Antonio Canovas: Bewegtes Schicksal einer verschollenen Tänzerin

Antonio Canovas beeindruckendes Meisterwerk „Tanzendes Mädchen mit Zimbeln“ ist in Berlin bei der Skulpturensammlung im Bode-Museum zu sehen.
Titelbild
Das Bode-Museum in Berlin.Foto: iStock
Von 13. Oktober 2022

In der feierlichen Stille des Bode-Museums in Berlin kann man beinahe die Musik hören, zu der sich Antonio Canovas fast lebensgroße Skulptur mit dem Titel „Tanzendes Mädchen mit Zimbeln“ mühelos auf einem Bein dreht und schwingt. Sie tanzt mit einer Leichtigkeit, fast wie schwebend, hebt die Hände über den Kopf, um Dramatik und Gleichgewicht zu erzeugen, und spielt dabei ihre Zimbeln. Das zarte Kleid im klassischen Stil umspielt ihren Körper und betont ihre geschmeidigen Bewegungen.

Die friedliche Präsenz der Tänzerin täuscht über die bewegte Vergangenheit der Skulptur hinweg, die bei einem Brand fast zerstört wurde und anschließend für nahezu 130 Jahre verschollen war. Durch einen Zufall wurde sie 1979 wiederentdeckt.

Neville Rowley, Kurator für frühe italienische Kunst an der Skulpturensammlung und dem Museum für byzantinische Kunst im Bode-Museum, erzählte mir die bemerkenswerte Geschichte der Skulptur und wie Canovas „Tanzendes Mädchen mit Zimbeln“ zu einem der Höhepunkte der Sammlung wurde.

„Tanzendes Mädchen mit Zimbeln“, 1809/1812, von Antonio Canova. Marmor; ca. 2 Meter. Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum in Berlin. Foto: Antje Voigt/CC BY-NC-SA 4.0

Bewegte Vergangenheit

Der erste Besitzer der Skulptur war ein in Wien lebender russischer Diplomat, Fürst Andrei Rasumowski. Er war ein wichtiger Unterhändler bei den Verhandlungen am Wiener Kongress, wo über die Neuordnung Europas nach dem Sieg der Alliierten über Napoleon im Jahr 1815 entschieden wurde. Rasumowski war auch ein eifriger Kunstmäzen, der Größen wie Canova und Beethoven unterstützte. Zum Beispiel spielte Beethoven seine Symphonie Nr. 5 erstmals in Rasumowskis Palais.

Canovas „Tanzendes Mädchen mit Zimbeln“ enttäuschte Rasumowski jedoch. Zeitgenössische Experten waren der Meinung, dass eine antike Skulptur rein weiß zu sein habe, und ein schwarzer Streifen, der sich über die Oberschenkel der Tänzerin zog, widersprach dem neoklassizistischen Stil, der diese alte Tradition wiederbeleben wollte.

Am 30. Dezember 1814, nur wenige Monate nachdem Rasumowski die Skulptur erhalten hatte, kam es zu einer Katastrophe. Ein Feuer zerstörte sein Palais, doch gelang es einigen Männern, Canovas Tänzerin in Sicherheit zu bringen, Minuten bevor das Dach des Palastes einstürzte. Bemerkenswerterweise brachen an der Skulptur nur ein paar Finger.

Nach 1836 verschwand Canovas Skulptur aus den Aufzeichnungen. Lange Zeit galt sie als verschollen. Erst Ende der 1970er-Jahre entdeckte sie ein Kunsthistoriker zufällig bei einer Party in einem der Rothschild-Paläste: Die Tänzerin stand dort auf einer Treppe. Rowley merkt an, dass die außergewöhnliche Qualität der Skulptur und die gebrochenen Finger ausschlaggebend waren, um ihre Identität zu bestätigen. Der Canova-Experte Hugh Honour hatte Details zu der durch das Feuer beschädigten Skulptur in Briefen des Kunstkritikers Giuseppe Tambroni an Canova gefunden.

Bleibendes Erbe

Im Oktober 2022 jährt sich der Todestag Canovas zum zweihundertsten Mal. Im späten 18. Jahrhundert arbeitete Canova zunächst in Venedig, machte sich aber in Rom einen Namen und wurde zum größten neoklassizistischen Bildhauer seiner Zeit. Viele europäische Staatsoberhäupter luden ihn ein, für sie zu arbeiten, dennoch wollte er in Rom bleiben, wo er die größte Inspiration verspürte.

Canovas Skulpturen im neoklassizistischen Stil finden ihre Ursprünge in der antiken Kunst. Laut „A World History of Art“ von Hugh Honour und John Fleming wurde Canova „als Fortsetzer der antiken griechischen Tradition gefeiert, er galt als moderner Phidias, einem der bedeutendsten griechischen Bildhauer“. Besonders inspiriert wurde er von den Gemälden auf antiken griechischen Vasen und von den Fresken in Herculaneum, der antiken süditalienischen Stadt, die 1709 entdeckt wurde, etwa 40 Jahre vor der Entdeckung des nahe gelegenen Pompeji.

Doch ließ der Künstler sich nicht nur von antiker Kunst inspirieren, sondern liebte auch den Tanz. Dies spiegelt sich in einigen seiner Werke wider. Sein Freund, der Bildhauer Antonio d’Este, beschrieb, wie sie als Jugendliche an Festtagen in die Berge wanderten, um den Mädchen beim Tanzen zuzusehen, wie Canova „die Unschuld der Tänzerinnen bewunderte, … [und] indem er die natürlichen Bewegungen dieser Mädchen beobachtete, schöpfte er immer wieder neue Erkenntnisse, die seiner Kunst zugutekamen.“

Canova verstand es hervorragend, Marmorskulpturen zu schaffen, die trotz ihres Materials aus jedem Blickwinkel voller Bewegung zu sein scheinen. In seiner Skulptur „Tanzendes Mädchen mit Zimbeln“ lässt er den Körper der Tänzerin aus massivem Marmor federleicht erscheinen, sodass es für mich und andere Besucher des Bode-Museums ein Leichtes war, die Musik zu „hören“, zu der sie tanzt.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 65, vom 08. Oktober 2022.



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