Wenn Medienleute mit der Regierung kuscheln

Man könnte es sich leicht machen und mit seinen Kritikern flapsig formulieren, der „Konstruktive Journalismus“ sei die Tarnkappe regierungsnaher Medien, die ihr Versagen als Vierte Gewalt einfach darunter verschwinden lassen wollen. Zu einfach? Ein Meinungsbeitrag von Alexander Wallasch.
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Die Zeitungskioske quellen über vor Angeboten – doch wie sieht’s heute mit der journalistischen Ethik aus?Foto: Martin Gerten/dpa
Von 10. März 2023


Zwei aktuelle Ereignisse bieten Gelegenheit, sich den sogenannten „Konstruktiven Journalismus“ etwas genauer anzuschauen. Erst vor Kurzem wurde bekannt, dass die Bundesregierung öffentlich-rechtliche Journalisten mit 1,5 Millionen Euro für Gefälligkeitsjournalismus bezahlt hatte. „T-Online“ machte aus der Schlagzeile eine Frage: „Ist die Regierung zu nah dran?“ Gegenfrage: „Ist der Journalismus zu nah dran?“

Das Portal sieht durchaus Diskussionsbedarf um eine zu große Nähe von Politik und Medien:

„Laut der t-online vorliegenden Aufstellung erhielten in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 200 Journalisten Zahlungen der Bundesregierung. Ein Teil der Empfänger war bei ‚Spiegel‘, ‚Zeit‘, ‚Tagesspiegel‘ und anderen privatwirtschaftlichen Medien beschäftigt, rund 120 Profiteure der Honorare arbeiteten im genannten Zeitraum allerdings für Öffentlich-Rechtliche wie ARD, ZDF, WDR und rbb.“

Das zweite relevante Ereignis für eine Debatte um neue Formen von Journalismus ist ein Gastbeitrag von Alexandra Borchardt für „Focus Online“ über „Konstruktiven Journalismus“. Die Autorin titelt: „Wieder nur schlechte Nachrichten? Warum wir einen anderen Journalismus brauchen.“

Wie bei „T-Online“ klingt auch diese Headline wie zweite Wahl. Besser so: „Wieder nur schlechte Nachrichten? Warum wir eine neue Regierung brauchen.“

Die „Focus“-Gastautorin leitet nach Selbstauskunft das „Journalism Innovators Program an der Hamburg Media School“. Und sie wirbt auf ihrer Website dafür, Redaktionen bei der digitalen Transformation zu betreuen.

Borchardt veröffentlichte im vergangenen Jahr einen Essay in einem Sammelband, herausgegeben von Vertretern des grünen Thinktanks „Zentrum Liberale Moderne“. Das Zentrum wird seit 2019 aus dem Bundeshaushalt unterstützt und musste schon herbe Kritik dafür einstecken, „Instrument eines ideologischen Lobbyismus“ zu sein, wie es die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer formulierte.

Die Autorin wirbt für ihr eigenes Produkt – vergisst es aber zu erwähnen

Borchardt hatte beim „Zentrum Liberale Moderne“ publiziert und bewirbt aktuell auf ihrer Website prominent neben ihrem Porträt eine Publikation mit dem Titel „Climate Journalism that works“. Dort heißt es:

Eine wirkungsvolle und dennoch konstruktive Berichterstattung über Klimathemen ist für den öffentlich-rechtlichen Journalismus gleichermaßen wichtig und dringend. […] Im diesjährigen News Report finden Sie Fallstudien, die Ihnen dabei helfen, klimabezogenen Journalismus zu liefern, der bei Ihrem Publikum Anklang findet.“

Konstruktiver Journalismus erscheint in diesem Licht, als sei er das trojanische Pferd, das die Mauern rund um die Burg der journalistischen Ethik von innen zum Einsturz bringen soll. Auch Borchardt hat ihre Planke fest ans Pferdchen genagelt. Zu weiteren prominenten Befürwortern eines Konstruktiven Journalismus wie etwa dem WDR-Moderator Georg Restle gleich noch mehr.

