Die letzten ihrer Art

Bei dem Besuch von Rentierzüchtern in der arktischen Kälte Sibiriens ging der italienische Fotograf Alessandro Bergamini an seine Grenzen.
Titelbild
Von 20. August 2022

Der italienische Fotograf Alessandro Bergamini ist fasziniert von der Widerstandsfähigkeit des Volkes der Nenet, einer Gruppe sibirischer Hirtennomaden. Von seinen Reisen auf die Halbinsel Jamal brachte er stimmungsvolle Fotoserien mit nach Hause. Und er erzählt von seinen Erlebnissen im hohen Norden.

„Besonders beeindruckt hat mich ihre Fähigkeit, sich an die unwirtlichste Gegend anzupassen, die ich je besucht habe. Alles ist schwierig“, sagt er der Epoch Times. Die Nenet müssen Temperaturen von minus 50 Grad Celsius standhalten. „Selbst das Gehen im Freien ist bei diesen Temperaturen unglaublich anstrengend, man friert!“ Auch Bergamini stellten die extremen klimatischen Bedingungen vor Herausforderungen: „Das stellt einen auf eine harte Probe und macht einem bewusst, wie anstrengend das Überleben sein kann, aber es bietet auch unvergessliche und intime Momente.“

Aufgrund der ökologischen Schäden, die durch die Ausbeutung der Erdgas- und Erdölvorkommen in der Region verursacht werden, ist das Volk der Nenet in seiner Existenz bedroht. „Die Tatsache, dass es sich um ein Volk handelt, das in wenigen Jahren aussterben wird, hat mich dazu veranlasst, sie zu fotografieren. Diese Menschen sind die Letzten [ihres Stammes].“

Zusammenleben in einer extremen Umgebung

Bergamini hat beobachtet, dass die Nenet in kleinen Familiengruppen von sechs bis acht Personen leben. Bei jeder seiner drei Reisen wohnte der Fotograf bei einer anderen Gastfamilie, um mehr über das Leben in der baumlosen Tundra zu erfahren. Ein Dolmetscher half ihm bei der Verständigung.

„Wir haben alle zusammen geschlafen. Am Morgen war alles im Zelt gefroren. Das Essen besteht entweder aus gedünstetem Rentierfleisch oder aus Fisch, den man gefangen hat und draußen gefrieren lässt. Sie sind ein arbeitendes Volk, nicht sehr gesellig, aber dennoch interessant und gastfreundlich.“

Die eisigen Temperaturen bei nur wenigen Stunden Sonnenlicht am Tag überstehen die Nenet in Zelten oder „Chums“, die aus Rentierfellen gefertigt sind. Aus ihnen stellen sie auch ihre Kleidung her. In den Städten, die sie durchqueren, verkaufen sie einige Rentiere, um sich mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln für den Winter einzudecken.

Auch wenn die Wasserflächen gefroren sind, gibt es frischen Fisch: Beim Eisfischen erjagen sie Fische, die zu einem eisfrei gemachten Wasserloch geschwommen kommen, mit dem Speer. Der Fisch wird auf einem holzbefeuerten Ofen zu einer wärmenden Suppe verarbeitet. „Solange die Öfen an sind, ist das Raumklima sehr angenehm“, sagt Bergamini. „Aber sobald man ins Bett geht und sie ausgehen, schläft man bei 20 Grad unter null.“

Wie viele andere Stammes- und Traditionsgemeinschaften verehren auch die Nenet ihre Ältesten. Eines von Bergaminis einprägsamsten Erlebnissen auf Jamal war ein gemeinsamer Moment zwischen einem Großvater und seinem Enkel. „Im Schutz des Zeltes schuf der alte Mann eine behagliche Atmosphäre, indem er uns im Schein einer Laterne Essen und heißen Tee anbot“, erinnert er sich. „Er versuchte, uns von seiner Familie zu erzählen, mit einem Schäferhundwelpen auf dem Schoß, während sein Neffe ihm zuhörte.“

Wanderung

Während seiner Reisen hatte Bergamini auch das Glück, einer Wanderung der Nomaden beizuwohnen. Je nach Wetterlage wechseln sie ihren Standort auf der Suche nach frischem Weideland und Nahrung, zu Fuß oder mit dem Schlitten. Säuglinge und Kinder fahren in kleinen überdachten Schlitten mit, um sie vor der Kälte zu schützen.

Bei Tagesanbruch bauen die Familien ihre Zelte nach einem „geordneten und schnellen System“ ab: Sie rollen die Rentierleder zusammen, demontieren die Holzstangen, heben den Bodenbelag an, sammeln ihre Lebensmittelvorräte ein, beladen dann ihre Schlitten und sichern Babys und Kinder. Noch vor Sonnenuntergang haben sie ihre Rentiere zusammengetrieben – mithilfe von ausgebildeten Hunden, die die grasenden Tiere in der Tundra aufspüren und zusammentreiben – um sich auf eine Reise von einigen Kilometern zu begeben.

„Auf der Strecke liegt die Kälte an der Grenze des Erträglichen“, sagt der Fotograf. „Sobald sie das neue Gebiet ausgewählt haben, werden die Zelte im Dunkeln innerhalb von ein bis zwei Stunden wieder aufgebaut. Schließlich kann ein Feuer gemacht werden, um sich aufzuwärmen.“

Der Fotograf

Bergamini, der aus Finale Emilia in der italienischen Provinz Modena stammt, reist jedes Jahr um den Globus, um Fotos zu machen. Zu seinen bisherigen Reisezielen gehören Afghanistan, China, Indien, Myanmar und Peru. Die sibirische Halbinsel Jamal besuchte er im Dezember 2018, 2019 und 2021.

Der 35-Jährige begann mit Mitte 20, mit der alten Spiegelreflexkamera seines Vaters zu fotografieren, nachdem er gebeten worden war, die Orte, die er besuchte, und die Menschen, die er traf, zu dokumentieren. Seine Leidenschaft, „die Essenz des Reisens“ in Fotos festzuhalten, wurde zum Beruf.

Er zeigt seine Lieblingsbilder auf Instagram, in gedruckten Sammlungen und Wettbewerben sowie auf Fotofestivals und Live-Ausstellungen. Bergaminis Fotos von Jamal gehören zu einer Porträtsammlung mit dem Titel „Humanity“ (Deutsch etwa: Menschlichkeit), die die kulturelle Vielfalt feiert.

Seine Reisen in die abgelegene, eisige Gegend im arktischen Russland war etwas Besonderes für Bergamini: Dort hat er noch nie eine Touristengruppe angetroffen.

 



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