Carsens „Macbeth“ in der Deutschen Oper hat Biss

Mit einem starken Ensemble feierte Robert Carsen mit Verdis „Macbeth“ in Berlin Premiere.
Titelbild
Macbeth: Thomas J. Mayer, Lady Macbeth: Anna Smirnova.Foto: Bettina Stöß im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
Von 15. Juni 2011

Einen Opernthriller der Extraklasse erlebten am Sonntagabend die Zuschauer in der Deutschen Oper Berlin. „Macbeth“ ist nicht unbedingt Verdis populärstes Werk, denn es bietet keine Liebesgeschichte, dafür umso mehr Blutvergießen. Robert Carsen inszenierte das Stück um Machtgier und Mord intelligent und pointiert. Der musikalisch zupackende Dirigent Roberto Rizzi Brignoli und starke Sänger machten die erste Berliner Aufführung der Kölner Produktion perfekt.

Am Stück und aus der Musik heraus

Der Abend war der Glücksfall einer dichten und durchdachten Interpretation, die absolut modern war und trotzdem ohne erklärendes Programmheft funktionierte. Dementsprechend war das Publikum am Ende beinahe einstimmig begeistert.

Dem Regisseur gelang es, die Rittergeschichte bruchlos in eine beliebige Militärdiktatur des 20. Jahrhunderts zu verlegen. Eine blanke Betonwand, vor der alles spielte, sorgte für ein erdrückend düsteres Ambiente und versperrte sich für alle weiteren Präzisierungen des Schauplatzes (Bühnenbild: Radu Boruzescu). Dank technischer Finesse bewegte sie sich wie von Zauberhand, und mit ihr Türen und Requisiten. Ein fesselnder, visueller Sog entstand, dem das Licht von Manfred Voss den letzten Schliff gab.

Raum für Ironie und Gänsehaut

Diktatorische Klischees, die Uniformen, den Habitus verordnete Carsen seinen Darstellern mit Witz, aber ohne zu persiflieren, weshalb Kichern, welches hier und da immer wieder im Publikum aufflackerte, schon im nächsten Moment in Erschrecken umschlagen konnte. Ein Resultat, zu dem man ihm nur gratulieren kann. Diese Überraschungen und Knalleffekte entstanden aus dem Zusammenspiel von Bühne, Personenführung und Musik. Platzpatronen wurden en masse verbraucht, denn die Männer mordeten mit Pistole.

Zu Verdis martialischen Aspekten passte das ganz ausgezeichnet. Roberto Rizzi Brignoli stand am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin und dirigierte mit echt italienischem Herzschlag und vor allem in vollem Bewusstsein und meisterhafter Beherrschung all der morbiden Schattierungen, die sich hinter Verdis ach, so schönen Melodien verbergen. Das Orchester setzte seine Vision der Partitur perfekt um und erntete dafür reichen Beifall.

Packende Sängerdarsteller

Als Macbeth spielte und sang Thomas Johannes Mayer ein beeindruckendes Portrait eines schwachen Charakters. Durch die Hexen auf schlechte Ideen gebracht, von seiner machtgierigen Lady angeheizt, sind seine Taten und sein Niedergang vorprogrammiert. Mayer entwickelte seinen Macbeth als panischen Antihelden und man begann mit ihm zu zittern, besonders beim ominösen Bankett, wo Banquos Geist erscheint.

Elegant bewegte Lady Macbeth, (Anna Smirnova gestyled à la Evita Peron) ihren Gatten daraufhin zum Walzertanzen, um die peinliche Situation in den Griff zu bekommen. Hintersinniger hätte man Verdis Umtatas nicht in Szene setzen können. Die berstende Spannung, die sich den ganzen Abend lang schubweise entwickelte, resultierte aus der Synergie des gesamten Ensembles.

Smirnova trug mit ihrer Auftrittsarie dick, vielleicht etwas zu dick auf, was Vibrato und Lautstärke betraf. Sie lockte mit einem üppigen „Brindisi“, geiferte wo angebracht, mit hörbarer Entschlossenheit, um dann mit ihrer Schlafwandel-Arie erstaunlich subtil dem Wahnsinn zu verfallen. Schauspielerisch war sie uneingeschränkt in Spitzenform.

Die schönsten Stimmen des Abends waren der wohltuend fokussierte Tenor Pavol Breslik als Macduff, der für seine Arie gehörigen Applaus einheimste, sowie der auf Klangschönheit singende Ante Jerkunica, dessen Banquo noch menschliche Züge haben durfte.

Star des Abends: Der Chor

Saubere Arbeit leisteten die Chordamen als Hexen-Putzkolonne. Vokale Disziplin und Makellosigkeit kontrastierte hier mit rabiater Spielfreude. Auch der mörderisch gut disponierte Herrenchor schlug beim Publikum ein. Am Ende war der eigentliche Star des Abends der Chor der Deutschen Oper, dicht gefolgt vom fabelhaften Orchester und Dirigent Brignoli.

Fionnuala McCarthy lieh der Kammerfrau der Lady Macbeth und einer „Erscheinung“ ihren silberzarten Sopran. Solide düster fügte sich Krzysztof Szumanski mit drei Nebenrollen nahtlos ins Geschehen, als Diener Macbeths, Arzt und Herold. Charaktertenor Jörg Schörner hatte am Ende einen kurzen und prägnanten Auftritt als neuer König/Diktator Malcolm, der routinemäßig bejubelt wird. Bis der nächste kommt und ihn abknallt.

Fazit: Dieser Macbeth hat Biss. Unbedingt hingehen.

 

Macbeth: Thomas J. Mayer, Lady Macbeth: Anna Smirnova.Macbeth: Thomas J. Mayer, Lady Macbeth: Anna Smirnova.Foto: Bettina Stöß im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

 

 



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