Blühende preußische Tischkultur

Ästhetisch, zeitlos schön und bis heute attraktiv: das Tafelservice Friedrich Wilhelms II. – neu präsentiert im Marmorpalais Potsdam.
Titelbild
„Blüte(n)des Klassizismus“ – Sonderschau im Marmorpalais Potsdam.Foto: Nicole Romberg
Von 24. Juli 2023

„Ist der Alarm aus?“, fragt Eva Wollschläger, Kustodin, sprich Sammlungsleiterin für das Archiv der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) Berlin. Matthias Simmich, Schlossbereichsleiter, bejaht. Ein großes Risiko gehen die Veranstalter ein, um den Besuchern ein spannendes Vergnügen zu bieten. Ganz ohne Absperrung darf die kleine Gruppe Porzellaninteressierter an die neu erworbenen Stücke des Service „fleurs en terrasse“ herantreten. No risk, no fun.

Friedrich Wilhelm II., Neffe Friedrichs des Großen, gab es 1795 bei der hauseigenen Porzellan-Manufaktur in Auftrag. Solche Tischservice konnten schon mal vier- bis fünfhundert Stücke umfassen. Der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg gelang es, 37 original erhaltene Teile in ihre Sammlung zu integrieren. Und das ist der Stiftung eine extra konzipierte Sonderpräsentation wert: Eine Mittagstafel – gedeckt nach zeitgenössischem Vorbild – um 1800.

Einen würdigen Rahmen hierfür bietet der Grottensaal des Marmorpalais im Neuen Garten zu Potsdam. Tiefer Frieden geht von dem Landschaftspark am Heiligen See im goldenen Licht des sommerlichen Abends aus. Diesen nehmen die Besucher mit in das Palais im Stil einer großzügigen italienischen Villa.

Mit der Barke zum Schloss

So ist es auch ein Leichtes, vor dem inneren Auge die Terrassentüren des kleinen Saales zu öffnen und den kühlenden Wind, der vom Wasser aus hereinweht, zu spüren, – und sich vorzustellen, wie Gäste, die über den See anreisten, die vom Ufer nach oben führende Treppe in Richtung gedeckter Tafel wandelten. Eva Wollschläger verführt mit ihren Erzählungen, sich ganz leibhaftig in das Vergnügen einer gelebten Tischkultur hineinzuversetzen.

Dabei ist diese in einer Phase des Umbruchs. Die groß angelegten barocken Tafeln mit viel Dienerschaft werden zunehmend als zu umständlich empfunden. Der König sucht hier in seinem Sommerpalais Ruhe und Intimität. So ist die Tafel auch nur für acht Personen gedeckt.

Doch gibt es zwei Varianten, die Speisen zu präsentieren und zu zelebrieren. „À la francaise“ bedeutet, diese in Terrinen und auf Platten in der Mitte der Tafel zu platzieren. Ein visueller Reiz – allerdings mit dem Nachteil, dass zumeist die Speisen erkaltet waren, bis schließlich eine Schar an Dienern geholfen hatte, die Kulinarien von der Mitte des Tisches auf die einzelnen Teller zu befördern.

„À la russe“ war die andere, uns aus der heutigen Gastronomie bekannte Variante: Bereits auf den Tellern der Gäste die Speisen zu drapieren und direkt zu servieren. Eine Methode, die sich entgegen dem Namen in England etabliert hatte.

Eine entscheidende Rolle kommt hier den neu entwickelten Messerbänkchen zu. Erlaubten diese doch mehr Ruhe bei Tisch, da das beständige Auswechseln des Bestecks durch Diener entfiel. Interessant dabei, dass bei den Originalen das Besteck perfekt platziert bleibt, bei den Repliken hingegen ins Rutschen gerät.

Schattenrisse kamen im späten 18. Jahrhundert in Mode. In Bezug darauf sind die Vorspeisen als Silhouetten dargestellt. Foto: Wolfgang Pfauder

Ranunkeln, Aurelien und Vergissmeinnicht

Wie der Name schon sagt, dreht sich beim Service „fleurs en terrasse“ alles um Blumen. Die Natur soll mittels illusionistischer Malerei in die Innenräume geholt werden. Vorbild ist hierbei die Wandmalerei der Antike.

