Chinas (Wirtschafts-) Aussichten für 2011

Titelbild
Sacharow-Menschenrechts-Preisträger Wei Jingsheng, chinesischer Menschenrechtler, lebt seit 1997 in den USA nach 18 Jahren Haft in China.Foto: Mandel Ngan/AFP/Getty Images
Von 17. Januar 2011

Das Jahr 2011 beginnt und jeder fragt sich, was das wohl für ein Jahr geben wird. Was China angeht, hat schon jeder erkannt, dass es das Ende der Straße erreicht hat, auf der es durch billige Arbeit beim Güterexport Reichtum angesammelt hat, die Straße, die es seit der Deng Xiaoping-Ära entlang ging. Chinas Inlandsmarkt ist geschrumpft, während sich die Ungleichheit zwischen den Armen und Reichen verschärft hat, und das gleichzeitig mit den sich ausdehnenden Einbußen in den Ländern, in die es exportiert. All diese Probleme haben ihre Grenze erreicht.

Die Reaktionen der Länder, die chinesische Güter importieren, haben sich vollständig verändert. Durch die Abhängigkeit von der Lobbyarbeit der großen Unternehmen, die mit ihrem Handel mit China Gewinne machen, wird es für die chinesische Regierung zunehmend schwierig, ihre Bemühungen in ihrer Strategie, sich selbst zu nützen indem sie anderen schadet, beizubehalten. Die Handelsbarrieren verschiedener westlicher Länder haben die letzten Jahre stetig zugenommen. Vor einigen Jahren geschah das noch verdeckt; die typischsten Fälle waren die europäischen Länder und Japan. Sie verwendeten hauptsächlich zoll-fremde Maßnahmen, wie Zollkontrollen und andere Hürden, um die Einfuhr chinesischer Güter in ihre Märkte zu erschweren. Aber diese Maßnahmen verhinderten das Dumping billiger chinesischer Güter nicht wirklich und konnten darüber die chinesische Regierung nicht dazu ermuntern, seine Strategie des billigen Exportes zu verändern und stattdessen Chinas Inlandsmarkt zu erweitern.

Weil sich die Vereinigten Staaten dem europäischen Modell der zoll-fremden Handelsbarrieren nicht anschlossen, änderte sich die Form des Welthandels nicht grundlegend. Aber seit letztem Jahr erhöht sich in den Vereinigten Staaten der Druck durch die öffentliche Meinung. Obwohl die Lobby der großen Unternehmen keine Anstrengung scheut und sogar so weit geht, dass es immer Gruppen gibt, die darauf warten, sich mit dem Sprecher des Hauses zu treffen, konnte sich der Kongress dem Druck der öffentlicher Meinung bisher nicht widersetzen. Dies ist doch ein demokratisches Land, und völlig verschieden von dem, was in China passiert, wo das Schicksal des ganzen Landes von einigen wenigen Führern bestimmt wird. Jetzt müssen die Vereinigten Staaten beginnen, eine robuste Handelspolitik zu entwickeln.

In dieser Situation versteht sogar die chinesische Führung, dass sie einen Neuanfang machen muss. Ihre Strategie wirtschaftlicher Ausdehnung muss aufhören. Sie muss eine normale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Das bedeutet, den mit dem Wirtschaftswachstum synchronisierten Inlandsmarkt zu erweitern und das Einkommensniveau des Volkes zu heben, die Wachstumsrate zu bremsen, die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern und die überzählige Produktionskapazität, die aus verhinderten Exporten resultiert, in den erweiterten Inlandsmarkt zu integrieren.

Diese Prozesse sind die einzige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass sich Chinas wirtschaftlicher Rückgang in den nächsten paar Jahren nicht zum Ausmaß der Großen Depression der 1930er Jahre in den Vereinigten Staaten entwickeln wird. Eine direkte Ursache dieser Depression war die radikale Abnahme an Exporten, die Geschäfts-Schließungen und eine Deflation bewirkten, was wiederum eine Kettenreaktion von Konkursen auslöste und wodurch noch mehr Arbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Sobald eine Domino-Kettenreaktion beginnt, ist es schwierig, sie anzuhalten; und so kam es zur Großen Depression.

China ist jetzt in einer Situation, die der von den USA damals sehr ähnlich ist, aber nicht gleich. Damals war der US-Inlandsmarkt relativ gesättigt und es war unmöglich, die Löhne zu erhöhen, um auf diese Weise den Markt rasch zu erweitern. Aber die aktuelle Situation in China ist anders. Im Verlauf der Jahre ist das tarifliche Niveau ganz bewusst niedrig gehalten worden, während die chinesische Währung, der RenMinBi-Wechselkurs auch ganz bewusst gedrückt worden ist. Objektiv ist ein großes Potenzial vorhanden, den Inlandsmarkt Chinas zu erweitern. Dies ist der größte Unterschied zur Großen Depression von 1930 in den Vereinigten Staaten.

Ein weiterer großer Unterschied besteht darin, dass China keine wirkliche Marktwirtschaft ist. Sein Importmodell ist voller zoll-fremder Handelsbarrieren. Diese Politik ist jetzt einer der Hauptgründe für die aktuelle Hyperinflation. Vor allem laufen die Importe alles andere als glatt, und so können sich die Inlands- und Auslandsmärkte nicht abgleichen, und die Wechselkursrate kann sich auch nicht selbst regulieren. Sobald die Exportwachstumsrate angehalten oder reduziert wird, während das Produktivitätswachstum weiter geht, ist Inflation die unvermeidliche Selbst-Regulierung.

Um dieses Selbst-Regulierungsmodell zu verändern, müssen wir dieses vernunftlose Wirtschaftmodell verändern und die schnelle wirtschaftliche Entwicklung anhalten, die auf Kosten der anderen geht. Mit anderen Worten, wir müssen das Modell auswechseln, das Reichtum anhäuft, indem es die Interessen des einfachen chinesischen Volkes schädigt. Zum Zweiten müssen wir das Modell ausrangieren, das darauf baut, die Märkte der Importländer auszubeuten, um Exporte auszuweiten. Dann wäre der Weg frei für eine Selbstregulierung sowohl für die heimischen als auch die Auslandsmärkte, während wir das Einkommen der einheimischen Arbeiter ständig verbessern und den Inlandsmarkt in China erweitern. Diese Politik kann die Hyperinflation in China innerhalb eines Jahres lösen und würde China allmählich auf den Weg der nachhaltigen Entwicklung führen.

Eine solche Wandlung im wirtschaftlichen Modell ist für die einheimischen und internationalen wirtschaftlichen Verbindungen gut. Das Einkommen der Arbeiter Chinas wird steigen und das Realeinkommen von Jedermann wird zunehmen, wenn sich die Inflation verlangsamt. So könnten die einfachen Leute besser leben, während die Gesellschaft stabiler als jetzt wäre. Die Ausweitung des Inlandsmarktes in China wird sich positiv auf die künftige wirtschaftliche Entwicklung auswirken, die ihre Dynamik innerhalb von einem oder zwei Jahren zeigen würde.

Eine solche Politik wird wichtige positive Wirkungen auf die internationalen Verbindungen haben. Die Exporte nach Industrieländern werden weniger werden und Importe zunehmen. Daraus resultiert eine Verringerung der Handelsüberschüsse sowie eine Verringerung der Handelskonflikte. Es würde helfen, die Wirtschaftswachstumsrate der Industrieländer zurück zu bringen, was wiederum helfen wird, sie aus der Rezession zu holen. Nach einem Jahr oder zwei würden die Märkte der Industrieländer mit ihren jetzt wachsenden Wirtschaften ihre Importe automatisch erweitern und dann auch Chinas Exporte wieder fördern. So könnte die ganze Welt aus dieser Wirtschaftskrise herauskommen.

Warum hat so eine gute Sache für jeden mit Rückschlägen zu kämpfen? Warum verstehen so viele Wirtschaftswissenschaftler und Regierungspolitiker das nicht? Es ist nicht wirklich, dass sie nicht verstehen, sie betrachten die Frage aus einer anderen Perspektive. Von diesen Maßnahmen werden die meisten Leute profitieren, aber große Unternehmen und ihre Nutznießer werden Geld verlieren, deshalb sehen sie den Nutzen nicht und können nicht verstehen. Deshalb ist es nicht wirklich wegen des fehlenden Verständnisses, sondern wegen ihrer anderen Einstellung.

Einen Rückgang an Exporten sähen einige Leute in China logischerweise nicht gern. Diese Leute sind die Geschäftsleute, die ein Vermögen durch Exporte machen und dazu die korrupten chinesischen Beamten, die großes Geld an diesen Geschäftsleuten verdienen. Deshalb will das chinesische Wirtschaftsministerium es nicht und die meisten der gegenwärtigen Bürokraten der anderen Ebenen der Hierarchie wollen es auch nicht. Wenn hochwertige importierte Güter auf den chinesischen Markt kommen, werden sie Chinas einheimische Produzenten zum stufenweisen Abbau zwingen. Die Leute, deren Unternehmen während der industriellen technologischen Konzentration und der Abgleichungsphase allmählich abgeschafft werden, sowie die örtlichen chinesischen Beamten, die reich wurden, indem sie diese Produzenten von Billig-Gütern anzapften, wollen es nicht. Und natürlich wollen es große westliche Unternehmen auch nicht, die ein großes Vermögen machten, indem sie den Billig-Gütermarkt monopolisierten und genauso wenig jene Wirtschaftswissenschaftler, die von ihnen bezahlt werden.

Das ist der Grund, weshalb so viele kluge Leute in der Welt plötzlich etwas einfältig erscheinen. Der wirtschaftliche Status ist stärker als der Wille dieser Leute. Die demokratische Gesellschaft im Westen wird es keinem Politiker oder Wissenschaftler erlauben, die Leute für längere Zeit zu narren, indem sie sich dumm stellen. Die Rezession in Europa und den USA hat schließlich die chinesische Regierung gezwungen, die Falschmeldung, die sie in die Welt gesetzt hat, zurückzunehmen. Der sich abzeichnende wirtschaftliche Zusammenbruch Chinas und die zunehmende Zahl derer, die in extreme Armut absinken, zwingt auch die chinesische Regierung, seine Strategie, anderen für den eigenen Nutzen zu schaden, aufzugeben.

Es bleibt abzuwarten, ob die großen Kapitalisten in China fähig sein werden, diese Wirklichkeit in Weisheit anzunehmen oder nicht. Wenn sie es annehmen, werden alle ein besseres Leben haben, abgesehen von diesen Kapitalisten, die etwas von ihrem Profit verlieren. Wenn sie es nicht annehmen, dann werden sie zusammen mit der Kommunistischen Partei Chinas kollabieren. Ins Ausland zu fliehen, ist für sie nicht sehr aussichtsreich, weil das chinesische Volk, das seit vielen Jahren Hass gegen sie angesammelt hat, sie nicht weglaufen lassen wird, und die internationale Gesellschaft, die dann diese Chance verloren hat, ihre Krise zu meistern, wird ihnen auch kein Asyl gewähren.

Wei Jing Sheng ist einer der bedeutendsten politischen Dissidenten Chinas. Er wurde durch seine Forderung nach Demokratie bekannt und verbrachte deshalb 18 Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern. Seit 1997 lebt er in den USA, wo er sich weiterhin für die Demokratisierung Chinas einsetzt. Er hat den Robert Kennedy-Preis, den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments und den Demokratiepreis der staatlichen Demokratie-Stiftung Amerikas bekommen.

Der Kommentar von Wei Jingsheng ist unter folgendem link zu hören:

http://www.weijingsheng.org/RFA/RFA2010/WeiJS101228ChinaWayOut32NewYear2011.mp3

(Geschrieben und aufgezeichnet am 28. Dezember 2010. Gesendet vom Radiosender free asia)

www.weijingsheng.org



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