Kollabiert Chinas Wirtschaft unter acht Prozent Wachstum?

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Auch Wolkenkratzer wachsen nicht endlos in den Himmel.Foto: AFP/Getty Images
Von 28. November 2012

 

Es ist wie in dem Film „Speed“: wenn der Bus zu langsam wird, fliegt er in die Luft. Jahrelang propagierte die chinesische Regierung das Mantra, dass die Auswirkungen ähnlich katastrophal sein werden, sollte das Wirtschaftswachstum unter acht Prozent fallen. Aber gerade jetzt, in der unsicheren Phase des Führungswechsels in China, gab der designierte Premierminister Li Keqiang bekannt, dass die zukünftige Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft auf sieben Prozent sinken werde.

Die chinesischsprachige Epoch Times, Dajiyuan, berichtete, dass Li Keqiang am 21. November auf einer Sitzung des Staatsrats das neue Wachstumsziel bekannt gegeben habe. Damit fällt eine psychologisch wichtige Grenze. Infolgedessen ließen die Spekulationen über gesellschaftliche Unruhen und den bevorstehenden Sturz der Regierung nicht lange auf sich warten. Dann stellt sich die Frage, wie es zu verstehen ist, dass sieben Prozent Wachstum – was für viele andere Länder immer noch sensationell wäre – für China den Kollaps bedeuten könnten? In einem Land, in dem Statistik Verhandlungssache ist und wo je 28 Bürger einen Beamten bezahlen müssen, scheinen acht Prozent jedoch die minimale Anforderung zu sein.

Sind acht chinesische Prozent in Wirklichkeit nur ein Prozent?

Dass das Wirtschaftswachstum in China mindestens acht Prozent betragen muss, wurde zuerst vom ehemaligen Premierminister Zhu Rongji im Jahr 1997 festgelegt.  Im Jahr 2009 wurde das Ziel noch einmal von der chinesischen Regierung bekräftigt. Nach Erklärung der Webseite chinavalue.net kommen in China 20 Millionen Menschen pro Jahr auf den Arbeitsmarkt. Nur mit einem Wirtschaftswachstum von mindestens acht Prozent  können ausreichend neue Arbeitsplätze geschaffen und gesellschaftliche Unruhen vermieden werden. Das ist die offizielle Begründung, warum acht Prozent Wirtschaftswachstum als minimale Anforderung für eine stabile Gesellschaft  in China definiert wurden.

Manche Chinesen sind jedoch skeptisch, ob acht Prozent Wirtschaftswachstum überhaupt jemals erreicht worden sind. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass die Statistiken in China nicht vertrauenswürdig sind. Die Wirtschaftsexpertin He Qinglian erklärte in ihrem Vortrag „Von Beamten definierte Zahlen und von Zahlen beförderte Beamte“ in Washington D.C. im Jahr 2004, wie chinesische Wirtschaftsstatistiken entstehen. Jedes Jahr im Oktober, wenn die vielen Beamten auf den Dörfern und in den Landkreisen ihre Jahresberichte beginnen müssen, werde viel kommuniziert, weil keiner sich zu gut oder zu schlecht darstellen wolle. Durch intensiven Vergleich und umfangreiche Absprachen entstehen dann die Zahlen.

Auf der Provinzebene entstehen die Statistiken sogar durch Verhandlung. He Qinglian nahm die Provinz Anhui zum Beispiel. Als der Vize-Gouverneur dieser Provinz über ein jährliches Wachstum von 28 Prozent berichten wollte, seien Beamte des statistischen Amtes dagegen gewesen, weil diese Zahl zu hoch und nicht realistisch sei. Nach langen und harten Verhandlungen haben sie sich für deutlich „mehr Realismus“ entschieden und auf 22 Prozent geeinigt. Daher habe die Provinz Anhui jahrelang über ein Wirtschaftswachstum von 22 Prozent berichtet.

Nach Berichten von Dajiyuan habe der designierte Premierminister Li Keqiang im Jahr 2007 während eines Abendessens mit dem US-Botschafter erklärt, dass er persönlich die Wirtschaftslage anhand des Stromverbrauchs, des Eisenbahntransportvolumens und der Menge an vergebenen Krediten einschätze. Dabei ist zu bemerken, dass Li Keqiang einen Doktortitel für Wirtschaftswissenschaft hat und als der Mann in der neuen Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gilt, der Ahnung von Wirtschaft hat.

