Das „Besänftigungs-Szenario“

Kaffeesatz-Lesen auf republikanisch
Von 1. Februar 2008

So eigenartig es klingen mag, auf dem Weg in die Rezession verhielt sich China normal. Im Einklang mit anderen asiatischen Ländern verzeichnete der Shanghai Composite Index, der wichtigste Index Chinas, zwei Tage lang seinen größten Verlust in der Geschichte. Ein eindeutiges Zeichen für die Integration Chinas in die Weltwirtschaft? Ja, absolut, wenn es nach denen geht, die daran glauben, dass Amerikas Handel mit dem Reich der Mitte fast alle Probleme der USA und der Volksrepublik lösen würde. Die Durchdringung des chinesischen Marktes und der dortige Reichtum würden unausweichlich zu Reformen in der Kommunistischen Partei Chinas führen. In seinem Buch „The China Fantasy“ nennt der Autor, James Mann, diesen Glauben „das Besänftigungs-Szenario“.

Eine Davoser Minute lang gab es sogar albernes Endzeit-Geschwätz darüber, wie die schnell wachsende chinesische Wirtschaft den angeschlagenen Riesen Amerika aus der Rezession führt. Der US Investmentbanker George Soros dürfte in diesem Punkt der Denkweise der chinesischen Führung etwas näher sein, er sagte in der Financial Times ein anderes Endzeit-Szenario voraus:

„ … die derzeitige Finanzkrise wird weniger wahrscheinlich zu einer globalen Rezession führen als zu einer radikalen Neuordnung der globalen Wirtschaft mit einem relativen Abschwung der USA und einem Aufschwung Chinas und anderer Staaten in den Entwicklungsländern“.

Das sind nicht gerade besänftigende Worte. Der größte Aufschwung Chinas, die jährliche Erhöhung des Militärbudgets auf das Doppelte der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts, die interne chinesische Überwachung und die externe Computer-Hackerei, zeigt die wahre Denkstruktur.

Bisher hat China kaum eine Nebenrolle im amerikanischen Präsidentschaftsrennen gespielt. Duncan Hunter, der einzige republikanische Kandidat, der China zu einem Teil seiner Kampagne machte, kam in den Umfragen nie über zwei Prozent hinaus und zog sich vor kurzem zurück. Bei den übrig gebliebenen republikanischen Kandidaten lassen sich noch weniger Hinweise finden, wie sie ihre Beziehungen mit der wachsenden Supermacht gestalten würden.

Ron Paul beanspruchte das „Besänftigungs-Szenario“ schon 2001, indem er nach der Spionage-Flugzeug-Krise vor dem Kongress sagte: „Wir müssen weiterhin daran glauben und darauf vertrauen, dass der Handel mit China Amerika nützt …

Es ist eine Tatsache, dass der Handel dabei geholfen hat, die aktuelle Krise ohne militärische Auseinandersetzung zu lösen.“ Doch Mitglieder der US-amerikanischen Wirtschaftsgemeinde in Peking sahen das anders: die chinesische Führung sei völlig uninteressiert an derartigen Meinungen hieß es; das Regime wolle eine Entschuldigung, wenn nicht gar einen Kotau, von der Bush-Regierung. China bekam, was es wollte. Paul könnte das gewußt haben, stellte aber möglicherweise seinen durchgängig liberalen Standpunkt über die Tatsache, wie die US-Wirtschaftstreibenden allmählich von der Wirtschaftsmacht Chinas eingenommen werden.

Das „Besänftigungs-Szenario“ geht durch politische Bruchlinien hindurch. Pauls Kontrahent, Mike Huckabee, sagte in einem Interview mit dem Time Magazine: „Die gute Nachricht ist, dass China immer mehr ein Teil der politischen Mitte wird. Sowohl in seiner wirtschaftlichen Entwicklung als auch in den größeren Freiheiten, die es den Menschen gibt.“ Huckabee dürfte sich hier vor allem auf die chinesische Freiheit bezogen haben Coca Cola anstatt Pepsi zu kaufen. Denn laut unabhängiger Sichtweisen, von Amnesty International bis zum State Department, wird die Freiheit, politische oder religiöse Wahlen zu treffen, in China immer geringer. Vielleicht weiß Huckabee das nicht oder er trägt einen Hauch des andauernden Optimismus in sich, ähnlich wie ihn sich manche Evangelikalen bewahrten, egal wie viele chinesische Christen eingesperrt wurden und werden.

