Adolph Kurt Böhm – Künstler und Weiser – schreibt über „Musik und Menschlichkeit“

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Foto: Cover Morisken Verlag Ausschnitt
Von 24. November 2014

Der Maler, Pianist und Komponist Adolph Kurt Böhm, den seine Freunde „Mutz“ nennen, ist ein ungewöhnlicher und großartiger Mensch. Vor wenigen Tagen erschien seine Autobiographie mit dem schönen Titel: Musik und Menschlichkeit. Von den 264 Seiten sind 48 Bilderseiten dem bunten Musikerleben vorbehalten.  Am 27. Juli 2014 feierte er seinen 88. Geburtstag.

Als 7-Jähriger flieht er mit seiner Familie vor den Nazis von Bayern in die französische Metropole Paris. Mit seinem Jugendfreund, dem bekannten Schauspieler Michel Serrault, macht der die Straßen von Montmartre unsicher. Während der deutschen Besatzung versteckt seine Familie Juden in ihrem Haus. Nach dem Krieg spielt er auf Tourneen oder Tanzbällen und tingelt als Klavierbegleiter durch die Nachtlokale rund um den Place Pigalle. Nach mehr als 50 Jahren in Paris kehrt er in das elterliche Haus in Murnau am Staffelsee zurück, wo er sich dem Kunstlied widmete und nach wie vor unermüdlich komponiert. Am 26. Dezember 1994, erkannte Yad Vashem den damals 68-jährigen Künstler als „Gerechten unter den Völkern“ an.

Sind die Fenster des Murnauer Hauses in der Seestraße 6 (25 km von Garmisch-Partenkirchen entfernt) geöffnet, bleiben die Menschen manchmal stehen und hören wunderschöne Klaviermusik. Hier hat Mutz Böhm in den vergangenen 30 Jahren fast 500 Lieder zu Gedichten von Matthias Claudius, Hermann Hesse, Josef von Eichendorff, Eugen Drewermann und Wilhelm Busch komponiert sowie eine Vielzahl von virtuoser Klaviermusik. Kaum jemand kennt die Geschichte des bescheidenen Mannes, den Kritiker den „Schubert des 20. Jahrhunderts“ nennen.

Adolph Kurt Böhm stammt aus dem fränkischen Oberlangenstadt, wo er am 27. Juli 1926 geboren wurde.  Sein Vater Josef Böhm, der dort eine kleine Korbfabrik betrieb, war Jude, seine Mutter Marie Christin. Die beiden hatten 1921 geheiratet, ihre Buben Adolph und Gerd erzogen sie katholisch. Mit orthodoxer Religion hatten die Verwandten väterlicherseits nicht viel im Sinn. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung musste Josef Böhm ins KZ nach Dachau. In ihrer Not wandte sich Marie Böhm an den Bischof von Bamberg. Und ein kleines Wunder geschah: Der Bischof erreichte die Freilassung des gefolterten und schwer verletzten Mannes.

Im Dezember 1933 emigrierte die Familie nach Paris. Dort angekommen, lebte sie von den 200 Mark, die sie mitnehmen durfte, von Almosen und manchmal aus der Mülltonne; Adolph Kurt Böhm: „Flüchtlinge durften nicht arbeiten. Mutter fand heimlich eine Putzstelle, und Vater bekam eine Anstellung bei einer jüdischen Pariser Tageszeitung. Tante Metti aus Amerika bezahlte die Wohnungsmiete.“ Adolph und sein Bruder Gerd besuchten vom ersten Tag an eine französische Schule. Sie lernten die fremde Sprache ohne Probleme. Zu Hause wurde aber weiterhin deutsch gesprochen. Viele jüdische Familien wollten dagegen nach der Flucht aus Deutschland von ihrer Muttersprache nichts mehr wissen. So kam es, dass viele deutschstämmige Kinder in Frankreich die Sprache ihrer Eltern nicht mehr verstanden.

1940 kam der Krieg nach Paris. Josef Böhm flüchtete in die Schweiz. Seine Frau und die Kinder blieben in der französischen Hauptstadt. Im selben Jahr begann Adolph Kurt Böhm eine Ausbildung zum Kunstmaler. Wieder half Tante Metti.  Sie finanzierte die Kurse an der Akademie der Künste in Paris: Malerei, Zeichnen, Akt, Reklame und Buchstaben. Die Prüfungen zur Kunstschule absolvierte der damals 14-Jährige so hervorragend, dass er die erste Klasse überspringen durfte: „Ich war ein fauler Schüler, aber trotzdem der Beste.“ Böhm entwickelte Fähigkeiten, die in den folgenden Jahren vielen Menschen das Leben retten sollten.

