Olympischer Frieden und „Perfekte Verbrechen“ im Schatten der Spiele

Während Chinas Regime sich erneut im Ruhm der Olympischen Spiele sonnte, fanden gleichzeitig im Schatten der Spiele grausame Verbrechen im ganzen Land statt. Doch niemand stellte unangenehme Fragen. Das Geschäft Olympia war wichtiger. Lediglich zu einem diplomatischen Boykott hatten sich einige Länder entschließen können.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping am 20. Februar 2022.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping am 20. Februar 2022 im Nationalstadion von Peking bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Winterspiele 2022.Foto: Anne-Christine Poujoulat/ AFP via Getty Images
Von 6. März 2022

Hatte es 2008 noch weltweit Proteste gegen die Olympischen Sommerspiele in Peking gegeben, war es im Vorfeld der im Februar 2022 abgehaltenen Olympischen Winterspiele in Peking ungewöhnlich ruhig. Trotz der aus China gekommenen Corona-Pandemie und der nicht verstummen wollenden Labor-Theorie als Ursprung der Weltseuche, dem Genozid an den Uiguren in Xinjiang, der Unterdrückung der Tibeter, christlicher Hauskirchen und der Demokratiebewegung in Hongkong, trafen sich 92 Länder zu sportlichen Wettkämpfen in der Hauptstadt des kommunistischen Staates.

Während man die internationale Sportelite in Peking vor ausgewählter Zuschauerschaft antreten ließ, fand am 17. Februar ein von der führenden konservativen Denkfabrik Hudson Institute aus Washington veranstaltetes Webinar statt, das sich mit einem nicht nur für China sehr brisanten Thema beschäftigte. Rechtsanwältin Nina Shea, Senior Fellow des Instituts und ehemalige Kommissarin der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit, hatte dazu als Moderatorin eingeladen, Chinas milliardenschwere Organraub-Industrie näher zu beleuchten.

Der Boom dieses „Industriezweigs“ des kommunistischen Regimes begann Anfang der Jahrtausendwende, als eine brutale Ausrottungskampagne gegen die spirituelle Gruppe Falun Gong eskalierte. Shea hatte bereits zuvor einen Bericht auf der Website der als führend geltenden konservativen Denkfabrik veröffentlicht. Dort hatte die Anwältin berichtet, dass es in China nicht nur einen Völkermord an Uiguren gibt, sondern auch an Falun Gong-Praktizierenden. Sie erklärte, dass es mehrere Berichte darüber gebe, die von einer großen Zahl von inhaftierten Praktizierenden sprechen, die „gewaltsam medizinischen Verfahren unterzogen wurden, die sie unweigerlich töten“. Das bedeute, so Shea, „dass die Opfer entweder getötet werden, während oder kurz bevor ihre Herzen, Lebern, Lungen und Nieren chirurgisch entfernt werden“. Anschließend verkaufe das KP-Regime die Organe „auf dem weltgrößten Markt für Organtransplantationen“ – dem eigenen.

Verbrannte Spuren

Die Rechtsanwältin verwies dazu auch auf einen UN-Bericht vom Juni 2021 und sprach von einem „perfekten Verbrechen“ – das deshalb, weil es „keine Überlebenden“ gebe. Die US Epoch Times berichtete darüber und erklärte, dass nicht nur China dies jahrzehntelang vertuscht habe, auch im Westen hielten sich Beamte und medizinische Einrichtungen zögerlich zurück. Man habe sich nicht mit dem Thema befassen wollen – bis dann 2019 in London ein unabhängiges Volkstribunal zu dem Schluss kam, dass dieser Organraub seit Jahren „auf signifikante Weise“ stattfinde.

