Der Autor Oleg Jurjew lebt und schreibt seit 1991 in Frankfurt
Frankfurt am Main (pia) – „Ich bin glücklich, wenn ich wieder auf der Terrasse sitzen darf, Gedichte zwitschern kann und keinen Roman schreiben muss, um die Welt zu verstehen.“ Das sagt der russisch-jüdisch-deutsche Autor Oleg Jurjew. Jurjews Biografie vereint ein Leben in zwei Ländern. Er wurde am 28. Juli 1959 im damaligen Leningrad als Sohn einer Hochschullehrerin für englische Literatur und eines Violinisten und Konservatoriumsdozenten geboren. Seit 1991 lebt er mit seiner Frau der Lyrikerin und Publizistin Olga Martynova und seinem Sohn Daniel in Frankfurt. Jurjews zwei Leben trennt aber nicht nur eine geografische Grenze, sondern auch eine zwischen zwei politischen Systemen und – durch den Fall des Eisernen Vorhangs – zwei Epo chen.
Abenteuerroman, Krimi und Liebesgeschichte
Seine Prosa sei „aus der Zeitenwende geboren, in die wir alle geraten sind“, sagt Jurjew, der 1991 nach Deutschland kam. Er sieht seine Romane, die in kunstvollen Formen eine aus den Fugen geratene Welt beschreiben, als „Versuche, den Zeitbruch bewohnbar zu machen“. Anfang dieses Jahres erschien im Suhrkamp Verlag sein letzter Roman mit dem vielsagenden Titel „Die russische Fracht“, der Abenteuerroman, Krimi und Liebesgeschichte mischt und zu einer Psychografie des postsowjetischen Russlands verwebt. „Die russische Fracht“ ist nach „Halbinsel Judatin“ und „Der neue Golem oder der Krieg der Kinder und Greise“ der letzte Teil einer Trilogie, die um die radikale Veränderung der Weltordnung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs kreist, und in der der Tumult der Zeitenwende grotesk, komisch, ironisch und tiefsinnig Gestalt angenommen hat.
Aus dem Abwarten wurde Bleiben
In Frankfurt ist Oleg Jurjew mit seiner Familie eher zufällig gelandet. Da im Westen Anfang der 90er Jahre angesichts der Meldungen aus Russland eine, wie er es mit der ihm eigenen Ironie nennt, „humanitäre Hysterie“ herrschte, rieten ihm Freunde während einer Lesereise, erstmal abzuwarten, wie sich die Lage in Russland entwickeln würde. Aus dem Abwarten wurde ein Bleiben. Frankfurt hat Jurjew übrigens nach seiner Ankunft gewissermaßen mit dem Stoff zu seinem ersten Roman „begrüßt“. Eine Bekannte Jurjews hatte mit ihm eine Führung über den alten jüdischen Friedhof gemacht. So ist der Roman „Der Frankfurter Stier“ entstanden, der eine Begebenheit aus einer Chronik der jüdischen Gemeinde Frankfur ts erzählt. Durch die neue Heimat hat Jurjew ehemalige Lebenswelten um neue Erfahrungen erweitert und somit einen vielleicht nicht immer bequemen, aber sehr bereichernden Platz gefunden: „Das Leben in einer anderen Kultur inmitten eines anderen Volkes ist günstig, um zu verstehen, dass es keine eindeutige Wahrheit über die Dinge des Lebens gibt. Und wenn es einem gelingt, Komplexe auszuschalten, dann ist man in einer einzigartigen Situation und kann alles vielseitiger sehen.“
Poetisch bis vulgär
Wirft man einen Blick in das Arbeitszimmer, in dem der Sprach-, Genre- und Weltenalchimist Jurjew schreibt, staunt man etwas. Hier reihen sich über Eck eine Handvoll schwarze Bücherregale aneinander, ebenfalls über Eck stehen zwei schlichte Schreibtische mit je einem Computer für ihn und für seine Frau Olga Martynova, die übrigens seine letzten Romane mit übersetzt hat. Diese nüchterne Atmosphäre kontrastiert gewaltig mit der überbordenden Prosa Jurjews, die jeglichen Realismus weit hinter sich lässt und gerne Grenzen überschreitet. Sprachlich mischt Jurjew sämtliche Tonhöhen und Tonlagen vom Poetischen bis hin zum Vulgären, zeitlich durchwandern seine Romane mühelos mehrere Jahrhunderte. Mag die Vorstellungskraft des Lesers angesichts Jurjews literarischer Welten bisweilen kapitulieren, der Platz, an dem dieser so unverwechselbare Ton entsteht, ist überaus übersichtlich. Dem Zimmer sieht man an: Weltverstehen, wenngleich mit den Mitteln literarischer Phantasie, ist Arbeit. „Wenn ich an einem Roman schreibe, dann schreibe ich in der Regel jeden Tag.“ Und mit einem kleinen Lächeln fügt Jurjew hinzu, dass er sich damit zugehörig zur „werktätigen Bevölkerung“ fühlt. Auf die Frage, ob ihm seine Heimat Sankt Petersburg fehle, sagt er, dass er Frankfurt „lieb gewonnen“ habe. Bei einem Schriftsteller, der sich auch für Fußball interessiert, lässt sich das Maß an Heimischwerden wohl auch an der Mannschaft, für die er mitfiebert, festmachen. Und das ist bei Jurjew die Frankfurter Eintracht.
Quelle: Stadt Frankfurt am Main, Presse- und Informationsamt
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