Ukraine-Krieg: Hat Russland China um Hilfe gebeten?
Wie steht die Regierung des größten Landes und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zum russischen Angriff auf die Ukraine? In übereinstimmenden Medienberichten hieß es, dass Russland die Chinesen nach Angaben von Vertretern der US-Regierung um Hilfe gebeten haben soll.
Moskau habe Peking sowohl um militärische Unterstützung für den Krieg als auch um Beistand bei der Umgehung westlicher Sanktionen gebeten, berichtete die „New York Times“ am Sonntag. Der Kreml dementierte den Zeitungsbericht.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte vor Journalisten, Russland habe China nicht um militärische Hilfe gebeten. Russland verfüge über genug „eigenes Potenzial“, um den Krieg in der Ukraine fortzusetzen, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin.
Chinas Gratwanderung im Ukraine-Konflikt
Wie Peking zum Russland-Ukraine-Krieg steht, kann basierend auf offiziellen Äußerungen und Erklärungen der chinesischen Regierung nicht klar beantwortet werden – konsequent den eigenen Interessen folgend stellt sich Peking als „neutral“ dar.
Peking hat den russischen Einmarsch weder offen unterstützt, noch verurteilt. Dem durchaus wichtigen Handelspartner Ukraine sprach die Regierung von Präsident Xi Jingping ihr „Bedauern“ aus und zeigte sich besorgt um zivile Opfer. Zugleich bekräftige Peking seine Kritik an den USA, der Osterweiterung der Nato und sein Verständnis für russische „Sicherheitsbedenken“.
Erst im Februar war Russlands Präsident Wladimir Putin anlässlich der Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Peking gereist, um mit Xi den sicherheitspolitischen Schulterschluss zu zelebrieren: Xi versicherte Putin seine Unterstützung bei dessen Streben nach „Sicherheitsgarantien“ gegenüber der Nato. Im Gegenzug positionierte Russland sich klar auf Chinas Seite im Ringen mit den USA um Einfluss im Indopazifik.
Doch der Einmarsch in die Ukraine stellt dieses neue Band wenig später schon auf die Probe. Vom russischen Angriff, dem ukrainischen Widerstand und dem Ausmaß der internationalen Kritik und Sanktionspolitik gegenüber Russland scheint Peking überrascht worden zu sein. „Man konnte die Verwirrung in den ersten Erklärungen sehen“, sagte Sergey Radchenko, Professor an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies.
China verweist bei seinen eigenen Grenzstreitigkeiten mit Nachbarstaaten gerne darauf, dass die territoriale Integrität gewahrt werden müsse – im Fall der Ukraine führt dies zu rhetorischen Verrenkungen. Auch will die chinesische Regierung keinesfalls als Handlanger Putins wahrgenommen werden. US-Medienberichte, wonach Russland China um militärische Hilfe und Unterstützung bei der Umgehung westlicher Sanktionen gebeten habe, wies Peking verärgert zurück. Die Regierung will ihre westlichen Handelspartner nicht provozieren oder gar selbst Ziel von Sanktionen werden.
Diese Möglichkeit unterstrich unlängst der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan: Washington beobachte genau, ob und wie China Russland unterstützt, sagte er.
Die zwei Gesichter Chinas
Nach innen ist die Kommunikation Pekings hingegen recht offen auf Moskauer Linie. Im Einklang mit russischen Sprachregelungen weisen chinesische Regierungsbeamte etwa den Begriff „Invasion“ zurück und sprechen lieber von „Militäroperation“. Auch florieren in den chinesischen Staatsmedien anti-westliche Verschwörungsmythen und Berichte über Neo-Nazis in der ukrainischen Armee und politischen Führung.
„Sicherheitsinteressen übertrumpfen in Chinas Kalkül praktisch immer die wirtschaftlichen Interessen“, sagt allerdings Richard Ghiasy vom Zentrum für Strategische Studien in Den Haag. Daher sei es ausgeschlossen, dass sich China auf die Seite der Ukraine schlage. Russland sei „ein riesiger, nuklear bewaffneter und ressourcenreicher Nachbar“, den Peking nicht verärgern wolle.
„Nach außen hin ist (die chinesische Regierung) „neutral“, aber in Wirklichkeit steht sie auf der Seite Russlands“, sagt auch Steve Tsang, Direktor des China-Instituts an der Londoner School of Oriental and African Studies. Denn das schlimmste Szenario für Peking wäre, wenn Sanktionen oder ein militärisches Scheitern Russlands zu einem Aufstand und dem Sturz Putins führten – und möglicherweise zu einer pro-westlichen Regierung in Moskau.
„Ich bezweifle, dass Xi den Krieg in der Ukraine weiter eskalieren sehen will“, sagt Tsang. „Stattdessen möchte er, dass Putin ohne große Kollateralschäden bekommt, was er will.“
Treffen ranghoher Vertreter
Am Montag kam Jake Sullivan in einem Hotel in Rom mit dem Chefdiplomaten der Kommunistischen Partei Chinas, Yang Jiechi, zusammen. Eine öffentliche Stellungnahme im Anschluss an das Treffen war nicht geplant, wie die US-Botschaft in Italien mitteilte.
Das Weiße Haus hatte das Treffen erst am Sonntag angekündigt. Sullivan, Yang und ihre beiden Delegationen wollten über die „laufenden Bemühungen zur Bewältigung des Wettbewerbs zwischen unseren beiden Ländern“ und die „Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine auf die regionale und globale Sicherheit“ beraten, erklärte eine Sprecherin.
Sullivan hatte Peking am Sonntag gewarnt: „Wir sind darüber besorgt und haben Peking mitgeteilt, dass wir nicht tatenlos zusehen werden, wie irgendein Land Russland für seine Verluste durch die Wirtschaftssanktionen entschädigt“, sagte er bei CNN.
Sullivan sagte, er wolle zwar keine „Drohungen“ gegen China aussprechen, „aber wir teilen Peking direkt und unter vier Augen mit, dass die Umgehung von Sanktionen im großen Stil auf jeden Fall Konsequenzen haben wird“. (afp/mf/dl)
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