„Es gab keine Anklage, keine Anhörung, keine Berufung“, berichtete Vortragsredner David Kilgour, ehemaliger Kronanwalt und kanadischer Staatssekretär für den Asien-Pazifik-Raum, in dem Webinar einen typischen Fall. „Ein Polizist sagte einfach: ‚Du kommst in dieses Arbeitslager da drüben.‘ … Sie warteten und arbeiteten 16 Stunden am Tag. Dann kam eines Tages jemand herein, nahm sie fest, gab ihnen ein wenig Kalium, und dann wurden ihre Organe entnommen und ihre Körper verbrannt.“

„Bloody Harvest“

So würden in China Organe beschafft, meinte Kilgour, der seit 2006 die Vorwürfe zum Organraub in China an Gewissensgefangenen zusammen mit dem international tätigen kanadischen Menschenrechtsanwalt David Matas untersucht.

Auch Matas war als Redner zum Webinar eingeladen worden. Der Menschenrechtsanwalt verwies auf die Situation, dass es überall sonst einen Mangel an Organen für Transplantationen gebe. „Organe werden nach Prioritäten zugeteilt, aber in China wurde das ganze System so betrieben, als gäbe es einen unerschöpflichen Vorrat an Organen“, sagte Matas. Man müsse nur auftauchen und das Geld bezahlen.

Über das dahintersteckende System verriet der Investigativermittler, wie sich dieses schützt: „Das gesamte System ist in Abteilungen unterteilt, und jeder würde vorgeben, gegenüber den anderen Komponenten des Systems absichtlich blind zu sein.“

Kilgour und Matas nannten ihre Ergebnisse „Bloody Harvest“ (Blutige Ernte). In dem Untersuchungsbericht gingen sie zahllosen Spuren nach – in chinesischen Krankenhäusern, Medienberichten und medizinischen Fachzeitschriften. Sie gaben sich als potenzielle Organ-Kunden aus und sprachen mit medizinischem Personal. Das Ergebnis: Chinas Regime benutzt Falun-Gong-Praktizierende als lebende Organbank.

„Frisch und lebendig“

Es war im Oktober 2016, als Herr Lu in den Räumen des in San Francisco ansässigen chinesischen Auslandsradiosenders „Sound of Hope“ mit dem telefonisch zugeschalteten Wang Zhiyuan sprach, dem Vorsitzenden der New Yorker Menschenrechtsorganisation WOIPFG. Er öffnete sein Herz und berichtete von den Verbrechen einiger seiner in Shanghai lebenden Verwandten. Zu diesem Zeitpunkt lebte Herr Lu schon seit über 20 Jahren in den USA. Über vier Jahre hielt die Menschenrechtsorganisation den Inhalt des Gesprächs unter Verschluss, aus Sorge um die Sicherheit des Whistleblowers. Dieser hatte damals noch ein Haus in China, um das er sich kümmern musste. Über seine dortigen Verwandten sagte Lu: „Sehr gierig, sie haben schon viel Geld verdient.“

Herr Mao sagte, dass es um „schnelles Geld“ gehe und die Summe ziemlich groß sei. Er sagte auch, es sei von „wirklich guter Qualität, alles frisch und lebendig“, erinnerte sich der in Kalifornien lebende Herr Lu an das Gespräch bei einem Familientreffen vor vielen Jahren in Shanghai. Mao, ein ehemaliger Leiter des Schanghaier Arbeitsreformbüros war damals stellvertretender Sekretär des Parteikomitees des Shanghaier Justizbüros. Vorher war er stellvertretender Direktor im Shanghaier Büros für Arbeitsreform (Laogai-Büro). Er hatte gute Kontakte bis in höchste Parteispitzen. Seine Frau war Ärztin. Sie war Direktorin des Shanghai Wanping Hospitals. Mao war auf der Suche nach ausländischen Kunden für seine Organgeschäfte und hatte Herrn Lu darauf angesprochen, als er hörte, dass Lu in den USA Häuser renovierte und dabei auch in Kontakt mit einigen Ärzten gekommen war. Es gehe um Nieren, Lebern, Augenhornhäute und so weiter.

