Die Geschichte des Jazz in Buchform
In einer Buchhandlung fiel es mir auf: Als ich eine Treppe hochstieg und einen Blick zurück auf den Büchertisch warf. Natürlich kehrte ich sofort um. Ein hochformatiges, großes, aber keineswegs unhandliches Buch empfing mich dort. Ein farbiger Jazz-Trompeter, auf dem Boden sitzend, sein Instrument blasend, im weißen Sportdress ist auf dem Titelbild zu sehen, aus der Draufsicht, nach unten blickend auf das Wort „Jazz“ und gleichsam auch ins Innere des Buches: Die Geschichte des Jazz wird darin aufgeblättert.
Das Buch ist in Brauntönen gehalten: von einem fast schwarzen Dunkelbraun bis zu milchig-hellen Werten. Ist das eine Form von Rassismus? Dann müßte man sich einmal klar machen, was dieses Wort, mit dem so gerne jongliert und herumgeworfen wird, überhaupt bedeutet. Jeder ‚Ismus‘ ist eine Ersatzreligion. Hier wäre es also der Glauben, daß man durch Rassetrennung, Auslese, Zuchtwahl sich Gott gefälliger erweist, daß man gerade und nur auf diesem Weg den Weg ins Paradies eingeschlagen hätte. Von einem ‚Ismus‘ kann hier nicht die Rede sein. Denn es ist ja ein Buch, daß diese Zeit bewundert. Immer wieder schimmert bei den Texten von Hans-Jürgen Schaal auch etwas von Traurigkeit hindurch, diese Zeit nicht miterlebt zu haben, nicht dazu gehört zu haben, in einer, verglichen damit, ärmeren Zeit zu leben. Die Brauntöne bedeuten also keine etwa verächtliche Abgrenzung, sondern eine fast schützende Umhegung, Kennzeichnung, Benennung.
Es sind indes nicht nur Schwarze, die den Jazz geprägt haben. Schon allein das wäre ein Vorurteil, vermutlich aus Unkenntnis, der dieses Buch abhelfen kann. Aber ohne den Anteil von Südstaaten-Hitze, Baumwollpflanzer-Erschöpfung, vor allem ohne diesen Anteil von zivilisiertem, aber doch unberechenbar gebliebenem Dschungel, von öliger, verschwitzter Haut, von erotischer Verheißung auch, von Körperkraft und von Verruchtheit wäre der Jazz nie das geworden, was er wurde, einzigartig.
Eine weiße Band hat die erste historisch überlieferte Jazz-Einspielung 1917 in New York aufgenommen: die Original Dixieland Jass Band. Zunächst übrigens, auch das kann man dem Buch entnehmen, hieß es noch „Jass“. Da aber immer wieder von Scherzbolden oder Übelwollenden das „J“ von den Plakaten gekratzt wurde und damit ein wenig schmeichelhaftes Restwort stehenblieb, verwandelten die Musiker den Namen in „Jazz“. (In Deutschland von Musikern lange Zeit als „Jatz“ ausgesprochen).
Aber über diese erste Aufnahme kann man nicht nur lesen: Ein ganz großes Plus des Buches ist die beigefügte CD, auf der für die Entwicklung des Jazz besonders wichtige Aufnahmen versammelt sind: 20 Stücke mit einer Gesamtzeit von etwas über 66 Minuten. Diese Aufnahmen reichen vom Ragtime Jelly Roll Mortons, der behauptete, den Jazz erfunden zu haben, – im Text wird er daher als „Der Aufschneider“ überschrieben, und solche Etiketten helfen das Kennenlernen des historischen Personals erleichtern -, bis zur Ur-Aufnahme von Gershwins „Rhapsody in blue“ von 1924 von Paul Whitemans Orchester, die zu diesem Zweck damals auf den Umfang von zwei Plattenseiten verkürzt wurde, bis zu Benny Goodman, Duke Ellington und schließlich Cab Calloway mit seinem Orchester.
Alle wesentlichen Größen des Jazz jener Jahre werden mit eigenen Kapiteln vorgestellt: Fats Waller, James P. Johnson, Willie „The Lion“ Smith, Alberta Hunter, Sidney Bechet (mit Aufzeichnung seiner langen Tourneereiserouten, auf denen er sogar in einem deutschen Spielfilm von 1930 mitwirkte: in „Einbrecher“, Regie: Fritz Kortner), dann Coleman Hawkins, Louis Armstrong, Bessie Smith (die eine Horde Angreifer vom Ku-Klux-Klan bei einem Auftritt ganz allein in die Flucht schlug), Bix Beiderbecke und viele viele andere.
Sehr gut ist, daß eine Graphik eingefügt worden ist, aus der sehr anschaulich hervorgeht, wer wie viele Aufnahmesessions gehabt hat und mit wem, angezeigt durch die Dicke der Linien. Das Buch kann dadurch auch einem wissenschaftlichen Anspruch genügen. Eine andere Doppelseite zeigt die Lage der verschiedenen Clubs und Auftrittsmöglichkeiten in Manhatten.
Ja, es ist ein doppeltes Leben in dem Buch (mit der CD ein dreifaches): Durch die Texte, zu denen man immer gerne wiederkehrt; und durch die guten Zeichnungen Robert Nippoldts: die Porträts der einzeln vorgestellten Musiker und vor allem die atmosphärisch dichten Stimmungsbilder der aus dem Dunkeln herausgehobenen Musiker mit ihren doch ausdrucksvollen Instrumenten.
An der New Yorker Börse – und an jeder anderen Börse vermutlich auch – gibt es gewisse Verhaltensempfehlungen, die zwischen „Verkaufen“, „Halten“ und „Kaufen“ hin und her schwanken. Ich würde bei diesem Buch für „Kaufen“ tippen.
Text erschienen in Epoch Times Deutschhland Printversion Nr. 1
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