Geradezu revolutionär und daher vielleicht auch bis heute ansprechend ist der Kontrast in der Gestaltung der Teller. Die nach real existierenden Vorbildern handgemalten Blumen sowie üppige Goldstreifen am Tellerrand stehen dem Tellergrund gegenüber, der komplett frei von jeglicher Dekoration gehalten ist. Der leere Raum als Gestaltungselement ist entdeckt.

Passend dazu haben die Gärtner der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Blumenkübel vor dem Marmorpalais bepflanzt. Die Trichterwinde, gewöhnlicher Feldrittersporn und Ringelblumen oder auch ausgefallenere Sorten wie Platycodon Grandiflorus „Mariesii“ – die Ballonblume – sind da zu finden. Alles Blumen, die sich auf den königlichen Tellern wiederfinden lassen.

Friedensbotschafter

Was gab den Anlass, dieses außergewöhnliche Porzellan zu kreieren? Es musste schlichtweg ein früheres von Friedrich II. ersetzt werden. Dieses war aus diplomatischen Gründen dem französischen Gesandten François Barthélemy als Geschenk vermacht worden.

Vorausgegangen waren kriegerische Auseinandersetzungen mit dem nachrevolutionären Frankreich. Friedrich Wilhelm II. war – anders als sein Vorgänger Friedrich der Große – wenig interessiert an militärischen Erfolgen, und so schied Preußen nach schweren Niederlagen aus dem Kriegsbündnis mit den anderen Monarchien aus und erkannte die Französische Republik im Frieden von Basel am 5. April 1795 an.

Im Gegenzug für das königliche Service erhielt der deutsche Gesandte Karl August von Hardenberg ein Geschirr aus Frankreich, das alles bisher bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur Gesehene sprengte. Zum einen waren die Teller fünfeckig, ein Verfahren, das in der Porzellanherstellung nicht gerade leicht ist. Auch ähnelte kein Stück dem anderen. Mit kräftigen Farben ausgestattet, lehnte es sich in seinen Motiven ganz der Antike an.

„Fleurs en terrasse“ war die preußische Antwort. Es greift mit dem Goldrand die Fünfer-Aufteilung auf, zitiert mit einem kleinen Porträtmedaillon die Antike und beweist mit der gesamten Gestaltung, dass die Königliche Porzellan-Manufaktur durchaus auch auf Höhe der Zeit gestalten konnte.

Anstatt Streublumen oder stilisierter Blumensträuße, entwachsen die Blumen einer Wiese. Foto: Nicole Romberg

Ausklang vor der Orangerie

Mehrmals müssen die Besucher aufgefordert werden, den Grottensaal mit seinem anmutig gedeckten Tisch wieder zu verlassen. Keiner mag sich so recht trennen. Vielleicht doch eine versteckte Hoffnung, Platz nehmen zu dürfen und ganz einzutauchen in das Fest gemeinsamen Speisens?

Immerhin gibt es ein Amuse-Gueule – eine kleine Mundfreude – einige Schritte weiter am nächsten schönen Ort des Neuen Gartens an der Orangerie. Gelegenheit, noch ein wenig über das Erlebte zu plaudern, man kommt ins Gespräch.

Was sie denn bewogen habe, zu dieser Führung zu kommen, frage ich mein Tischgegenüber. Evelyn Gebhardt erzählt, sie sei einfach fasziniert von Porzellan. Auch bei sich zu Hause habe sie immer Wert auf gepflegte Tischkultur gelegt, auch mit Stofftischdecken.

Kürzlich sei ihr der Begriff „Demokratisierung der Tischkultur“ begegnet. Und das habe sie sehr zum Nachdenken gebracht. Denn Demokratisierung sei bei uns allen ja als positiv konnotiert. Doch in diesem Zusammenhang bezeichne es den Niedergang ebendieser Sitte und Kultur.

Das Interesse daran und die Sehnsucht danach scheinen jedoch ungebrochen. So sind die weiteren Termine der Veranstaltung bereits fast ausverkauft. Jedoch steht es allen offen, noch bis 15. Oktober die Präsentation im Rahmen eines regulären Besuches des Marmorpalais in Augenschein zu nehmen. Dann allerdings mit Abstand.

Orangerie im Neuen Garten Potsdam im Abendlicht. Foto: Epoch Times/Silke Ohlert

 



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