Egon W. Kreutzer: Ein Abend mit Garfunkel & Garfunkel + Videos

Sie erinnern sich an "Bridge Over Troubled Water". Ich hatte gestern Abend das Vergnügen dieses großartige Lied zum ersten Mal in meinem Leben live zu hören - allerdings ohne Paul Simon, denn Art Garfunkel geht ja seit längerer Zeit eigene Wege. Wie es war - wie er war - habe ich für Sie aufgeschrieben.
Titelbild
Art Garfunkel 2015 in Israel.Foto: GIL COHEN MAGEN/AFP via Getty Images
Von 6. November 2019

Gestern.

17.30 Uhr – Abfahrt in Elsendorf. Stau auf der A9, ganz München ein einziger Stau.

Etwa 19.15 Uhr – Tiefgarage an der Rosenheimer Str. erreicht.

Gegen 19.30 Uhr – die Tür zu den Blöcken K und L gefunden. Einlass dann eine Viertelstunde später. Platz genommen. Das hier verlinkte Foto vom Innenleben des großen Saals der Philharmonie könnte direkt von unserem Platz aus aufgenommen worden sein.

Immer noch gestern.

Der Platz, an dem sich sonst große Orchester mit allen Instrumenten und Notenständern und Dirigentenpult wohnlich einrichten, war leer wie die Wüste links und rechts der einsamen Straße, wo Cary Grant in Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ sich eines Mordversuchs per Sprühflugzeug zu erwehren hatte. Wie bei Hitchcock steigerte gestern auch in der Philharmonie das Warten die Spannung der zweieinhalbtausend Ex-Ex-Teenager, die sich bis hoch hinauf ins Gebälk versammelt hatten, um sich von Art Garfunkel verzaubern zu lassen.

Ich war gespannt, was da auf uns zukommen würde, denn die Karten waren ein Geburtstagsgeschenk, aber meine Begeisterung für U-Musik war nie groß genug, um Melodien, die ich oft genug gehört hatte, um sie wiederzuerkennen, und die Namen von Interpreten, die ich oft genug gehört hatte, um zu wissen, dass es sie gab, miteinander in Verbindung zu bringen – von ein paar wenigen Beatles-Songs vielleicht abgesehen.

Folglich kannte ich „Simon & Garfunkel“ und hatte in den Tagen zwischen meinem Geburtstag und der Veranstaltung herausgefunden, dass die beiden sich vor langer Zeit getrennt und jeweils eigene Solo-Karrieren begonnen hatten, und auch, dass Garfunkel inzwischen 77 oder 78 Jahre alt geworden sei. Hatte aber keinerlei Vorstellung davon, welche Art von Musik und welche mir vieleicht bekannten Stücke wir zu hören bekommen würden.

Julie war weniger gespannt, denn als bei Steinway in Hamburg ausgebildete Musikalienhändlerin, als Sängerin im „Chor St. Michaelis“ (das ist des Michels richtiger Name), und viele Jahre im Handel mit Noten aller Art tätig, hat ein ganz anderes Verhältnis zur Pop-Musik. Sie hat mich schon zu Konzerten von Elton John, Amy McDonald und Bruce Springsteen geschleppt und wusste natürlich ganz genau, was von Art Garfunkel zu erwarten war.

Der Auftritt

Etwa 20.15 Uhr, 15 Minuten zu spät

Ein Gitarrist mit Gitarre, ein Keyboarder, mit nichts als seinen flinken Fingern, und ein kleiner, etwas wackliger älterer Herr, in taubengrauer Hose mit scharfen Bügelfalten, kommen von links auf die Bühne. Der Keyborder nimmt am Keybord Platz, der Gitarrist entert einen Stuhl und der kleine, etwas wacklige ältere Herr, der vorsichtig seine Schritte setzt, einen Barhocker erreicht, der ihm Halt gibt, nimmt ein Mikrofon vom Mikrofonständer.

Dies alles umtost vom Auftrittsapplaus und im Auftrittsapplaus erklingt ein vielstimmiges „Happy birthday“, denn Art Garfunkel, so hat es sich per Mundpropaganda auf den Gängen herumgesprochen, feierte just an diesem Tag seinen 78sten. Als sich der kleine, etwas wacklige ältere Herr dafür bedankte, hatte ich keinen Zweifel mehr, dass ausgerechnet er der berühmte Art sei.

Es folgten zwei flowerpowrig-schaurig-romantisch-schöne leise Lieder, die ich mit Sicherheit in meinem ganzen Leben noch nie bewusst gehört hatte (nein, nicht dieses!), und dann betrat eine vierte Person die Bühne. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich um Art Garfunkel jr., der als eine Art „Zugabe“ mitgebracht worden war, ohne dass dafür eigens ein Eintrittsgeld erhoben worden wäre. Der Junior trug einen schwarzen Anzug und ein ebenso schönes, nicht ganz so leises Lied vor. Der Senior kommentierte dies, nachdem der Applaus verhallt war, mit dem Satz:

„He has the voice, but I had the hits.“

Ja. Garfunkel – hatte – die Hits. Garfunkel – hatte – auch einmal eine großartige Stimme (ich komme noch darauf, woher ich das dann doch wusste).

