Aus dem Leben eines Countertenors: Matthias Rexroth

Er singt nicht nur Barock, er lebt ihn: Matthias Rexroth gehört derzeit zur Weltspitze der hohen Männerstimmen. Wer sich mit ihm unterhält, kommt zu dem Schluss, dass nichts ist so aufregend und abwechslungsreich ist, wie das Leben eines Countertenors.
Titelbild
Matthias Rexroth persönlich habe sich nie über seine hohe Singstimme gewundert, die beim Sprechen tenoral klingt und beim Singen bis zum zweigestrichenen G reicht.Foto: Johannes Ifkovits
Von 10. April 2012

Als die Krone der Gesangskunst wurden die hohen Männerstimmen einst gefeiert. Im 18. Jahrhundert lösten sie die ultimative vokale Faszination beim Publikum aus, um im 19. Jahrhundert völlig aus der Mode zu kommen. In der Musik des 20. Jahrhunderts und im Zuge der historisch informierten Aufführungspraxis erlebten sie eine Renaissance. Und von jeher waren nicht nur Kastraten, sondern auch „ganze Kerle“ unter jenen, die etwas höher als die Masse sangen. Unter dem Sammelbegriff Countertenöre sind sie heute die Paradiesvögel unter den Männerstimmen. Nur wenige produzieren von Natur aus diese Töne, die viel kerniger und kraftvoller klingen als der weibliche Alt. Matthias Rexroth ist einer von ihnen. Wenn er die Bühne betritt und zu singen anfängt, durchzuckt unvorbereitete Zuhörer immer noch eine Schrecksekunde der Verwunderung, weil sie ihren Ohren zuerst nicht trauen.

Eine Ausnahmestimme im Ausnahmefach

Er persönlich habe sich nie über seine hohe Singstimme gewundert, die beim Sprechen tenoral klingt und beim Singen bis zum zweigestrichenen G reicht. „Ja, so bin ich“, lächelt er verschmitzt. Dafür habe er bereits als Achtjähriger einen Pagen namens Cherubino in Mozarts „Hochzeit des Figaro“ seltsam gefunden: „Das habe ich nie verstanden, warum eine Frau einen Mann spielen muss.“ Aber heute hat er die theatergeschichtliche Erklärung: „Für das Publikum von damals war eine Frau in Männerkleidung eben etwas ganz Aufregendes.“

Korrekt bezeichnet ist Rexroth ein „Altus“. Der Begriff „Countertenor“ bezeichnete im sakralen Chorgesang Großbritanniens Sänger, die vibratolos und nur mit dem Falsett singen. Rexroths Stimme dagegen ist sehr wandlungsfähig, weil er beide männliche Stimmanteile, Falsett und Bruststimme benutzt und den vertrackten Übergangsbereich zwischen beiden, das „Passaggio“, zur Perfektion trainiert hat. So verfügt er in jeder Lage über ein großes Spektrum von Klangfarben, das er je nach Rolle einsetzt. Dazu hat er noch eine Gabe, die wenige Künstler auszeichnet: Er kann sich intuitiv in verschiedene Musikstile einfühlen und seine Stimme an sie anpassen. Das haucht jedem Stück eine spezielle Aura ein und führt schon mal zu Kritiken wie: „Die Besetzung mit Matthias Rexroth war purer Luxus!“ So hieß es neulich über seinen dreiminütigen Auftritt in „Carmina Burana“, wo er unter Rafael Frühbeck de Burgos mit den Wiener Symphonikern, im Wiener Musikverein, dem Mekka der klassischen Musik, „den gebratenen Schwan“ sang. Der Miniaturpart aus Orffs Welterfolg ist witzigerweise seine meistgebuchte Rolle.

Barocker Geist in Kunst und Leben

Rexroth beschäftigt sich als ganzheitlich empfindender Künstler intensiv mit den historischen und biografischen Hintergründen von Musik. Für das Lebensgefühl des Barock kann er sich besonders begeistern und mit geradezu barockem Elan geht er seine musikalischen Einsätze auf Bühne und Konzertpodium an: Intensiv, plastisch gestaltet, lebensfroh, geistreich oder vergeistigt, aber in jedem Fall detailfreudig und auf Schönheit bedacht. Egal, ob es um Belcanto oder Benjamin Britten geht.

Der Sinn für Schönheit zieht sich bei ihm durch alle Lebensbereiche, weshalb er so manches barocke Hobby hat, Gartenbau im eigenen Weinberg zu Hause in Stuttgart zum Beispiel. Bei jeder Gelegenheit versucht er, positive Energie und Eindrücke zu sammeln, damit er sie als Künstler an sein Publikum weitergeben kann.

