Ab 2024 gelten neue Regeln für mehr „Diversität“ in der Filmbranche – „Vielfalt“ als Oscar-Kriterium für „Bester Film“

Sowohl die US-Oscar-Academy als auch die staatliche Filmförderungsgesellschaft für Hamburg und Schleswig-Holstein wollen künftig auch identitätspolitische Vorgaben zur Grundlage von Förderungen und Prämierungen machen. Dadurch soll mehr an „Vielfalt“ bewirkt werden.
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Mehr als 9000 Academy-Mitglieder bestimmen jedes Jahr die Oscar-Preisträger.Foto: Danny Moloshok/Invision/AP/dpa/dpa
Von 9. September 2020

In der DDR waren Kulturförderung und Auftragsvergaben an Künstler streng an die kulturpolitischen Vorgaben der SED und der Organisationen des „demokratischen Blocks“ gebunden. Die Produktionen mussten dem Leitbild des „Sozialistischen Realismus“ genügen, häufig nahmen Funktionäre persönlich auf Inhalte literarischer Texte oder von Drehbüchern Einfluss.

Jüngste Vorstöße der Oscar-Akademie in den USA und der Filmförderung Hamburg und Schleswig-Holstein, über Vorgaben bezüglich „Vielfalt“ und „Inklusion“ Inhalte künstlerischen Schaffens zu steuern, haben vor diesem Hintergrund Kritik in sozialen Medien ausgelöst.

„Diverse globale Weltbevölkerung widerspiegeln“

Wie die „Basler Zeitung“ berichtet, hat die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die jährlich die Academy Awards, besser bekannt als „Oscars“, vergibt, am Dienstag (8.9.) Richtlinien vorgestellt, die ab 2024 gelten und mehr Diversität im US-amerikanischen Filmschaffen bewirken sollen.

Den „Repräsentations- und Inklusionsstandards für die Oscar-Auswahlfähigkeit“ zufolge sollen insbesondere für die Prämierung als „Bester Film“ nur noch solche Produktionen in Frage kommen, die bestimmten Anforderungen im Bereich der „Vielfalt“ genügen.

Sowohl vor der Kamera und unter den Hauptdarstellern als auch in der Filmcrew, im Studio und in anderen Bereichen der Filmproduktion müsse demnach mehr Diversität bezüglich Geschlechtern, sexueller Orientierung und Minderheiten zum Ausdruck kommen. Auch Menschen mit Behinderung müssen den Richtlinien zufolge in irgendeiner Weise eine Funktion in einem der genannten Bereiche ausfüllen.

Um „unsere diverse globale Weltbevölkerung bei der Schaffung von Filmen und das Publikum widerzuspiegeln, das sich mit ihnen verbindet“, sei es erforderlich, eine solche „breitere Öffnung“ als „Katalysator“ für grundlegende und dauerhafte Veränderungen in der Filmindustrie zu schaffen, erklärten Academy-Präsident David Rubin und die Vorstandsvorsitzende Dawn Hudson.

Oscar-Kandidaten müssen Quoten-artige Vorgaben erfüllen

Dafür werden zum Teil sehr detaillierte Eckpunkte genannt, die eine Produktion beherzigen muss, um überhaupt eine realistische Aussicht auf Nominierung zu haben. So muss mindestens eine Hauptrolle oder wichtige Nebenrolle von einem Schauspieler aus einer ethnischen Minderheit oder „unterrepräsentierten Gruppe“ besetzt sein oder mindestens 30 Prozent der Zweitrollen.

Es sei auch zulässig, die Kriterien dadurch zu erfüllen, dass inhaltlich eine solche Gruppe im Mittelpunkt stehe – die Akademie zählt dazu Frauen, Behinderte, ethnische oder „sexuelle Minderheiten“ wie Angehörige der LGBT-Community.

Nicht nur in der US-amerikanischen Oscar-Akademie, wo der Zugang zur Preisverleihung von Diversitäts-Quoten abhängig gemacht wird, kommt künftig eine solche Methode zum Einsatz, mit der Produzenten und Autoren „überzeugt“ werden sollen, ihre Werke inhaltlich oder personell anzupassen.

„Grüner Drehpass“ war der Anfang

Auch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH), die Filmförderinstitution der beiden Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, will die Vergabe von Fördermitteln von identitätspolitischen Vorgaben abhängig machen.

