Die Schnitzlers in Wien – Leben in Würde und Gelassenheit trotz aller Tragik

Titelbild
Von 30. November 2014

Die große Geschichte einer der faszinierendsten Familien des 19. und 20. Jahrhunderts wird neu erzählt von Jutta Jacobi in „Die Schnitzlers“ – wobei das Leben des Schriftstellers Arthur Schnitzler einen weiten Raum einnimmt als Spiegelbild der Geschichte im Wiener Großbürgertum.

Arthur Schnitzler ist einer der wenigen österreichisch-ungarischen Intellektuellen, die schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs die allgemeine Kriegsbegeisterung nicht teilten. Während des Krieges erhielt er 1914 einen Brief, der ihn darüber informierte, dass der Nobelpreis für Literatur zu gleichen Teilen an ihn und Peter Altenberg fallen solle. Doch da man außer dem Krieg nichts anderes im Sinn hatte, wurde der Nobelpreis, der zum ersten Mal an Österreich fallen sollte, gar nicht vergeben. 1914 hatte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt.

Sein Vater Johann Schnitzler wurde in Groß-Kanizsa, Ungarn, als Sohn eines armen jüdischen Tischlers geboren, er wollte sein Medizin-Studium unbedingt in Wien beenden. Die Metropole an der Donau galt als Mekka der medizinischen Forschung und Lehre. Die enttäuschte Liebe zu einer Buchhändlerstochter trug allerdings auch dazu bei, dass er seine Heimat verließ. Später gründete er die Wiener Poliklinik und wurde ein berühmter Arzt. 

Arthur Schnitzler wurde der Berühmteste der Familie

Arthur, der Berühmteste der Schnitzlers, war sein Sohn, geboren am 15. Mai 1862 in Wien.  Arthur Schnitzler verdankt seinem Vater die gesicherte Existenz der ersten Lebensjahrzehnte, sowie sein ärztliches Talent. Er, wie auch seine drei Geschwister, wuchs in gut behüteten großbürgerlichen  Verhältnissen auf. Die Beziehung zur Literatur entwickelte sich früh, doch ein Aspekt wurde in der Erziehung Arthurs vernachlässigt, der religiöse. Im Leben seiner Eltern spielte die Religion kaum eine Rolle, also auch nicht in dem des Sohnes. Für Arthur Schnitzler war das „Judesein“ lediglich eine Frage der Rasse, der er sich weder entziehen konnte noch wollte.

Später äußerte er selbst sich zu Glaubensfragen sehr deutlich: „Gibt es einen Gott, so ist die Art, in der ihr ihn verehrt, Gotteslästerung“.                         

Nach dem mit Auszeichnung bestandenen Abitur am Akademischen Gymnasium in Wien versuchte der Vater, der die dichterischen Aktivitäten seines Sohnes im Burgtheater gefördert hatte, ihn in die Richtung Medizin-Journalismus zu lenken.

Arthur Schnitzler schreibt sich an der medizinischen Fakultät der Wiener Universität ein, erkennt aber bald, dass ihm seine „Professoren die Liebe zur Medizin nicht erwecken könnten“. Im Herbst 1883 muss er sich ein Jahr lang dem Militär verpflichten. In der Novelle „Leutnant Gustl“ legte er seine Kritik an der Haltung und dem Verhalten der Offiziere nieder. Durch die Erzählform des inneren Monologs stellt Schnitzler alle seelischen und äußeren Vorgänge aus der Erlebnis- und Bewusstseinsperspektive des Ich-Sprechers dar.          

1885, im Alter von 23 Jahren,  promovierte Arthur Schnitzler zum Doktor der Heilkunde. Noch im selben Jahr machte er die Bekanntschaft von Siegmund Freud (1856 – 1939), mit dem er das Interesse für das Unbewusste und das Unterbewusstsein teilte. Von 1886 bis 1888 arbeitete er als Assistenzarzt in verschiedenen Wiener Krankenhäusern, nachdem er bis 1893 als Assistent seines Vaters an dessen Poliklinik mitwirkte.

Schnitzler und die Frauen

Bereits als junger Arzt beklagte er schon den  „Wahn“ der akademischen Jugend, den rassistischen Antisemitismus, der sich in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts ausbreitete Als Redakteur der medizinischen Wochenzeitschrift seines Vaters „Internationale klinische Rundschau“ verfasste Schnitzler eine Vielzahl von Beiträgen.

Arthur Schnitzler erfährt 1897, dass seine langjährige Freundin Marie Reinhard ein Kind von ihm erwartet, welches nach mehrtägigen Wehen als Totgeburt auf die Welt kommt. Zwei Jahre später stirbt Marie und für einige Zeit schien das Leben Schnitzlers stillzustehen. Ein Vierteljahr später lernt er dann die achtzehnjährige Olga Gussmann kennen. 1900 war Olga schwanger, verlor jedoch das erwartete Kind. An seinem 39.Geburtstag notierte er in sein Tagebuch, dass sie „einander lieben und zerfleischen“.

Trotz vieler Probleme stellt sich diese Beziehung als tiefste, längste und bedeutendste seines Lebens heraus. 1902 gebar Olga ihm einen Sohn, Heinrich, durch dessen Existenz er sein Privatleben neu gestaltete. Er tauschte den Egoismus des Junggesellendaseins gegen das Familienleben ein und heiratete Olga – auf deren Drängen hin – am 26. August 1903. Die Geburt seines zweiten Kindes, seiner Tochter Lili, bedeutet für ihn eine enorme seelische Bereicherung.