Deshalb musste er auch unbedingt aus einem gefängniszellenartigen Hotelzimmer flüchten, in das er in Barcelona einquartiert worden war, als er im Jahr 2000 am 37. Francesco-Viñas-Wettbewerb teilnahm. Erst dann konnte er – als einer von sieben Countertenören und als erster Countertenor in der Geschichte – den wichtigsten Gesangswettbewerb der Welt gewinnen. Dass ausgerechnet er sich gegen die rund 3000 anderen Teilnehmer durchsetzte, war eine Sensation, mit der niemand gerechnet hatte: Über Nacht mussten zwei Arien für das Preisträgerkonzert gefunden werden, denn auch das Orchester war nicht auf solches Repertoire vorbereitet.

Ein Spezialist für alle Fälle

Wenn andere Sänger nur für eine Handvoll Rollen gebucht werden, die sie weltweit singen, hat ein Countertenor ungleich mehr Aufwand. Aber auch mehr Abwechslung: „Da es im Barock-Repertoire so viele heute unbekannte und selten gespielte Werke gibt – allein 40 Händelopern – freue ich mich direkt, wenn ich mal eine Rolle wiederholen kann“, erzählt Rexroth. Dementsprechend viel Zeit muss er für die Einstudierung seiner immer neuen Rollen verwenden. Die Titelpartie in Händels „Ottone“, die er zum Beispiel bei den Händel-Festspielen in Halle singt, wurde für den Kastratenstar Senesino komponiert und steckt voller Koloraturen und Fallstricke in den Dacapoteilen. Dazu kommen auf der Bühne Regieanweisungen, die beim Publikum für Erheiterung, beim Sänger jedoch für zusätzliche Schweißperlen sorgen.

Rexroth brilliert als Titelheld mit glänzenden und kraftvollen Tönen und schwärmerisch-poetischen Liebesarien inmitten eines nicht minder spielfreudigen Ensembles, begleitet vom kongenialen Händelfestpielorchester Halle. Auf ein Detail der Inszenierung ist er besonders stolz: Er trägt die Ritterrüstung und das Schwert seines berühmten Countertenor-Kollegen Axel Köhler, originale Requisiten aus Halles Inszenierung von Händels „Rinaldo“, die kurz vor dem Mauerfall wegen ihrer politischen Seitenhiebe Kultstatus erlangte.

Schillernder Auftritt in der „Fledermaus“

Außer an der Oper Halle ist Matthias Rexroth derzeit noch am Aalto-Theater in Essen zu erleben. In Johann Strauß’ Operette „Die Fledermaus“schwebt er als Prinz Orlofsky quasi als Deus ex machina aus der Stuckdecke. Ein glamouröser Partygott mit Ambivalenz: So provokativ sein knallrotes Paillettencape mit Lackpumps und Melone auch wirken mögen, Rexroth bewahrt stets seine elegante Noblesse in der Stimme. Spritzig und doch distinguiert feuert er seine Gäste zum hemmungslosen Feiern an. Natürlich würde er sich niemals selbst auf ihr Niveau herablassen.

Mit Leidenschaft in der Matthäus-Passion

Ernsten Tönen widmet sich Rexroth aktuell auf dem Konzertpodium: Am Gründonnerstag und Karfreitag 2012 wird er in der Leipziger Thomaskirche zusammen mit dem Thomanerchor und dem Gewandhausorchester Bachs Matthäus-Passion aufführen. Für ihn eine Herzensangelegenheit: „Der Alt in der Matthäus-Passion ist ein objektiver Erzähler, der das Geschehen wie eine Friedenstaube von oben betrachtet“, erzählt Rexroth. „Obwohl keine handelnde Person, ist er doch ein hochemotionaler Part, weil er stellvertretend für die Menschen Anteil an der Leidensgeschichte Jesu nimmt.“ Ihm als Christ bedeute es schon etwas, an Ostern diesen Part zu singen, sagt Rexroth, für den Kunst und Leben eine untrennbare Einheit sind. All jenen, denen es im modernen Alltag schwerfällt, entspannt zu bleiben und den Blick auf das Große zu bewahren, empfiehlt er sein Rezept: „Ich glaube, ein bisschen mehr Barock würde uns allen gut tun …“

Termine mit Matthias Rexroth:

Bach, Matthäus-Passion

Thomaskirche Leipzig

16. Mai und 02. Juni 2012

J. Strauß, Fledermaus,

Aalto-Theater Essen

6. Juni 2012, Händel,

Ottone, Händel-Festspiele Halle

15.Juli 2012 Kastraten-Gala

mit der Salzburger Hofmusik

Kissinger Sommer; Erlöserkirche

 

www.matthiasrexroth.de



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