Dazu hat die Einrichtung auf ihrer Webseite eine „Diversity-Checkliste“ veröffentlicht, die neben einer „diversen Besetzung unserer Fördergremien“ auch „unsere Fördernehmer*innen stärker für das Thema Diversität sensibilisieren“ soll.

Nachdem man bereits vor Jahren einen „Grünen Drehpass“ eingeführt hatte, der dem Postulat der „ökologischen Nachhaltigkeit“ Genüge tun sollte, will man nun dem Umstand Rechnung tragen, dass „gute und erfolgreiche Filme […] ohne Klischees und stereotype Rollenbilder“ auskämen.

Man wisse jedoch aus „etlichen Studien“, so heißt es weiter, dass „es vor und hinter der Kamera noch viel zu tun gibt, bis alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Hautfarbe, Orientierung und anderen Merkmalen die gleichen Chancen bekommen, sich auszudrücken oder mit den eigenen Erfahrungen im Film repräsentiert zu werden“.

Filmförderung mit Checkliste: „Gibt es im Team People of Colour? Und wenn nein: Warum nicht?“

Deshalb habe die Filmbranche „die Verantwortung und auch Chance, unsere Alltagsumgebung und die vielfältige Gesellschaft in ihrer Diversität abzubilden, ohne in Klischees zu verfallen oder unbewusste Vorurteile zu bestätigen“. Zwar sollen künstlerische Freiheit oder arbeitsrechtliche Fragen unberührt bleiben – aber man will dennoch „unsere vielfältige, multikulturelle Gesellschaft modern und in all ihren Facetten auf der Leinwand sehen“.

Ab sofort seien „Antragsteller*innen“ deshalb verpflichtet, einen Fragenkatalog zur Diversität ihres Projekts zu beantworten. So sollen diese „zur bewussten Beschäftigung mit dem Thema Diversität und zur kritischen Überprüfung des eigenen Handelns angeregt werden“. Zu den Fragen gehören etwa folgende:

Sehen wir im geplanten Filmprojekt Menschen mit Behinderung? Wie viele Frauen sind in leitenden Funktionen am Projekt beteiligt? Gibt es im Team People of Colour? Und wenn nein: Warum nicht?“

Bitterfelder Weg 2.0?

Die „Diversity Checklist“ gibt es mittlerweile erst mal nur für Development und Produktion bei Spielfilmen und fiktionalen Serien, außerdem zum Verleih für Spielfilme und in Form einer Erklärung zur Checklist. Man wisse aber, dass dies „nur ein Anfang“ sein könne. Deshalb werde man weiterhin im Austausch mit der Branche bleiben, um „die Liste fortlaufend anzupassen und weitere Maßnahmen zu entwickeln“.

Inhaltliche Vorgaben in einer ähnlichen Dichte hatte es in Deutschland zuletzt in der DDR mit dem „Bitterfelder Weg“ der späten 1950er Jahre gegeben.

Dieser sollte die Kulturpolitik des Landes auf einen Weg bringen, der Künstler zu dem Zwecke fördert, eine eigenständige „sozialistische Nationalkultur“ zu entwickeln. Diese sollte den „wachsenden künstlerisch-ästhetischen Bedürfnissen der Werktätigen“ entgegenkommen und die „Entfremdung zwischen Künstler und Volk“ überwinden.

Allerdings standen nicht die ethnischen und sexuellen Minderheiten, sondern die Arbeitswelt im Mittelpunkt des Bestrebens, die „vorhandene Trennung von Kunst und Leben“ zu überwinden, um „die Arbeiterklasse am Aufbau des Sozialismus umfassender zu beteiligen“.

„Vielfalt“ als neues Leitbild

Künstler und Schriftsteller sollten dazu unter anderem in Fabriken arbeiten und Werktätige im Rahmen der „Bewegung schreibender Arbeiter“ bei eigenen künstlerischen Bemühungen unterstützen.

In vielen Fällen versuchten dabei auch Funktionäre des Kulturbundes oder der SED, schon in der Entstehung Einfluss auf den Inhalt und die Handlung von Theaterstücken oder Literaturwerken auszuüben – etwa dadurch, dass Dialoge unter Werktätigen in die Handlung eingearbeitet werden sollten, in denen diese sich über Wege zur Erfüllung von Planvorgaben austauschten.

Vom Leitbild des sozialistischen Realismus abweichende Kunst gab es in der DDR zwar auch. Förderung durch staatliche Institutionen kam dafür jedoch kaum in Betracht.
(Mit Material der dpa)



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