Buchbinder und Beethoven – eine künstlerische Offenbarung

Titelbild
Rudolf BuchbinderFoto: www.rudolfbuchbinder.net
Von 27. März 2013

 

Groß ist das Werk Ludwig van Beethovens. Großartig ist der Bogen, den er von den ersten bis zu seinen letzten Klaviersonaten spannt, die der in Wien lebende Künstler Rudolf Buchbinder wie kaum ein Zweiter intensiv und werkgetreu durchdrungen hat und künstlerisch zu interpretieren vermag.

An Ludwig van Beethovens 186. Todestag (gest. 26. März 1827 in Wien) spielte der weltweit seit Jahrzehnten umjubelte Pianist Rudolf Buchbinder vier weitere der insgesamt 32 Klaviersonaten des göttlich-inspirierten Tonschöpfers im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Er wählte für dieses Konzert die Sonaten Nr.6, Nr. 24, Nr. 16 und Nr. 29 aus. Bemerkenswert und sehr klug überlegt die nicht chronologische Reihenfolge, aber beim siebten Konzert am 10. Juni wird der Zyklus dann mit den drei letzten Sonaten op. 109, op. 110 und op. 111 seinen Gipfel erreichen.

Wer 35 vollständige Ausgaben aller Beethoven-Sonaten, des so genannten „Neuen Testaments“ der klassischen Musik besitzt, eine akribische Quellenforschung betrieben hat, der weiß auch um das Mysterium des überzeitlichen Opus Magnum, mit dem sich viele große Pianisten lebenslang auseinandergesetzt haben. Seit Jahren setzt Buchbinder mit seinen Beethoven-Konzerten immer wieder neue Maßstäbe. Man kann nur ehrfürchtig staunen und dankbar für Sternstunden geradezu kosmischer Klänge sein.

Buchbinder beginnt mit der F-Dur-Sonate op. 10/2 und erfreut die Zuhörer mit dem hellen, leichten Charakter. Er gestaltet meisterlich das Presto des 3. Satzes mit der deutlichen Themenführung im Bass-Fortissimo, während die Figuren der Rechten sehr klar konturiert bleiben. Die Schwierigkeit wird glänzend durch die leichte Schüttelung des wunderbar lockeren Handgelenks bewältigt. Buchbinder stellt bei jeder einzelnen Note die Beziehung zum Ganzen und zur inneren Logik her. Es gibt keine billigen Effekte, immer nur ein kontinuierliches Maß, das keine Exzentrik zulässt. In der Fis-Dur-Sonate op. 78 „À Thérèse“ wird man an Beethovens Liebesempfindungen für Therese Brunsvik erinnert. Vom anfänglichen Adagio cantabile bis zum Allegro vivace fließt alles in- und durcheinander, und Buchbinder bringt im letzten Satz den Jubel des Herzens zum nachhaltigen Klingen.

Die leider sehr selten gespielte Sonate G-Dur op. 31/1 lebt von wehmütigen Wechseln von Dur und Moll, ist aber auch voller Humor. Herrlich wie Buchbinder im Adagio grazioso die Verzierungen und Triller zum Leuchten bringt und dann mit dem munteren Rondo den ersten Teil des Abends beschließt.

Nach der Pause das vielleicht größte und schwierigste Werk der Klavierliteratur, die „Hammerklaviersonate“ B-Dur op. 106. Als Beethoven im Jahr 1818 seinem Verleger seine Komposition ablieferte, sagte er: „Da haben Sie eine Sonate, die den Pianisten zu schaffen machen wird, die man in fünfzig Jahren spielen wird.“ In der Tat dauerte es noch viel länger; der Pianist und Dirigent Hans von Bülow (Schwiegersohn von Franz Liszt und erster Dirigent in der Geschichte der Berliner Philharmoniker) spielte dieses gewaltige Werk von ca. 40 Minuten Länge Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin, zum besseren Verständnis des Publikums gleich zweimal hintereinander.

Beethoven komponierte seine Sonate im Alter von 47 Jahren in Wien, in großer Geldnot und ärmlichsten Verhältnissen: „Die B-Dur-Sonate ist in drangvollen Umständen geschrieben, es ist hart, um des Brotes willen schreiben zu müssen.“ Beethoven hatte zu jener Zeit so zerrissene Schuhsohlen, dass er nicht ausgehen konnte.

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Buchbinder lässt mit dem gefürchteten Dezimensprung gleich zu Beginn erkennen, wie souverän er mit den technischen Herausforderungen umzugehen versteht und riskiert ein extrem hohes Tempo – makellos bewältigt. Die ständigen Tonart- und Akkordwechsel fließen gesangvoll von einer Passage zur nächsten, eine geradezu aufregend-geniale Darbietung. „Heilige Ruhe, wie schön, wie herrlich! Hier ist Gott, hier ruhe ihm zu dienen!“, schreibt Beethoven in sein Skizzenheft. Den 3. Satz „Adagio sostenuto“ verwandelt Rudolf Buchbinder fast 17 Minuten lang zu einem kontemplativen Gebet; der Konzertsaal wird zu einer Kathedrale transzendenter Stille. Eine ehrfürchtige Verneigung des Pianisten vor dem Komponisten Beethoven an dessen Todestag.

Technisch und künstlerisch einzigartig schreitet Buchbinder „klaviertastend“ durch die große, endlos erscheinende Fuge des Finales, die viele Künstler fälschlicherweise als kontrapunktische Aufgabe betrachten. Buchbinder gestaltet ein Klangmonument von bezwingender Erhabenheit, lässt die Doppeltriller zusammenbrechen, und erhebt das Fugenthema wie ein Phönix und durchwandert den weltschöpferischen Geist Beethovens in Vollendung.

Beethovens unspielbar erscheinende Tempoangaben in der „Hammerklaviersonate“ sind für Buchbinder kein Problem. Der Wiener Künstler krönte durch sein Konzert die historisch bedeutende Beethoven-Tradition in Berlin. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden hier die weltberühmten Pianisten Arthur Rubinstein, Edwin Fischer, Claudio Arrau, Wilhelm Kempff u.v.a. ausgebildet. 1927 – anlässlich des 100. Todesjahrs von Ludwig van Beethoven – hatte Artur Schnabel erstmalig sämtliche 32 Klaviersonaten in Berlin gespielt, ein weiteres Mal im Jahr 1932. In den Folgejahren erschien seine Gesamtaufnahme auf Schallplatten, die erste in der Geschichte, und hat für die nächste Pianistengeneration damit Maßstäbe gesetzt.

Nun hat uns Rudolf Buchbinder mit seinem Berliner Beethoven-Zyklus ein außergewöhnliches Gipfelerlebnis im 21. Jahrhundert beschert. Der Steinway-Flügel war hervorragend gestimmt und intoniert. Den 26. März 2013 wird man so schnell nicht vergessen können. Nach der tiefgreifenden Interpretation der „Hammerklaviersonate“ verzichtete der Künstler verständlicherweise auf eine Zugabe – aus Respekt vor dem Opus Magnum und dessen Nachklang. Begeisterter und kaum enden wollender Applaus. Eine Sternstunde am Vortage des Frühlingsvollmonds.



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