Ai Weiwei in „Never Sorry“ – ein Meister der Flusskrebs-Parties
„Never Sorry“ stellt mit dem Künstler und Aktivisten Ai Weiwei nicht nur den momentan vermutlich populärsten Chinesen der Welt vor, der Film ist auch ein beeindruckendes Portrait der modernen chinesischen Gesellschaft.
Im Film der Amerikanerin Alison Klaymann, die Ai Weiwei drei Jahre lang begleitete, sind die Chinesen ein Volk sensibler, sonniger Menschen, die allesamt Abhärtung erfahren haben. Einige ältere Weggefährten Ai Weiweis, die darin zu Wort kommen, sind geradezu gebrochene Gestalten. Und es kommen nicht zuletzt jene darin vor, die sich im Windschatten seiner Berühmtheit trauen, hervorzutreten, um dem Regime ihren Unwillen kundzutun. So geschehen als Teilnehmer einer Flusskrebs-Party zum Beispiel, die Ai Weiwei spontan im Internet ankündigte, als das Regime ihm den Abrissbefehl für sein Shanghaier Atelier schickte.(„Flusskrebs“ stellt im Jargon der chinesischen Netzbürger eine Verballhornung des Begriffs der „harmonischen Gesellschaft“ dar, mit dem die Kommunistische Partei Chinas in den letzten Jahren ihre Zensurpolitik rechtfertigte.)
Widerstand, der Respekt weckt
Rund um die Hauptperson Ai Weiwei scheint im Film immer wieder auf, wie sich die ganz normalen Chinesen fühlen: Wie sie zum Mitmachen gezwungen werden, wie sie die ihnen verordneten Rollen in der kommunistischen Gesellschaft spielen und doch alle heimlich auf den Tag warten, an dem dieses Theater vorbei und ihr Leben kein gefährlicher Eiertanz mehr ist.
Ihre heimliche Sympathie mit dem „unkooperativen Element“ Ai Weiwei steht ihnen geradezu ins Gesicht geschrieben, wenn zum Beispiel eine junge Polizistin ihren Kollegen neugierig und äußerst interessiert über die Schulter guckt, während diese Ai Weiweis Klage, er sei von einem Beamten verletzt worden, zum zweiten Mal – und zumindest der Form halber – protokollieren müssen. Oder wenn ein anderer Bewacher fast zu lachen anfängt, weil Ai Weiwei sich von seinem routinemäßigen „Hier dürfen Sie nicht fotografieren“ so hartnäckig unbeeindruckt zeigt und trotzdem knipst.
In diesem Zusammenhang wird Ai Weiwei zu einem Menschen, der das, was alle fühlen und denken, auf den Punkt bringt. Und das mit humorvoller Leichtigkeit, dickköpfigem Durchhaltevermögen und unter großem persönlichem Risiko. Er selbst ist dabei ganz bescheiden und nutzt seine internationale Berühmtheit und seinen Künstlerstatus dazu, alles was er tut, als Kunst zu inszenieren, was wiederum ihn persönlich schützt.
Er setzt dem Kontrollwahn der kommunistischen Diktatur Offenheit und Lebensfreude entgegen. Durch ihn wird ein Abendessen vor einem kleinen Lokal, zu dem sich viele spontane Gäste aus Solidarität gesellen, zu einer Runde, deren Anwesenheit auf dem Bürgersteig die Polizei nervös macht.
Ein Held, weil er sich für das Volk einsetzt
Der Film bietet eine große Fülle kleinteiliger Informationen, die sehr schnell und modern erzählt werden, da die Ästhetik von Twitter ständig aufgegriffen wird. Und doch atmen die Bilder eine gewisse meditative Ruhe und innere Gefasstheit, die wunderbar zu Ai Weiweis unerschütterlichem Selbstbewusstsein passt, das ihn selbst in gefährlichen Momenten nicht zu verlassen scheint. Dann greift der sanfte Hooligan blitzschnell zu seiner schärfsten Waffe: Der Kamera oder dem Smartphone, das ihn stets begleitet.
„Never Sorry“ erklärt nachvollziehbar, wie Ai Weiwei in China ein Volksheld werden konnte, indem er mit einem Team von Freiwilligen die Namen der beim Erdbeben von Sichuan getöteten Schulkinder recherchierte und veröffentlichte und später unablässig kritische Filme und Kommentare ins Internet stellte. Es geht darin vor allem um seine offenen Aktionen gegen das kommunistische Regime. Wie er davor zum einflussreichen Künstler und Blogger aufstieg, am „Vogelnest“ für die Olympischen Spiele in Peking mitarbeitete und sich noch vor den Spielen distanzierte, wird leider nur kurz angerissen. Dafür gibt es erschütternde Bilder über die „Kulturrevolution“, die Studentenproteste von 1989 und die Folgen des Erdbebens von Sichuan. Auch der ganz normale Pekinger Wahnsinn, die Trümmerwüste eines abgerissenen Wohnviertels, an deren Rand neue Hochglanzfassaden glitzern, wird auf eindrucksvolle Weise ins Bild gesetzt.
Der Film macht verständlich, warum die Chinesen Ai Weiwei so lieben und er ein westöstliches Medienphänomen werden konnte. Das liegt zum einen an seiner Verwurzelung in der chinesischen Tradition, auf deren ehrwürdiges Erbe er mit Mitteln der Popkultur und viel Witz zeitgemäß und universell verständlich Bezug nimmt. Oder wie es eine amerikanisch-chinesische Mitstreiterin im Film so schön auf den Punkt bringt: „Ein Foto vom Platz des Himmlischen Friedens mit einem ausgestreckten Mittelfinger davor, das versteht einfach jeder.“
Mit Twitter und Humor
Ai Weiweis Erfolg liegt darin, dass er als Mensch nichts zu verbergen hat und seine Gedanken direkt und spontan mitteilt. Sei es in Twittermeldungen oder in den hunderten von Interviews, die er bis vor seiner Verhaftung im April 2011 gab. Seine Kunstwerke, die man nur in kurzen Einblendungen sieht, sind solche spontanen und spielerischen Botschaften: Mit seinem Team
kreiert er sie gleichermaßen aus dem Bauch heraus und stets wecken sie ur-chinesisch intuitive und westliche Assoziationen gleichermaßen.
Wenn der ausgestreckte Arm einer Statue mit einem unzweideutigen Mittelfinger im Garten des Ateliers aus dem Gras hervorragt wie ein prähistorischer Fund, muss das Publikum schon wieder lachen. Das, was Ai Weiwei und seine Mitstreiter gegen Ungerechtigkeit aufbegehren lässt, ist ebenso alt wie die Menschheit selbst.
„Never Sorry“ ist ein sehr heiterer ernster Film über einen, der sich vorgenommen hat, sein Leben ausschließlich so zu leben, dass er sich niemals dafür entschuldigen muss. Und das macht diesen Film so sympathisch und bereichernd. Er wirkt deshalb auch mitreißend auf Menschen, die sich sonst eher weniger für China, moderne Kunst oder Themenverwandtes interessieren.
Unbedingt anschauen!
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