Nach der Besetzung Nordfrankreichs mussten alle Juden einen gelben Stern an ihrer Kleidung anbringen. Im Pass wurde mit einem roten Stempel „Jude“ eingetragen. „Manchmal gab es in der Metro Razzien. Dabei wurden Juden von der Gestapo wahllos herausgezogen und auf Lastwagen abtransportiert. Die Familien haben vom Schicksal ihrer verschleppten Angehörigen nie etwas erfahren.“ Der 17-Jährige begann zu grübeln: „Wenn ich den Leuten falsche Pässe ausstellen könnte, müssten sie keine Sterne tragen und wären gerettet.“

Mit Zirkel und Spezialtinte zeichnete Böhm die Stempel auf die Ausweisrohlinge: „Diese Arbeit machte mir Riesenspaß.“ Als Geburtsorte wurden Gemeinden ausgesucht, die von den Deutschen bombardiert worden waren. In solchen Städten lag kein Stein mehr auf dem anderen. Die Rathäuser waren zerstört. So konnte niemand die Angaben auf den falschen Dokumenten nachprüfen. Die Manipulationen wurden niemals entdeckt. Für diese Fluchthilfe wurden Adolph Böhm und postum auch seine Mutter Marie 1995 mit der höchsten Auszeichnung bedacht, die der Staat Israel für Nichtjuden vorsieht: dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“. Adolph Kurt Böhm und seine Mutter erhielten die Medaillen auf Initiative von Irene und Raymond Rosenstiehl. Das Ehepaar wurde von Marie Böhm in Dachzimmern versteckt und von den Söhnen mit Kleidung, Nahrung und Bettzeug versorgt. Als die Situation immer gefährlicher wurde, produzierte Adolph Kurt Böhm 1943 ihnen die falschen Ausweispapiere: „Unsere Arbeit war lebensgefährlich. Als 17-Jähriger hat man keine Angst. Da will man nur helfen.“

Nach dem Krieg kam die Familie zu bescheidenem Wohlstand. Es gehörte in der Gesellschaft zum guten Ton, dass die Kinder Klavier spielen konnten. Adolph Böhm nahm professionellen Unterricht. Der erste Lehrer war Konzertbegleiter von Maurice Chevalier. Der zweite Lehrer hieß Julius Glücksmann. Der Ballmusiker wollte kein Geld, nur Familienanschluss und die Metrofahrkarte. Er überzeugte Adolph Kurt Böhm vom Beruf des Pianisten. Dazu musste Böhm perfekt vom Blatt spielen können. Jeden Tag brachte Julius Glücksmann einen Stapel neuer Noten, die Böhm, wie er sagt, regelrecht „fressen“ musste.

Für Böhms klassische Ausbildung war Bernadette Alexandre-Georges zuständig, eine Bekannte von Maurice Ravel. Die Pianistin überredete Böhm zu seinem ersten – und wie er heute sagt, auch letzten – klassischen Soloabend. 18 Stücke standen auf dem Programm. Saal und Flügel waren gemietet, alle Plätze besetzt. Plötzlich plagte Böhm arges Lampenfieber. Sein Bruder Gerd, mittlerweile Arzt geworden, verpasste ihm eine Beruhigungsspritze. Das Medikament bewirkte das Gegenteil: „Ich war so aufgeregt, dass ich das Konzert in der Hälfte der vorgesehenen Zeit herunternudelte. Das war nicht meine Welt.“

Allerdings wollte Böhm die Flinte nicht gleich ins Korn werfen. Noch zweimal spielte er Klassisches im französischen Radio; die A-Dur-Polonaise und die As-Dur-Polonaise von Frédéric Chopin. Auch eines der schwersten Stücke von Franz Liszt, die Campanella, hatte Böhm im Repertoire. Seinen Lebensunterhalt verdiente er aber fortan als Tingeltangel-Musiker in Nacht-Lokalen, aber auch als Klavierbegleiter auf großen Bühnen. Mit einer Reihe französischer Chansoniers ging er auf Tournee.  Ende der 1950-er Jahre stand Böhm mit „Monsieur 100.000 Volt“, Gilbert Bécaud, auf der Bühne. Allerdings nicht als Partner: „Ich spielte im ersten Teil des Abends, Bécaud im zweiten.“