In seinen Tagebüchern schreibt er ausführlich seine Träume nieder und reflektiert seine Ängste, Sorgen, Empfindungen und Depressionen.

Seine Ehe war ziemlich zerrüttet, aber er löste sie nicht auf. Er verliebte sich in Stephi Bachrach, die zwei Jahre später Selbstmord beging. Nach dem Ende des Krieges ließ sich seine Frau Olga von ihm scheiden, um sich selbst als Künstlerin zu verwirklichen. Nach der Scheidung von seiner Frau, blieben Schnitzler das Heim, die Freunde, die Arbeit und die Kinder.

Mit siebzehn Jahren heiratete seine Tochter, die er über alles liebte, einen zwanzig Jahre älteren Italiener. Sie erschoss sich ein Jahr später, nachdem ihre Ehe gescheitert war. Arthur Schnitzler isolierte sich zunehmend wegen psychischer und physischer Probleme, die aus der Scheidung, wie auch aus dem Tod seiner Tochter herrührten. In seinen letzten Lebensjahren schreibt er den Roman „Therese. Chronik eines Frauenlebens“, in denen er Einzelschicksale um die Jahrhundertwende aus psychologischer Sicht darstellt.

Am 21. Oktober 1931 stirbt Arthur Schnitzler an den Folgen einer Gehirn-blutung in Wien. Anders als sein Zeitgenosse Hugo Hofmannsthal wurde er von den offiziellen Stellen kaum akzeptiert.

Die Sehnsucht, das Geschenk des Humors und der Wandel der Perspektiven

Die Buchautorin Jutta Jacobi erzählt die Familiengeschichte von Sehnsucht, dem Geschenk des Humors und dem Wandel der Perspektiven im Verlauf der Geschichte. Die Germanistin und Theaterwissenschaftlerin hatte sich auf die Suche gemacht und nicht nur die vorhandene Literatur aufgearbeitet, sondern auch selbst recherchiert. Erinnerungs- und Wirkungsstätten aufgesucht, mit den Nachfahren gesprochen. Daraus entstand eine Erzählung über gelebtes Leben. Generationenübergreifend und transatlantisch.

Wir erfahren von Verhandlungen am Theater, von Reisen, Sommerfrischen, Radfahrten, Theaterbesuchen und Beziehungen. Vor allem vom Radfahren, das Arthur Schnitzlers große Leidenschaft wurde. Er macht die „Bicycle-Prüfung“, er wird ordentliches Mitglied der „Radfahrer-Union Vorwärts“ und soupiert gelegentlich mit Clubmitgliedern. Er radelt zu seinen Patienten. Im Stadtbild von Wien war das Fahrrad um 1900 dennoch kaum präsent. Vor allem aber unternimmt er Radtouren, gerne mit befreundeten Künstlern wie Felix Salten, sogenannte Schriftstellerausfahrten, die sich allsommerlich wiederholen.

Aber wie konnte man sein Leben vor dem Hintergrund eines wachsenden Antisemitismus leben? Immerhin, so tröstet die Autorin, sind nicht alle Nicht-Juden, die Schnitzler kannte, zu Antisemiten geworden. Und als ihm nach der Veröffentlichung von „Leutnant Gustl“, in dem er den Ehrenkodex des österreichischen Militärs angreift, sein Offiziersrang aberkannt wurde, schrieb er seiner Mutter: „Wenn ich noch einmal einen Lieutenant Gustl schreiben würde – er fiele nicht mehr so liebenswürdig aus. Ich hoffe, Du betrachtest das ganze ausschließlich als Amusement.“

Mit Arthur Schnitzlers Nachfahren wurde seine Familiengeschichte eine transatlantische. Der Sohn Heinrich wurde Schauspieler und Regisseur, emigrierte 1938 in die USA, unterrichtete Regie in New York und Los Angeles, und kehrte Ende der 1950er-Jahre nach Wien zurück, wo er am Theater in der Josefstadt eine künstlerische Heimat fand und als Nachlassverwalter seines Vaters tätig war. Seine Kinder führten die Familientradition fort und wurden ebenfalls Künstler. Peter als Filmemacher, Regisseur, Maler und Schriftsteller in Los Angeles, Michael als Geiger in Wien und Naturschützer in Costa Rica.

Resilienz

Das Spannende an dieser Familiengeschichte ist, wie jede Generation aufs Neue mit den Schwierigkeiten und auch Möglichkeiten umgeht, die ihr die Geschichte zumutet. Zuerst der soziale Aufstieg und die Hoffnung auf eine demokratische Gesellschaft für alle im 19. Jahrhundert, dann der aufkommende Antisemitismus, Glanz und Erfolg, aber auch Schmähung des Hauptakteurs, Vertreibung durch den NS-Staat, neue Existenz in den USA und teilweise Rückkehr nach Wien.

Sie haben das, was heute in der Alltagspsychologie als Basis unseres Lebens betont wird: Resilienz. Widerstandsfähigkeit. Die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und als Anlass für Entwicklungen zu nutzen durch Rückgriff auf persönliche Ressourcen. Die Künstlerfamilie Schnitzler lebt in dieser Fähigkeit in jeder Generation aufs Neue. Ihre Geschichte ist eine der Würde und Gelassenheit, aber auch des Amüsements und der Freude. Trotz mancher Tragik.

Jutta Jacobi

Die Schnitzlers

Residenz Verlag Salzburg

304 Seiten

EUR 24,90 / sFr 34,60

ISBN: 9783701732791



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion