Abschiedskonzert von Alfred Brendel

Eindrücke vom Abschiedskonzert am 22.5.2008 in der Hamburger Musikhalle
Titelbild
(Clive Barda)
Von 2. Juni 2008

Es ging durch die Medien: Ein berühmter Pianist gibt seine letzten Konzerte. Die Aufmerksamkeit ist groß. Auch ein „normales“ Alfred-Brendel-Konzert hätte Aufmerksamkeit verursacht. Hier kam der Charakter des Vergänglichen, Unwiederholbaren selbstverständlich ganz besonders heraus; auch wenn man einmal davon absieht, dass die namhaftesten Künstler nicht selten schon eine Abschiedstournee nach der anderen verkündet haben. Dies ist aber bei einem ernsthaften Künstler wie Alfred Brendel nicht zu erwarten.

Vor der Musikhalle zahlreiche Hoffende ohne Karte mit einem Schild in der Hand: „Suche eine Karte“ oder sogar bei sehr Optimistischen: „Suche zwei Karten“. Die Sonne schien herrlich auf den Brahms- und Karl-Muck-Platz, die schlossartige Architektur der von der Familie Laeisz finanzierten Musikhalle, die seit einiger Zeit eifrig und etwas aufdringlich nur noch zur „Laeiszhalle“ gemacht werden soll, um die Familie und ihr Unternehmen als Sponsor noch fester und möglichst konkurrenzlos an sich zu binden; – vielleicht eine Reaktion auf die kommende, spektakulär aussehende Elb-Philharmonie.

Das Konzert war „restlos“ ausverkauft. Sogar auf dem Podium waren Plätze aufgebaut worden; allerdings nur mit Blick auf die linke Hälfte der Bühne; wahrscheinlich sollten alle den Pianisten und möglichst auch seine Hände noch sehen können. Beim letzten Konzert von Wilhelm Kempff in Hamburg, war das Podium noch ganz – wie für einen Chor – mit Stühlen gefüllt worden.

Ich hatte Alfred Brendel schon gehört; ebenfalls in der Musikhalle. Ich hatte damals große Erwartungen an ihn gehabt – die enttäuscht wurden. Philipp v. Morgen, Cellist und Profimusiker, erzählte mir damals, dass Brendel so viele Konzerte gebe, um wenigstens ein paar Mal dabei das Hochgefühl einer wirklich in jedem Punkt gelungenen Darbietung zu erreichen und zu genießen – sozusagen in einen Zustand höherer Erfüllung zu gelangen, alle Widerstände zu überwinden, zu fließen gewissermaßen. Man könnte das wohl auch mit dem Wort „Trance“ bezeichnen, ein Wort allerdings, das, wie ich jetzt feststellen konnte, zu Brendel nicht wirklich passt. Dafür ist geistig-gelehrsame Vorbereitung zu intensiv. Hierfür ist seine eigene permanente Überwachung seines Spieles zu unerbittlich.

Das erste Stück war Joseph Haydns „Variationen f-Moll Hob. XVII: 6″, bestehend aus den Themen, Variation 1, Variation 2 und einem Schlussteil. Es wurde behutsam und verhalten gespielt. Da wurde etwas eher vorgeführt als eingesetzt. Es wurde deutlich, dass Haydn nicht nur Konvention bot, sondern Musik und das heißt insbesondere zweierlei: ein Ausloten der Tiefe bis in unerforschte tiefste Tiefen hinein; und ein Aufeinanderbeziehen von Tönen, Tonfolgen, Farben; ein Miteinander, ein Gespräch, eine Unterhaltung. Und in der Erinnerung bleibt Haydn als körperlicher Umriss bestehen.

Brendel selber hat im Programmheft Erklärungen zu den einzelnen Stücken geschrieben: aufschlussreich darüber, welchen Hindernislauf von Gelehrsamkeit er bei jedem Konzert überwinden muss, um dieses Ziel des Flusses, dieser höheren Erfüllung zu erreichen! Was er über Haydn schreibt, bestätigt meinen Eindruck: „Wir sehen ihn heute nicht mehr in erster Linie als Wegbereiter Mozarts und Beethovens und als den ‚Hausfreund, der uns nichts Neues mehr zu sagen hat‘ (Schumann), sondern, ganz im Gegenteil, als Entdecker und Abenteurer, Vermesser musikalischer Kontinente […].