Gestern abend, mit 78 Jahren, auf wackligen Beinen, immer wieder Halt am und auf dem Hocker suchend, war die Stimme wohl das, was noch am besten funktionierte. Ja. Man konnte den einstigen Wohlklang immer noch erahnen, an durchaus vielen Stellen auch noch praktisch ungeschmälert hören, aber es fehlte die Leichtigkeit, die Mühelosigkeit, gerade die leisen Töne zu finden und sie zu halten.

Vor der Pause und nach der Pause war wieder der Junior zu hören. Zwischendurch flüsterte ich Julie zu, er klinge, als versuche er, den Ausdruck von Frank Sinatra zu imitieren. Julie nahm das mitleidig lächelnd zur Kenntnis. Nun ja. So weit hätte ich mich wohl nicht aus meinem kleinen Fenster lehnen sollen.

Pausengastronomie

Wie das die machen, die immer schon als lange Schlange vor mir anstehen, und dann auch bedient werden, bevor der Gong wieder auf die Plätze ruft, habe ich nie verstanden. Es war auch gestern nicht anders.

Julie erklärte mir, welche und wie viele Welt-Hits wir schon gehört hätten, und, dass es halt Simon UND Garfunkel waren, die im Grunde ein unteilbares Eines bildeten, das, zerbrochen in zwei Teile, von welchen wir eines gerade hörten, einfach nicht mehr DAS war und auch nicht sein konnte, was DAMALS begeisterte – die harmonisch sich umschlingende Zweistimmigkeit, das (mein Gott, was für ein altertümlicher Begriff) Duett.

Second Part

Nach der Pause nahm uns wieder, wie bereits erwähnt, Art Garfunkel jr. in Empfang und sagte einige lange Sätze in akzentfreiem Deutsch, was, wie ich heute Morgen herausfand, nicht verwunderlich ist, denn der Junge (also nicht mehr wirklich ganz so junge Junge) lebt in Parchim. Parchim liegt im neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, und zwar mehr in Mecklenburg als in Vorpommern.

Die Höhepunkte

Der Abend brachte – in meiner Wahrnehmung – zwei Arten von Höhepunkten mit sich, nämlich zwei musikalische und mehrere menschliche.

Bridge Over Troubled Water, 1969 erstmals live vorgetragen, Text und Komposition von Paul Simon (deutscher Text übrigens von einem Herrn Schäuble, meines Wissens nicht verwandt oder verschwägert mit dem Bundestagspräsidenten), das war der erste Titel, den ich an diesem Abend sofort und mit Freude im Herzen erkannte.

Ein (fast) Art-Garfunkel-Solo-Gesang, bei mir seit Jahrzehnten in Noten von Sikorski, Hamburg (leicht spielbar auch für Elektronische Orgeln) im Notenfach des Harmoniums zu finden, war der erste musikalische und zugleich menschlich anrührende Höhepunkt.

Es ist ein herrliches, vielleicht sogar göttliches Lied – und Art Garfunkel versagte während des Vortrags die Stimme. Die kleine Turbulenz, bis sich danach die kleine Truppe wieder synchronisiert hatte, hat mir fast das Herz zerrissen, und den Zweieinhalbtausend auf den Rängen muss es ebenso ergangen sein. Kein Pfiff, kein Buhruf, aber tosender Applaus, dafür, dass er es noch einmal versucht hatte, seinen Fans diesen Song live zu präsentieren.

Sounds Of Silence, das war der zweite Titel, den ich kannte, und auch den empfand ich als musikalischen Höhepunkt dieses Abends.

Die menschlichen Höhepunkte, ja, das waren nicht nur die verständnisvollen, ja liebevollen Reaktionen des Publikums, es waren auch die Lieder, bei denen Vater und Sohn, eng beeiander, einer den Arm um den anderen gelegt, sich gegenseitig stützend, der Sohn den Vater physisch, der Vater den Sohn musikalisch, sich ein Mikrofon teilten und dabei etwas ausstrahlten, was weit über „Business“ oder „Performance“ hinausging.

Da standen die beiden, mit ihren Defiziten im Reinen, und gaben ihr Bestes, miteinander, füreinander und für den Saal, den sie in dieser Stimmung womöglich für einen glücklichen Augenblick ganz und gar vergessen konnten.

Klingt sehr sentimental? Ja. Ich habe das so empfunden.

Eine Erlkönig-Parodie, an deren Urheber ich mich nicht erinnern kann, kam mir in den Sinn, wo es zu Beginn hieß:

„… das Kind in den Armen, geborsten schon, zeugt von längst vergang’nem Glanz“

Irgendwann, da bin ich mir ziemlich sicher, wird sich die Gelegenheit ergeben, irgendjemandem davon zu erzählen, dass ich Art Garfunkel bei einem seiner letzten Auftritte noch gesehen und gehört habe, und mir so die Möglichkeit zu verschaffen, mich selbst noch ein bisschen in seinem Glanze sonnen zu können.

Danke für dieses Geschenk, danke für diesen Abend.

Zuerst erschienen auf  EGON-W-KREUTZER-DE

Egon W. Kreutzer ist Unternehmensberater und Autor

 

Art Garfunkel und Paul Simon 1967 in Madrid  vor über 50.000 Zuschauern                         Foto: Central Press/Getty Images

 

 



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