MARTHA ARGERICH – Die Löwin am Klavier

Titelbild
Martha Argerich im Juli 1994Foto: Roland R. Ropers
Von 30. Januar 2014

Olivier Bellamy schrieb über MARTHA ARGERICH – Die Löwin am Klavier, aus dem Füllhorn einer Jahrhundert-Künstlerin

Martha Argerich gehört zu den herausragenden Tasten-Genies, von denen es in einem Jahrhundert nur sehr wenige gibt. Am 5. Juni 1941 wurde sie in Buenos Aires geboren, wenige Monate zuvor der weltberühmte Pianist Bruno Leonardo Gelber, und 17 Monate später Daniel Barenboim. Alle drei sind die größten argentinischen Pianisten in der Geschichte ihres Heimatlandes. Die Eltern von Martha Argerich waren russisch-jüdischer Herkunft.

Mit fünf Jahren kam sie in die extrem harte Schule von Vincenzo Scaramuzza, 1885 in Crotone/Italien geboren. Der Unterricht glich einem Terrorregime, dem sich heute kein Schüler mehr aussetzen würde. Lob erfuhr Martha Argerich kaum. Wenn sie unaufhörlich dieselben Passagen spielen musste und vor Erschöpfung ausrief: „Ich sterbe!“, erwiderte ihr Meister: „Dann stirbst Du eben!“

Im Alter von nur sieben Jahren debütierte die junge Künstlerin im Teatro San Martin mit einem Programm, das für ein Kind kaum zu bewältigen ist: Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 d-moll KV 466, Beethovens 1. Klavierkonzert C-Dur op. 15 und die Englische Suite Nr. 3 g-moll von J.S. Bach. Mit 11 Jahren spielte sie erstmals Schumanns Klavierkonzert a-moll op. 54 im Teatro Colón. Ständig kamen berühmte Pianisten und Dirigenten nach Südamerika; der wunderbare Chopin-Interpret Stefan Askenase kam im Juli 1953 nach Buenos Aires und sollte später eine wichtige Rolle in Martha Argerichs Karriere spielen. Er bereitete sie für den Internationalen Chopin-Wettbewerb 1965 vor, den sie bravourös gewann.

1955 wurde sie in Wien die einzige Schülerin des Pianisten Friedrich Gulda (1930 – 2000). 1957 gewann sie erste Preise beim Busoni-Wettbewerb in Bozen und beim Concours International in Genf, wenig später gab sie in Hamburg ihr Europa-Debüt. Die Deutsche Grammophon bot ihr spontan einen Exklusivvertrag an. Martha Argerich besaß die Fähigkeiten die schwierigsten Klavierkonzerte im Schlaf auswendig zu lernen, man nennt diese übermenschliche Gedächtnisfähigkeit „total recall“.

Sie kam mit 18 Jahren nach München und lernte über Nacht Haydns Klavierkonzert Nr. 11 D-Dur auswendig, indem sie die Noten in Windeseile durchlas und dann die Noten unter ihr Kopfkissen legte. Das Privatleben von Martha Argerich ist eine Dauerserie von Leidenschaften und Leid. Drei Töchter von drei verschiedenen Vätern, ihre erste Tochter Lyda kommt im März 1964 in Genf zur Welt, genau ein Jahr vor dem großen Chopin-Wettbewerb in Warschau. In München wollte sie einen Probelauf machen und wurde von Joachim Kaiser, dem bis heute berüchtigten Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung völlig verrissen. Die 23-jährige Künstlerin war am Boden zerstört.

Aber der kometenhafte Aufstieg der Pianistin war nicht mehr aufzuhalten. Weltweite Tourneen und ein genial-chaotisches Privatleben. Sie sagte oft Konzerte ab, aber wenn sie auftrat, waren es immer Sternstunden, die man nie vergessen wird. 1997 überwindet sie eine nahezu finale Krebserkrankung, wird von einem Chirurgen in Los Angeles (Honorar 70.000.- US-Dollar) erfolgreich operiert. Ihr Haus ist ständig mit Freunden belebt. Die Nacht ist ihre Hauptarbeitszeit – über Tag schläft sie bis zum frühen Nachmittag.

Zu ihrem 70. Geburtstag hat der berühmte russische Komponist Rodion Schtschedrin (in Moskau und München zu Hause) ein in der Musikgeschichte einmaliges Konzert für Klavier, Cello und Orchester geschrieben, das Martha Argerich im Jahr 2011 zusammen mit Mischa Maisky in Lugano, Genf, Zürich, Luzern, Baden-Baden, Wien Paris, London, Ferrara und Bologna aufgeführt hat.

Der einfühlsame Biograph Olivier Bellamy schreibt am Ende dieses bewegenden Buches: „Musik hat die Macht, die Zeit anzuhalten. Sie eröffnet eine andere Dimension, in der das Bewusstsein von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgelöscht ist. Indem sie selbst Kind blieb, hat die Pianistin sich die Freiheit bewahrt, auf Entdeckungsreise zu gehen, stets mit dem Blick nach vorn und sämtliche Fallen meidend, in die die Nostalgie, die Eitelkeit oder der Wunsch nach Besitzstand uns so leicht tappen lassen. Denn fernab davon, sich ihr eigenes Denkmal zu errichten, wird Martha Argerich bis zu ihrem letzten Atemzug ein einziges Motto haben: Leben und leben lassen!“

Heute startet in den deutschen Kinos der Film über sie, gedreht von ihrer Tochter Stéphanie Argerich: ARGERICH – Bloody Daughter

Olivier Bellamy
MARTHA ARGERICH – Die Löwin am Klavier
Edition Heidenreich bei C. Bertelsmann
288 Seiten – München 11. April 2011 – € 19,95



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