Was steht konkret auf dem Spiel, was bedeutet das für die viel beschworene journalistische Ethik, in dessen Herzkammer nach wie vor ein populäres Zitat von „Mr. Tagesthemen“ Hans Joachim Friedrichs pulsiert:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, […] dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“

Die Deutsche Journalistenakademie ordnet ein, auf welche Prinzipien so ein journalistisches Berufsethos fußen sollte: Wahrhaftigkeit in der journalistischen Darstellung, Objektivität durch emotionale Distanz, Neutralität, Sorgfalt und nicht zuletzt die Achtung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts.

Was Alexandra Borchardt da über Konstruktiven Journalismus schreibt, ist allerdings mehr als nur ein Meinungsartikel. Es ist ein roter Teppich hin zu einem neuen Journalistenpreis, den das Magazin ab 2023 verleiht: Den „constructive world award“.

Warum es den neuen Preis gibt, erklärt der „Focus“ so: „Ziel ist es, Konstruktivität in Gesellschaft und Berichterstattung spürbar zu verankern und damit das Leben der Menschen nachhaltig zu verbessern.“

Die Sprache des „Focus“ erinnert hier an die polit-ideologische Sprache, in der die neuen Leitlinien eines feministischen Außenministeriums verfasst sind:

Der constructive world award [zeichnet] ein Tandem aus: Menschen, die zukunftsgewandte Lösungsansätze für relevante Probleme in der Gesellschaft initiieren, und die Medienschaffenden der dazugehörigen konstruktiven Berichterstattung.“

Ein Preis für politische Folgsamkeit – Die Erneuerung des Glaubens

Und so könnte das praktisch aussehen: Den Preis bekommen Klimakleber, weil sie die Welt retten wollen, gemeinsam mit Journalisten, die darüber positiv berichten. Oder die Auszeichnung bekommt das neue feministische Außenministerium und jene Journalistin, die konkret positiv über Annalena Baerbocks Gender-Toilettenidee für Afrika schreibt.

Alexandra Borchardt schreibt im „Focus“ über Konstruktiven Journalismus:

Statt die Welt in Schwarz und Weiß zu malen, Handelnde in die Guten und die Bösen einzuteilen, beleuchtet [Konstruktiver Journalismus] auch Grautöne. Vor allem sucht er nach Perspektiven und möglichen Lösungen. Das ist besonders wichtig, wenn es um Herausforderungen wie die Klimakrise geht.“

Und weiter:

Ein aktueller Report zum internationalen Klimajournalismus im Auftrag der European Broadcasting Union belegt, dass konstruktive Formate wirken.“

Dieser Hinweis ist besonders bemerkenswert und verdient eine kurze Betrachtung: Der Report, den Frau Borchardt den „Focus“-Lesern hier als „Beleg“ zitiert, ist nämlich unter ihrer Regie geschrieben worden von einem Team, in dem sie als „the lead author“ genannt wird. Aber davon steht kein Wort im Artikel. Das ist schlicht und einfach journalistisch unsauber. Und zur Erinnerung: Borchardt ist angetreten, Journalisten oder angehenden Kollegen etwas über Journalismus zu erzählen.

Das Team von Borchardt bekommt einen Report finanziert. Sie nutzt den „Focus“ dazu, diesen Report zu bewerben, freilich ohne zu erwähnen, dass dieser Report ihr eigenes Produkt ist. Im Report selbst bedankt sie sich bei ihrem Auftraggeber Eric Scherer. Der wiederum schreibt bei LinkedIn über ChatGPT, Alexandra Borchardt sieht hier schon die nächste Chance für einen weiteren lukrativen Job für ihr Team und kommentiert: „Should be our next report! – (Smiley)“

Alexandra Borchardt wirbt im „Focus“ für einen Konstruktiven Journalismus, der endlich dieses steife Korsett einer überalterten journalistischen Ethik ablegen möge:

Journalismus wird von der wichtigen Aufgabe getrieben, den Einflussreichen auf die Finger zu schauen, Machtmissbrauch aufzudecken. Nur beeinflusst das Bild, das die Medien zeichnen, direkt das Vertrauen, das Menschen in sich und ihre Fähigkeiten zu haben, den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Im Gegensatz zu anderen Arten können Menschen sich eine Zukunft vorstellen, planen und zusammenarbeiten, um Ziele zu erreichen.“

Also wozu noch streiten, weshalb sollen Journalisten Regierungen mit kritischen Recherchen oder gar mit einem Investigativjournalismus nerven, wenn sie auch freundlich fragen können: Hey, Ampel, wo können wir helfen, damit alles gut wird für die Menschen im Land?

Konstruktive Journalisten befreien sich von diesen lästigen Ethikfesseln. Sie wollen nicht mehr kritisch sein, sie suchen positive Gemeinsamkeiten mit den Herrschenden. Sie haben begriffen, dass die Medien längst Teil des Herrschaftsapparates geworden sind. Also wozu streiten, wenn man teilen und herrschen kann?

Der konstruktive Journalismus steht ohne Hosen da. Und jeder Journalist, der sich noch den ehernen Grundsätzen von Hans Joachim Friedrich verpflichtet sieht, weiß das genau.

Konstruktiver Journalismus ist eine Rechtfertigungsschimäre

Und so beschreibt Frau Borchardt, was genau der „Focus“ preisauszeichnen will. Sie weiß es offenbar selbst nicht mehr so genau:

Allerdings gibt es für konstruktiven Journalismus kein allgemeingültiges Rezept. Wenn man bei diesem Bild bleiben will, dann handelt es sich eher um ein Kochbuch mit verschiedenen Rezepten und Zutaten, die dem Journalismus einen bestimmten Geschmack geben, ihn bekömmlich und interessant machen sollen.“

Der „Monitor“-Moderator Georg Restle wandelte übrigens schon viel früher auf den Spuren von Autorin Borchardt. Er versuchte schon einmal vor fünf Jahren, seinem so in die Kritik geratenen „Haltungsjournalismus“ einen neuen Anstrich zu verleihen. Im Juli 2018 bescheinigte er seiner Zunft einen „Journalismus im Neutralitätswahn“ und trat an, diese Neutralität zu brechen.

Als Leiter von „Monitor“ steht Restle dafür ein gewichtiges Medium zur Verfügung. Und er machte schon damals aus dem Bruch mit den Grundsätzen journalistischer Arbeit kein Geheimnis, als er sich in der aktuellen Ausgabe von „WDR-Print“ – auch so etwas wird öffentlich-rechtlich finanziert – dahingehend erklärt, dass das journalistische Handwerk nicht mehr ausreicht, „die Spreu vom Weizen zu trennen“. Für Restle ist Neutralität eine der Lebenslügen des gegenwärtigen Journalismus.

Georg Restle twitterte 2018:

Journalismus im Neutralitätswahn – Warum wir endlich damit auhören sollten, nur abbilden zu wollen, ,was ist‘. Mein Plädoyer für einen werteorientierten Journalismus in der aktuellen Ausgabe von ,WDR Print‘. @WDR_Presse“

In besagtem Artikel nennt Restle „Neutralität“ eine Lebenslüge des Journalismus. Und er konnte schon damals die Forderung nicht mehr hören, dass Journalismus „neutral“ und „objektiv“ sein soll, „als sei die Wahrheit ein Schatz in tiefer See“, schreibt er für den WDR.

Dafür sei die neue digitale Welt aber viel zu kompliziert, findet Restle und meint damit eigentlich nur, dass es für ihn zu kompliziert geworden ist. Dass er einfach keinen Bock mehr hat, dass er endlich aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr machen will.

Eine Verdrehung aus Verdrossenheit mit dem eigenen Tun, gepaart mit einem starken Widerwillen gegen Widerworte. Aber Restle macht das ganz geschickt: Sicher ist es schwer, neutral und objektiv zu sein – jenseits von Kommentaren. Aber das ist für viele Leser und Zuschauer auch gar nicht das Problem. Es geht vielmehr um eine Vernachlässigung der eigentlichen Aufgabe der Medien als Vierter Gewalt, gewissermaßen als Stachel im Fleisch der herrschenden Klasse.

Konstruktiver Journalismus biedert sich an. Er will Aufgaben übernehmen, die nicht seine sind. Dabei ist es ganz simpel und unverrückbar: Die Medien schauen kritisch auf die Regierung, die Bürger bilden sich ihre Meinung und reagieren entsprechend an der Wahlurne. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Rolle der Medien muss jetzt zuallererst ideologisch entschlackt werden. Denn Konstruktiver Journalismus ist vor allem eines: ein machterhaltender Journalismus, der auf die Deutungshoheit politischer Prozesse besteht. Das steht ihm aber nicht zu.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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