Wie ist dann die Wirtschaftssituation in China tatsächlich? Zangshan, Journalist der Dajiyuan, hat die Wirtschaftslage des Perlflussdeltas in China mit Hongkong verglichen. Dabei nahm er die Mietpreise, die Anzahl neu geöffneter und geschlossener Geschäfte, die Arbeitslosenquote und andere Kriterien aus den Jahren 1997, 1998 und 1999 als Grundlage. Er kam zum Ergebnis, dass die Kontrollkriterien bei acht Prozent Wachstum in China denen bei einem Prozent Wachstum in Hongkong ähneln. Wenn seine Vermutung wahr ist, dann hat die Zielsetzung von acht Prozent plötzlich eine ganz andere Bedeutung: Weniger als acht chinesische Prozent könnten wohl ein sogenanntes negatives Wirtschaftswachstum bedeuten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Funktioniert die chinesische Wirtschaft wie ein Schneeballsystem?

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Es gibt nicht nur Zweifel an der Statistik, sondern auch Vermutungen, dass die Wirtschaft in China an sich wie ein Schneeballsystem funktioniert. Niu Dao, Autor mehrerer Bücher über chinesische Wirtschaft, stellt die These auf, dass dieses Schneeballsystem bei einer Wachstumsrate unter acht Prozent zusammenbrechen werde und massive gesellschaftliche Probleme verursachen könne.

Er begründet seine Meinung damit, dass die vier Billionen Yuan (etwa 500 Milliarden Euro) an Investitionen, die die chinesische Regierung im Jahr 2009 tätigte, nur durch Anwerfen der Druckerpresse möglich gewesen seien. Die Projekte der Regierung erzielen jedoch keine Gewinne und die Regierung häufe so immer neue Schulden an, um die alten zurückzuzahlen. Mit einer Wachstumsrate von weniger als acht Prozent gerate das Schneeballsystem aus Kreditaufnahme zur Schuldentilgung in die Schieflage. Dazu komme noch ein anderer Aspekt: die Arbeitslosigkeit. Nach Berechnung von Niu Dao steigt die Anzahl der Arbeitslosen um etwa 10 Millionen, sobald das BIP um 0,5 Prozent sinkt. Mit Ausbruch einer Schuldenkrise könnte das Wachstum schnell auf fünf Prozent fallen. Das bedeute viele neue Arbeitslose und könne zu schweren gesellschaftlichen Unruhen führen.

Dajiyuan betrachtet einen anderen Aspekt und sieht das politische System in China als eine schwere Belastung für die chinesische Wirtschaft an. Der Erlös des Aufschwungs kommt nicht der Wirtschaft zugute, sondern fließt in die Finanzierung des politischen Wasserkopfes. Der Wirtschaftsexperte Jie Sen erklärte, dass die Jahreseinnahmen der Regierung in China in der Vergangenheit um mehr als 20 Prozent pro Jahr gestiegen seien. Das sei das Zwei- bis Dreifache des Wirtschaftswachstums. Mit diesem Geld werden die vielen Beamten bezahlt. Nach Berichten von Dajiyuan müssen je 28 Chinesen einen Beamten bezahlen, in Japan seien es 150, in Frankreich 164 und in den USA 187. Ein weiteres Problem sei, dass die gesamte chinesische Wirtschaft unter der Kontrolle einiger weniger Parteimitglieder stehe. Dajiyuan zitierte die Aussage von Professor Ren Jiantao, denen zufolge 200 Familien in China 200 Branchen unter Kontrolle haben.

Dass die Gesellschaft in China bis heute einigermaßen stabil geblieben ist, liegt nach Einschätzung von Niu Dao daran, dass das Volk trotz geringem Anteil am Wachstum eine Stabilität oder eine gewisse Verbesserung seiner Lebensqualität feststellen könne. Aber sobald die Wachstumsrate unter acht Prozent sinke, sei das instabile Gleichgewicht aus Wirtschaftswachstum und explodierenden Staatsausgaben in Gefahr.

Nach Berichten von Dajiyuan gibt es heute bereits Anzeichen für eine bevorstehende Wirtschaftskrise in China. Am 19. November 2012 sei der Aktienkurs in Shanghai unter die als psychologisch wichtig geltende Marke von 2000 Punkten gefallen. Damit sei der Wert von vor zehn Jahren erreicht worden. Am 21. August habe Li Zuojun, ein Wirtschaftsexperte des chinesischen Staatsrats, auf einer nicht öffentlichen Sitzung über die Möglichkeit berichtet, dass im Jahr 2013 eine Wirtschaftskrise ausbrechen werde. Er stellte die These auf, dass mehrere kleine- und mittelständische Unternehmen, einige Banken und einige Regionalregierungen in dieser Krise bankrottgehen werden.

Der Wirtschaftsprofessor Dong Fan unterstützt die Meinung von Li und meint, dass die Wirtschaftskrise in China eigentlich bereits begonnen habe. Die Regierung unternehme jedoch große Anstrengungen, um diese Tatsache zu vertuschen.

 



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