Warum verbrannte Tamdin Thar in Tibet sich selbst?

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Leben der nomadischen Hirten in Tibet in Gefahr.Foto: Cancan Chu/Getty Images
Von 24. Juni 2012

 

Ein tibetischer nomadischer Hirte setzte sich am Freitag, dem 15. Juni, in der im zentralen Westen von China gelegenen Provinz Qinghai selbst in Brand. Er protestierte damit gegen die jahrzehntelange Besetzung von Tibet durch das chinesische Regime. Seine Selbstverbrennung hatte Massendemonstrationen der Tibeter zur Folge und eine anschließende Razzia durch Sicherheitskräfte.

Tibetische Menschenrechtsorganisationen sagten, dass der etwa 60-jährige Tamdin Thar starb, nachdem er sich in Chentsa nahe der Grenze der autonomen Region Tibets vor einem Polizeigebäude selbst in Brand gesetzt hatte.

Das in Indien stationierte Tibetan Centre for Human Rights and Democracy sagte zu Radio Free Asia (RFA), dass Tamdin Thar ein Nomade gewesen sei, den man gemäß der „Strategie der Umsiedlung der Nomaden“ des chinesischen Regimes gezwungen hatte, nach Chentsa zu ziehen.

Zwei Tage zuvor, am 14. Juni, hatte der Publizist und Tibetkenner Klemens Ludwig, in Mönchengladbach einen Vortrag gehalten über „Nomaden in Tibet – eine faszinierende Lebensweise in Gefahr“.

Klemens Ludwig war lange Zeit zweiter hauptamtlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker. Von 1994 – 2000 war er Vorsitzender der Tibet Initiative Deutschland e. V und seit 2004 ist er Chefredakteur der damals gegründeten Zeitschrift der Tibet Initiative, Brennpunkt Tibet.

Klemens Ludwigs erste Reise nach Tibet fand 1986 statt. Seit der Zeit hat er das Land häufig bereist, bis ihm die chinesischen Behörden 2004 erstmals ein Visum verweigerten. Er unterhält jetzt enge Kontakte zu den Exiltibetern in Nordindien, Nepal und der Schweiz.

In seinem Vortrag findet sich die Antwort auf die Fragen nach den Hintergründen und Ursachen für die Verzweiflungstaten von Tamdin Thar und anderen tibetischen Nomaden:

Das frühere Tibet wurde sehr geprägt durch Hirtennomaden. Die nomadische Lebensweise war stark verbreitet. 48 Prozent der Bevölkerung des alten Tibets lebten als Nomaden, 25 Prozent als Bauern und nur wenige Tibeter waren Händler oder lebten als Städter. Selbst im Nord-Westen Tibets, wo extreme klimatische Bedingungen herrschen, lebten 500.000 Nomaden.

Das Rückrat der nomadischen Gesellschaft waren Schafe und Yaks, von denen man das Fleisch, die Milch und die Felle nutzte, und Pferde. Selbst der Dung der Tiere wurde als Brennstoff und Baumaterial genutzt.

Eine Herde bestand oft aus ca. 10.000 Schafen und 1.000 Yaks. Das Minimum, um von einer Herde leben zu können, waren 500 Schafe, 35 Yaks und fünf Pferde, das Maximum 30.000 Schafe, 4500 Yaks und 800 Pferde.

Tibet war ein unabhängiges Land. Die tibetischen Nomaden waren selbstbewusste, stolze Menschen, die unter teils extremen Temperaturverhältnissen und schwierigen Bedingungen lebten, aber damit zufrieden waren. Sie empfanden eine große Wertschätzung gegenüber dem Leben, führten ein extrem nachhaltiges Leben und pflegten ein sehr soziales Gemeinschaftsgefüge, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Schon lange hatten die tibetischen Nomaden unter den Kampagnen des chinesischen kommunistischen Regimes zu leiden.

Beim Großen Sprung nach vorne (1958 – 61 unter Mao) passten die Nomaden nicht ins Bild und man versuchte das nomadische Leben einzuschränken, was aber nicht gelang. Die Nomaden konnten sich später von dieser Kampagne wieder erholen.

Bei der Kulturrevolution (1966 – 76) wurden alle kulturellen alten Werte vernichtet. Der Versuch des chinesischen Regimes, die Nomaden sesshaft zu machen, scheiterte.

Weiterlesen auf Seite 2: „Kampf der Erosion“

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So blieb bis 1990 die Situation der tibetischen Nomaden relativ stabil.

Eine Kampagne der chinesischen Regierung wird zur Zeit unter dem ökologischen Vorwand „Kampf der Erosion“ durchgeführt, dient aber in Wirklichkeit dazu, die nomadische Lebensweise auszurotten.

Man machte die Nomaden für die Erosion verantwortlich, da es angeblich zu viele nomadische Hirten gäbe, was zu einer Überweidung des Hochlandes führe. Aber die wirkliche Ursache für extreme Erosionserscheinungen ist die starke Abholzung der Wälder in Osttibet durch die Chinesen.

So wurden die Herden der Nomaden eingezäunt, was eine zu starke Abweidung der Wiesen zur Folge hatte. Daraufhin verkleinerte man ihre Herden. Die tibetischen Nomaden wurden gezwungen, in trostlose Beton-Wohnsiedlungen zu ziehen. Nur einige bekamen Entschädigungen, viele nicht. Zudem siedelte man hunderttausende Chinesen im Hochland Tibets an, die auch die vorhandenen Arbeitsplätze bekommen.

Dies führte zum Verlust des Identitätsgefühls und des Lebensinhaltes der Nomaden. Viele flüchten sich in ihrem Leid in den Alkohol. So schreitet die Zerstörung der nomadischen Struktur fort.

Das Ziel der chinesischen Regierung ist es, bis 2015 alle tibetischen Nomaden vom Grasland vertrieben zu haben. Ganz offensichtlich geht es dabei aber nicht um ökologische Themen sondern darum, die Lebensweise der Nomaden in Tibet vollkommen auszulöschen.

Niemand wusste an jenem Freitag in Mönchengladbach, dass in Tibet wieder ein Mensch sich vorbereitete auf die letzte Verzweiflungstat der Selbstverbrennung.



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