Österreich im Fokus auf der Leipziger Buchmesse

Vom 27. bis 30. April 2023 öffnete die Leipziger Buchmesse ihre Tore für die Öffentlichkeit. Die Besonderheit des Momentes, wenn so viele Menschen der Literaturszene zusammenkommen, gleicht einer Festivalstimmung.
Titelbild
Katja Gasser, künstlerische Leiterin für den Auftritt des Gastlandes Österreich, und die Autorin Ana Marwan im Gespräch.Foto: Otto Müller Verlag
Von 3. Mai 2023

Beeindruckend wölbt sich das Glas-Halbrund des Tunnelgewölbes in den Himmel. Die Bauten der Leipziger Messe setzen ganz auf Helligkeit und Transparenz. Meine Begleitung macht mich auf die spiegelnde Wasserfläche vor dem Gebäude aufmerksam. Ästhetisch reizvoll, die Gesamtanlage passend ergänzend. Wir reihen uns in den Strom der Menschen ein. Viele junge Leute – fast überwiegend, mag es mir scheinen. Einige unter ihnen mit fantasievoller, keiner Epoche zuzuordnender Verkleidung.

Die Welt entsteht in unseren Köpfen

Da, leicht und gut strukturiert, finden wir in den Messehallen ohne Umschweife zur gewünschten Veranstaltung. Österreich ist dieses Jahr das auserwählte Gastland. Eine stutzig machende Wortkette „meaoiswiamia“  – auf nicht-österreichisch also „mehr als wir“– ist das Motto, das sich Österreich für seine Präsentation auf der Buchmesse gegeben hat. In Bezug auf das sonst geläufige „mir san mir“ (wir sind wir) soll es ein „zarte[s], offene[s] ‚Wir‘, [sein], das sich ideologisch nicht funktionalisieren lässt“, so Katja Gasser, künstlerische Leiterin des österreichischen Gastlandauftrittes.

Bei der Vorauswahl der zu besuchenden Programmpunkte war mir sofort einer ins Auge gesprungen: „Verpuppt!“ Es ist der Buchtitel des von Ana Marwan im Januar dieses Jahres im Otto-Müller-Verlag/Salzburg erschienen Buches. „Zabubljena“ ist der Titel des slowenischen Originals der slowenisch-österreichischen Schriftstellerin. Im Klappentext heißt es: „Durch Beobachtung stellt sie [die Protagonistin] fest: Der Mensch ist ein Gefäß, in das über die Jahre alles hineinkommt von außen – Meinungen, Verhaltensweisen, Gesten ….“

Rita, die Protagonistin, ist jung. Sie sucht Austausch, Kontakt, vielleicht auch Liebe bei einem älteren Mann – Herrn Jež. Hier findet sie die Sensibilität, die sie in der sie umgebenden Gesellschaft vermisst. Still und fein beobachtet zeigt der Roman die mögliche Brutalität der Menschen im ganz Gewohnten. „Ich habe über eine Fliege gelesen, die 20 Jahre der Verpuppung im Schlamm verbringt und dann zu einer Eintagsfliege schlüpft – metaphorisch eine sehr gute Identifikationsbasis für mich, […] die Puppe, die von außen betrachtet so still und fast tot wirkt, aber im Inneren passiert so viel“, lädt Marwan in ihre Gedankenbilderwelt ein.

Wir hätten alle Facetten in uns, sowohl Kind als auch alter Mann, beschreibt die Autorin. Das Ende in „Verpuppt“ bleibt durchaus bitter. Rita soll arbeiten, Kinder kriegen, den Mund halten „… und eine morgens und eine abends nehmen“. Das Quäntchen Hoffnung bleibt in der zarten Dokumentation der Absurditäten und Rohheiten unserer Gesellschaft. Marwan gibt Rita die Freiheit, all das wahrzunehmen.