Gegen Ende des Krieges traf er in einem Park Michel Serault (1928 – 2007). Der junge Mann wollte Clown werden und blies Trompete. Später gehörte Michel Serault zur ersten Garde der französischen Schauspieler („Ein Käfig voller Narren“). Die angehenden Künstler taten sich zusammen: „Michel Serault inszenierte den ‚Eingebildeten Kranken‘ von Molière. Ich komponierte die Musik dazu und malte die Plakate. Wir sind damals enge Freunde geworden. Eine Freundschaft, die bis heute anhält.“

Nach dem Krieg, als der Vater aus der Schweiz nach Frankreich zurückkam, hatten die Böhms einen Familienbetrieb für Uhrenarmbänder gegründet. Adolph entwarf die Modelle und zeichnete die Reklameplakate. Eines Tages im Jahr 1962 brachte ein Kunde eine Schallplatte in den Laden. Die solle sich Adolph Kurt Böhm unbedingt anhören – der ungarische Klaviervirtuose György Cziffra spielte darauf vier ungarische Rhapsodien von Franz Liszt. Cziffra stand für Fachleute auf der gleichen Stufe wie Vladimir Horowitz und Arthur Rubinstein: „Cziffra war ein Orkan am Klavier. Niemals hat er ein Stück zweimal gleich gespielt. Er hat mit dem Herzen improvisiert.“

Böhm wollte den Pianisten unbedingt kennen lernen. Nach einem Konzert ergatterte er von seinem Idol ein Autogramm. Bis zur ersten persönlichen Begegnung dauerte es aber noch ein Jahr. Zu dieser Zeit hatte Böhm ein Buch über geistige Phänomene geschrieben und mehrere Zeitungsartikel zum selben Thema veröffentlicht. Da kam ihm die Idee: „Cziffra improvisierte bereits als Fünfjähriger im Zirkus. Er spielte das, was ihm das Publikum zurief. Dieses Phänomen ‚Wunderkind‘ passte gut zu meinem Thema. Vor diesem Hintergrund habe ich im August 1963 bei György Cziffra angerufen – und gleich einen Termin bekommen. Ich war sehr aufgeregt.“

György Cziffra wohnte in einer 28-Zimmer-Villa und empfing seinen Gast in offenem Hemd und in Hausschuhen. Er war 1921 in Budapest geboren und war mit der Tochter des ägyptischen Botschafters in Ungarn verheiratet. Aus dem Material des Interviews schrieb Adolph Kurt Böhm einen Artikel. Wenige Tage nach dem ersten Treffen bekam er einen Brief von Cziffra, der mit den Worten begann: „Mein lieber Adolph…“ Das war die Geburtsstunde einer Freundschaft, die drei Jahrzehnte, bis zum Tod Cziffras am 15. Januar 1994, dauerte: „György Cziffra hat mein musikalisches Leben geprägt wie kein Zweiter.“ Adolphe Böhm hat eine wunderschöne Biographie in französischer Sprache über ihn geschrieben: „Hommage à Cziffra – Le journal d’une amitié“.

Schwer erschüttert wurde Mutz Böhm durch den tragischen Tod seines Bruders Gerd bei einem Autounfall 1955 in der Nähe von Chartres. Sein Bruder war von Beruf Arzt.

In den 1970er-Jahren verlagerte „Mutz“ Böhm seinen Lebensmittelpunkt immer mehr nach Murnau am Staffelsee, der Heimat seiner Mutter. Das lag wohl auch daran, dass er hier 1972 seine Frau Christine kennen gelernt hatte. In Murnau begann er Gedichte zu vertonen; den Anfang machte er mit Paul Verlaine. Daraus entstand seine erste Schallplatte, für die er Solisten der Pariser Oper verpflichten konnte. Es folgten Platten mit Texten von Josef von Eichendorff, Theodor Storm und Annette von Droste-Hülshoff. Zuletzt unterlegte er Verse des amerikanischen Poeten Robert Frost mit Musik.

In ruhigen Nachtstunden kommen Mutz Böhm die großen Inspirationen für seine Musik. In seinem Künstlerzimmer spürt man die Aura des Himmlischen.

Und in seiner demütigen Bescheidenheit kommt immer wieder der Satz: „Ich bin nur ein Angestellter Gottes!“

Foto: Cover Morisken Verlag

Adolph Kurt Böhm

Musik und Menschlichkeit

Gebundene Ausgabe: 264 Seiten

48 Bilderseiten

Morisken Verlag (17. November 2014)

ISBN-10: 3944596080

Euro: 19,90



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