Während eines Gesprächs bei einem gemeinsamen Essen erklärte Mao Herrn Lu, dass seine Frau gerade erst eine Transplantation im Armeekrankenhaus durchgeführt habe. Das war im Jahr 2002. Ermittler fanden später heraus, dass die Transplantationen im Shanghai Armed Police Corps Hospital vorgenommen worden waren. Man fand auch heraus, dass Mao zur sogenannten Shanghai-Gang des ehemaligen chinesischen Staats- und Parteichefs Jiang Zemin gehörte und unter direktem Befehl von Jiangs Neffe, Wu Zhiming, stand, dem damaligen Sekretär des politischen und rechtlichen Komitees der Kommunistischen Partei in Schanghai.

Mao versuchte, Lu als Vermittler zu gewinnen. Bei den Operationen seiner Frau sei das Geld schnell gekommen und der Betrag sei ziemlich hoch gewesen, lockte Mao. „Also geh raus und hol es dir!“, hatte er noch zu Lu gesagt.

Letzte Schreie

Doch Herr Lu wollte damit nichts zu tun haben. Später drohte ihm der Schwiegersohn von Mao. Dieser, ein Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsbüros von Shanghai, verlangte von Herrn Lu über die Transplantationen seiner Schwiegermutter zu schweigen, sonst würde man dafür sorgen, dass ihn die USA nach China zurückschickten. Lu, Besitzer einer Green Card, entgegnete, dass das unmöglich sei. Doch der Schwiegersohn meinte nur: „Du bist so dumm! Hast du kein Gepäck zum Einchecken in die USA? Wir können Sachen hineintun und die Amerikaner werden die Drogen finden und dich zurückschicken.“

Einmal erzählte Herrn Lus Schwägerin, die Schwester von Maos Frau, der Ärztin, dass diese von den Operationen Alpträume bekommen und damit aufgehört habe. Lu wollte mehr darüber wissen und hakte nach. Sie sagte, dass ihre Schwester Alpträume bekommen habe, weil bei den Operationen die Menschen „vor lauter Qual schreien würden“.

Die Anästhesie könne nicht überall angewandt werden. Der Bereich um das Organ könne nicht betäubt werden. „Je frischer und je weniger betäubt, desto besser“, sagte die Schwägerin. Die Qualität sei garantiert, habe sie gesagt, erinnerte sich Lu. Als sie zur Transplantation gebracht wurden, hätten sie immer wieder „Falun Dafa Hao“ gesagt. Dieser Ausdruck wird von Falun-Gong-Praktizierenden als Bekräftigung ihres Glaubens gesagt, was übersetzt heißt: „Falun Dafa ist gut.“ Herr Lu berichtete, was seine Schwägerin aus den Schilderungen ihrer Schwester erfahren und ihm gesagt hatte: „Sie schrien verzweifelt vor Schmerz. Neben ihnen standen bewaffnete Polizisten und eine Gruppe von Ärzten …“.

US-Resolution von 2016

Im September 2016 hatte „Sound of Hope“ eine Reihe von Interviews im Zusammenhang mit der im Juli 2016 verabschiedeten US-Resolution gegen den staatlichen Organraub in China veröffentlicht. In dieser forderte der US-Kongress „China und die Kommunistische Partei Chinas auf, die Praxis des Organraubs an gewaltlosen politischen Gefangenen zu beenden“. Zugleich forderte man das Ende der damals „17-jährigen Verfolgung der spirituellen Praxis Falun Gong und die Freilassung aller Falun Gong-Praktizierenden und anderer gewaltloser politischer Gefangener“.

Einer der Interviewpartner des Senders war Wang Zhiyuan von WOIPFG. Dies hatte Herrn Lu offenbar ermutigt, doch noch über seine Erlebnisse in Shanghai zu sprechen. Der Radiosender hatte dann ein Gespräch zwischen Wang und Lu arrangiert.



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