidarität in ihrem Exil in Neu Delhi aus. (Manpreet Romana/AFP/Getty Images)

Denzin: Wenn man die sechs Millionen Tibeter fragt, dann wird man von allen erfahren, dass sie ihre Freiheit wiederhaben wollen. Von einer kulturellen Freiheit Tibets profitieren beide Seiten. Die Tibeter folgen dem Dalai Lama. Die kulturelle und religiöse Freiheit ist das wichtigste für uns. Wenn es so weitergeht wird die tibetische Kultur ausgerottet sein und bald niemand mehr etwas über den Buddhismus wissen. Der Buddhismus ist sehr kostbar für die gesamte Menschheit, das darf nicht verloren gehen.

ETD: Können Sie ein konkretes Beispiel für die Unterdrückung der Tibeter nennen?

Denzin: Ich habe von einer Schule in meiner Heimat gehört, einer Klosterschule, die seinerzeit von reichen Tibetern gestiftet wurde. Es war eine sehr gute Schule, denn dort wurde die wahre tibetische Kultur vermittelt, die buddhistische Religion wurde dort gelehrt und die tibetische Sprache.

Aber dann hat die chinesische Regierung angeordnet, dass Chinesen dort unterrichten müssen, dem wurde stattgegeben. Danach hieß es, man müsse eine chinesische Flagge hissen, und man hat das getan. Dann sollten die Mönche Schuluniformen tragen. Einem Mönch ist es nicht erlaubt, etwas anderes als die Mönchskleidung zu tragen, aber gut, auch dies wurde getan. Dennoch ist am Ende die ganze Schule geschlossen geworden. Und bis heute blieb sie geschlossen.

Die junge Generation in Tibet kann keine tibetischen Schulen mehr besuchen. Sie erfahren nichts über die tibetische Sprache, die tibetische Kultur und die Religion. Es gibt einige wenige, die noch eine tibetische Erziehung bekommen, aber sie bekommen danach keinen Job. Also sind die Kinder gezwungen, in eine chinesische Schule zu gehen oder in China zur Schule zu gehen. Wenn sie fertig sind, können sie noch nicht einmal richtig die tibetische Sprache sprechen, geschweige denn, dass sie die tibetische Kultur kennen. Ich habe gerade das Beispiel einer Schule genannt. Solche Schulen sind geschlossen worden, obwohl man sich an alle Auflagen gehalten hat.

ETD: Was ist mit der jungen Generation, glaubt sie noch an den Buddhismus?

Denzin: Die Menschen über 30 praktizieren noch den Buddhismus, aber die Menschen unter 30 wissen nur noch sehr wenig darüber. Wenn diese dann Kinder bekommen, was können sie der darauf folgenden Generation noch über die tibetische Kultur vermitteln? Die tibetische Kultur ist vom Aussterben bedroht, deshalb gehen die Menschen auf die Straße.

ETD: Was meinen Sie: Werden die Mönche aufgeben oder weiter kämpfen? Kann internationaler Druck, über die Olympischen Spiele etwa, helfen, diese Krise zu lösen?

Denzin: Wir möchten nicht, dass etwas Schlimmes passiert. Wir sind auch nicht gegen die Olympischen Spiele. Wir finden es gut, wenn Menschen friedlich zusammenkommen. Aber wenn die Angehörigen einfach erschossen werden und es nicht einmal erlaubt wird ins Kloster zu gehen, um für sie zu beten, dann ist es sehr schwer für die Menschen friedlich zu bleiben.

Ich hoffe sehr, dass der Dalai Lama und Premierminister Wen Jiabao zu einem friedlichen Dialog zusammenkommen, um dieses Problem zu lösen. Der Dalai Lama ist genauso ein Führer wie der chinesische Präsident, warum sollten sie sich nicht zum Gespräch treffen? China hat heute viele Beziehungen in aller Welt. Viele Mensch kümmern sich heute nur ums Geld. Über einen Boykott der olympischen Spiele möchte ich nichts sagen, das müssen die Länder selbst entscheiden.

ETD: Ist das Leben in Tibet besser geworden seit dem Einmarsch der Kommunisten?

Denzin: Der sogenannte Fortschritt in Tibet dient vor allem den Chinesen selbst. Es ist ein Fortschritt an der Oberfläche. Es gibt Straßen, Eisenbahnen und Flugzeuge, und der Potala-Palast in Lhasa (ehemals Regierungssitz Tibets) und unsere Klöster werden heute von den Touristenströmen ruiniert. Die Tibeter selbst haben wenig vom Fortschritt profitiert. In unserer Kultur kümmern wir uns nicht so sehr um die Oberfläche der Dinge.

Das Gespräch führte Andreas Kronen



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