2005 kam Ana Marwan 25-jährig von Ljubljana nach Wien, um dort ihr Studium fortzusetzen. 2008 folgt die Auszeichnung mit dem Exil-Literaturpreis und 2022 schließlich der Ingeborg-Bachmann-Preis und der slowenische Kritikerpreis. Inzwischen ist sie von Wien aufs Land gezogen – nach Niederösterreich. Sehr behutsam, in sich gekehrt, fast scheu, doch sehr aufmerksam wirkt sie auf mich auf dem Podium des Café Europa. Neben ihr Vivian Perkovic, mit sprudelnder Lebendigkeit moderierend.

Menschliche Verbindung durch Literatur

„Das Unzugängliche an uns Menschen, die wir alle ‚black boxes‘ sind, das irritiert mich schon. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, dass ich diese ‚black boxes‘ so seziere und versuche, da hineinzublicken. Aber es ist eigentlich unmöglich. Wie werden wir jemals einen Beweis dafür haben, dass die KI kein Bewusstsein hat, denn ich habe nicht mal einen Beweis, dass meine Mitmenschen ein …“, Ana Marwan bricht mit einem Lachen ab. Das Publikum lacht mit ihr über diese Ungeheuerlichkeit. Das Thema der Roboter beschäftige sie stark, fügt Marwan später hinzu.

Dabei ist für Marwan die Aufgabe der Literatur, die Kommunikation zwischen den Menschen anzuregen: Sich einzufühlen in andere, das Andere, Fremde verstehen zu lernen. Es gehe auch um das Gutsein, wobei sie damit meine „gut, so wie man im Mutterleib gut ist…, aber eine Geburt lässt sich nicht vermeiden“, setzt sie hinzu.

Von der Mentalität finde sie, dass die Slowenen den Österreichern ähnlicher sind als den Menschen auf dem Balkan. „K[kaiserlich] und k[königlich] ist immer noch eins“, pflichtet ihr die Moderatorin in Anspielung auf die Habsburger Monarchie bei. „Wenn ich das in Slowenien oder Österreich sage, [dass] wir eigentlich sehr ähnlich [sind], in beiden Fällen, sind die Leute beleidigt. Sehr vielsagend und lustig und eine Bestätigung dafür, dass wir doch sehr ähnlich sind“, amüsiert sich Marwan.

Traduki – Übersetzung im Mittelpunkt

Und doch sind die unterschiedlichen Sprachen eben die Hürde in der Kommunikation. Traduki, Veranstalter des Gesprächs mit Ana Marwan, baut hierbei Brücken. Initiiert von den drei Ländern Schweiz, Österreich, Deutschland ist unter diesem Namen ein Förderprogramm für Literaturübersetzung entstanden: zwischen der deutschen und den südosteuropäischen Sprachen als auch den südosteuropäischen Sprachen untereinander.

„Es trägt bereits Früchte, auch wenn noch Platz nach oben“ sei, sagt Annemarie Türk von Traduki, bezogen auf die Wahrnehmung und das Interesse der südosteuropäischen Literatur seitens der deutschsprachigen. Österreich selbst hat sechs autochthone, sprich alteingesessene Volksgruppen: die slowenische, die burgenlandkroatische, die tschechische, die slowakische, die Volksgruppe der Roma und Sinti und die ungarische.

Andrej Lovšin von Traduki sieht die Freude an seiner Arbeit hierin: „Ich bin immer froh, wenn ich ein Buch lesen kann, das aus einer anderen Sprache kommt und ich damit eine neue Welt erkunden kann. Indem wir die Arbeit der Übersetzer unterstützen, erschließen wir uns neue Welten und Gedanken.“

Hunderttausende Besucher waren auf der Buchmesse dieses Jahr, wie ich hinterher erfahre. Also ist es auch für viele andere Nahrung, in Gedankenräumen spazieren zu gehen. Als ich Richtung Ausgang steuere, löst sich das Rätsel der Bunt-Kostümierten. Zwei junge Mädchen mit schwarz-weiß geschminkten Gesichtern lassen mich wissen, dass die Manga-Comics-Convention im Rahmen der Leipziger Buchmesse stattfände. Bunt ist sie, die Welt, das steht fest.

 



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