In der Debatte in Detroit verknüpfte Mitt Romney nahtlos wirtschaftliche Bedenken mit der Sprache einer wichtigen Wählergruppe: „Ich möchte sichergehen, dass die amerikanischen Arbeiter einen fairen Anteil bekommen. Wir müssen sicherstellen, dass die Chinesen ihre Währung frei geben und dass sie unsere Designs und Patente und unsere Technologie benutzen.“ Romney ist sich klar, dass Amerika vor einer einmaligen wirtschaftlichen Herausforderung durch China steht. Seine Vergangenheit zeigte, dass er ein fähiger Verhandler sein könnte. Aber wie weit? Romney glaubt möglicherweise nicht völlig an das Besänftigungs-Szenario, ist jedoch zurückhaltend wenn es darum geht, die strategische chinesische Bedrohung herauszufordern. Als ob das eine selbsterfüllende Prophezeiung werden könnte. Auch die chinesischen Menschenrechte dürften kein Thema für Romney sein.

In Detroit verteidigte ein anderer Kandidat der Republikaner, John McCain, den Handel mit China. Dabei hatte er in früheren Reden das „Besänftigungs-Szenario“ angezweifelt: „Der neue Reichtum in China hat nicht die politischen und zivilen Reformen mit sich gebracht, die viele Menschen in den USA und Europa erwartet hätten. Heute ist China weiterhin ein Ein-Parteien-Staat, in dem Religions-, Versammlungs- und Redefreiheit fehlen. Als Amerikaner ist es unsere Pflicht, dagegen anzugehen…Mit jedem Export von Weizen oder Software müssen auch die Werte mitreisen, die seit je her die stärkste Quelle unserer Größe gewesen sind.

Menschenrechte dürften ganz klar unter diesen Werten sein. Dafür spricht die Aussage des US Senators Guantanamo zu schließen. Aber wie viel Druck wird McCain tatsächlich ausüben? Die Regierung Bush wollte einen harten Kurs mit China fahren. Doch nach 9/11 kooperierten chinesischer und amerikanischer Geheimdienst im Bereich Anti-Terror.

Der Republikaner Rudy Giuliani könnte den Spagat schaffen. In Detroit zeigte er Reagan-ähnlichen Optimismus: „China und Indien versuchen, sich weiterzuentwickeln, um so zu werden wie wir. Deshalb haben wir verdammt viel, das wir ihnen verkaufen können, wenn wir nur unsere Unternehmer-Hüte aufsetzen und wie selbstbewusste Amerikaner auftreten.“ In Orlando beschwor er Reagans Politik aus den Zeiten des Kalten Krieges, als man die Sowjets bei den militärischen Ausgaben überbot: „…Wenn wir die Größe unseres Militärs erhöhen würden…würde das ein starkes Signal sowohl nach Russland als auch nach China sein, uns nicht auf dem Weg herauszufordern.“ Man fragt sich, wie lange Giuliani diese Ersatz-Reagan-Position aufrecht erhalten kann. Zudem trägt Reagan selbst eine gewisse Verantwortung für die Erfindung des „Besänftigungs-Szenarios“, als er China 1984 „dieses sogenannte kommunistische Land“ nannte.

Doch jetzt bewegen wir uns auf Neuland; hat der US Investmentbanker George Soros recht? Ist das amerikanische Modell überflüssig, ist der Staatskapitalismus, frei von sentimentalen Anschauungen, Demokratie und Menschenrechten, die Zukunft? Reagan verstand Kommunismus nur in seiner klassischen Form, er hätte aber höchstwahrscheinlich erkannt, dass die derzeitige Situation weit entfernt von besänftigend ist –egal wie weit der Shanghai Composite Index auch fallen mag.



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