Gleichwohl war das Programm aufgebaut, als wolle Brendel die Wegbereiter-Theorie fortsetzend untermauern: Auf den Haydn folgte ein Mozart; auf diesen eine Beethoven-Sonate. Auch hier wieder: ganz präzise und korrekt gespielt. Man fühlte sich ein bisschen in einem qualitätsvollen Musikkonservatorium. Aber für das leichteste Gewölk, für eine Heiterkeit, selbst eine Heiterkeit gegen Schwermutschatten gesetzt, und für diesen besonderen, mit Worten nicht fassbaren mozartischen Zauber reichte die Beweglichkeit Brendels nicht aus. So präzise, achtbar, richtig und tadellos alles gespielt war, ein Abheben gab es nicht. Die Stimmung im Publikum war deswegen auch immer noch abwartend; der Applaus freundlich, aber keineswegs begeistert.

Das änderte sich mit der Beethoven-Sonate Nr. 13 Es-Dur op.27/1, die ebenfalls, wie die bekanntere op. 27/2 (Mondscheinsonate), den Untertitel trägt: Quasi una fantasia; aber kerniger, rauer ausfällt. Das Stück setzt sich aus einem ruhigeren 1. Satz, Andante, einem lebhaften, Allegro molte vivace, einem 3. wieder ruhigeren, vorbereitenden Satz, Adagio con espressione, zusammen, der dann überleitet in den Höhepunkt der Sonate, den 4. Satz, ein Allegro vivace. Der Zugriff gelingt schon mit den ersten Takten. Auch sind die Satzbezeichnungen des 2. und 4. Satzes fast gleich. Und das „Molto“, das der 2. Satz mehr hat, gibt ihm noch ein bisschen mehr Vorschub, sodass er sich leichter dem 4. in der Höhe ebenbürtig an die Seite stellen kann. Der 4. Satz erinnert an ein Rondo, das breit seine Möglichkeiten ausspielt. Es ist ja recht unwegsames Gelände, das Brendel hier gangbar gemacht hat, als habe er eine Bresche geschlagen und Stufen. „Diese an Ideen reiche Sonate gehört unter die interessantesten, obwohl nicht unter die leichtesten“, äußerte sich Beethovens Schüler Carl Czerny.

Als ich in die Pause ging, dachte ich, die Sonate noch im Ohr, dass man diesen gestuften Aufbau und diesen Rondo-Satz lange nicht vergessen wird.

Ein spätes Klavierwerk Franz Schuberts füllte den zweiten Konzertteil aus – höchst beeindruckend. Ein mittleres Tempo, wie es Brendel besonders zu entsprechen scheint. Dazwischen ruhigere Passagen. Das Stück, bestehend aus vier Sätzen, ist etwa eine halbe Stunde lang. Die Breite aber, in der die Motive, fast schon minimalistisch, entfaltet werden, ist nie schwer oder gar lästig. Ich empfand den individuellen Mythos des Märchens – die höchste Kunstform romantischer Poesie – in dem die Gesetze der Erfahrung aufgehoben sind, Raum und Zeit und Kausalität keine Gültigkeit mehr haben, wohl aber das Gesetz des „similia similibus“, das ein Gesetz der Magie ist und das Goethe einmal: „das gegenseitige Hülfeleisten der Kräfte und das Zurückweisen aufeinander“ nennt. Brendel selbst schreibt: „Schuberts wunderbare B-Dur-Sonate gehört zu den Klavierwerken, die es verstehen, ein reines Gefühl am unmittelbarsten mitzuteilen. Die ersten beiden Sätze nehmen Abschied […] Die folgenden beiden Sätze sind ja durchaus diesseitig. […] Doch der Schubert des letzten Lebensjahres 1828 war auch der Schöpfer der großen Es-Dur-Messe. Der Beginn der B-Dur-Sonate gehört in seiner zart-hymnischen Feierlichkeit dieser sakralen Sphäre an […]. Ihr Bereich liegt irgendwo zwischen Jean-Paulschem Humor und dem Wiener Dietkum die Lage sei hoffnungslos, aber nicht ernst. Dass Schubert auch noch in seiner letzten Lebenszeit manchmal imstande war, die Dinge leicht zu nehmen, sollte uns freuen.“

Drei Zugaben, die diesen schubertschen Ton fortsetzen, schließen sich an.

Alfred Brendel hat sich in der zweiten Hälfte des Konzerts bis in die Reihe der ganz großen Pianisten wie Serkin, Askenase, Horowitz, Kempff, Arau hineingespielt. Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit hatte, mein enttäuschtes Urteil von früher widerlegen zu dürfen.

(Clive Barda)
(Clive Barda)


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