Ein Friedhof, der Weite und Stille atmet – Der Südwestkirchhof Stahnsdorf
Weite und Großzügigkeit empfängt den Trauernden von der ersten Begegnung an mit einer natürlichen Würde. Selten findet man in der Enge der Städte Friedhöfe dieser besonderen Art. Die dichte, doch nie düstere Bewaldung aus alten märkischen Kiefern, mit Buchen, Birken, Eiben, Ahornbäumen durchmischt, die Wege von Rhododendren gesäumt, die im Frühjahr eine Blütenpracht entfalten, die alle märkische Kargheit vergessen lässt.
Der über hundert Jahre alte Südwestkirchhof Stahnsdorf vor den Toren Berlins hat diese Würde. Mit 206 Hektar Friedhofsfläche ist er einer der größten und bedeutendsten Friedhöfe Deutschlands. Angelegt hatte man ihn für den Südwesten Berlins. Stahnsdorf grenzt an Kleinmachnow, das nach der Wende zum begehrtesten Vorort Berlins wurde.
Die Mauer und das Vergessen
Durch den Mauerbau 1961 geriet der Stahnsdorfer Friedhof für die Westberliner in Vergessenheit und konnte nur in Ausnahmefällen besucht werden und die einstmals bedeutenden Grabdenkmale verfielen zusehends. Zwar blieb der Friedhofsbetrieb erhalten, aber Geldmangel und die abnehmende Mitgliederzahl in den Kirchengemeinden der damaligen DDR führten zu einer sanften Verwilderung und zum Verfall.
Nach dem Mauerfall 1989 kamen bald die Friedhofsbesucher zurück und es sprach sich herum, welches Kleinod an Waldlandschaft und Grabkultur hier noch erhalten war. Es wurde üblich, diesen Ort der Würde, der Weite und der Stille zu besuchen: Ein Friedhof, der Spaziergänger zum Innehalten und Verweilen anlockt.
Prominente besuchen
Kulturinteressierte besuchen die Grabstellen der Prominenten, des Komponisten Engelbert Humperdinck, des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau, das Grab von Heinrich Zille oder des Unternehmers Werner von Siemens und viele mehr. Im Dezember 2009 wurde Otto Graf Lambsdorff hier in einer Familiengrabstätte beigesetzt. Auch Manfred Krug fand hier seine letzte Ruhestätte.
Man trifft auf pompöse Rundgewölbe oder schlichte Steine; alle Stilrichtungen und alle Formen des Totengedenkens finden hier ihren Ausdruck. Zu Stein gewordene Trauerrituale machen nachdenklich und ruhig zugleich. Gepflegte weitläufige Wege, Durchblicke auf verwitterte Steine im lichten Unterholz, die Öffnung zu einer Lichtung von britischen Soldatengräbern aus dem Ersten Weltkrieg, verfallene Brunnen und feinste Jugendstilmosaiken im Innern von Mausoleen berühren die Seele und drängen das Herz zu einem inneren Dialog von Zeit und Ewigkeit.
Mit einem fröhlichen Blick auf das Leben und doch ganz zugewandt dem pfleglichen Bewahren und Erhalten des Friedhofs zeigt sich der Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeld. Bei dieser Berufsbezeichnung denkt man wohl eher an ein ruhiges Angestellten- und Verwalterleben. Aber der 48-Jährige empfindet seine Aufgabe eher als Herausforderung. „Wir leben hier auch“, sagt er, „und es haben sich so viele Menschen gefunden, die diesen Ort erhalten wollen, dass wir vor fünfzehn Jahren einen Förderverein gegründet haben, dem inzwischen etwa 300 Mitglieder beigetreten sind. Dieser Friedhof hat deutschlandweit Freunde; manche können nur zahlen, aber das hilft auch und der sogenannte harte Kern der Friedhofsfreunde hilft hier tatkräftig mit.“
Wirklich gelebte Trauer
Als Höhepunkt des laufenden Jahres nennt er spontan nicht etwa den Totensonntag mit seinen Veranstaltungen, sondern „die Adventsmusiken in der norwegischen Stabkirche. Wir wollen hier dem Leben zugewandte Sachen machen und wirklich gelebte Trauer führt nach einiger Zeit wieder zurück in das Leben.“ Und so holt er auch die Kinder und Jugendlichen zu Führungen auf den Friedhof. „Die werden heute völlig ferngehalten von Tod und Trauer und von der abendländischen Trauerkultur. Wenn ich mit ihnen über den Friedhof gehe, dann ist das für sie ganz natürlich, gar nicht unheimlich, wie manche Eltern ihnen gesagt haben.“
Der Tod gehört für ihn zum Leben und der Ausdruck der Trauer in sichtbarer Form ebenso. Angesichts der wachsenden Zahl von anonymen Bestattungen oder der auch hier möglichen Urnenbestattung unter Bäumen, kann man an diesen Orten des Friedhofs deutlich sehen, wie schlecht die Trauernden mit der Anonymität und der dort geforderten Unterlassung von Grabschmuck zurechtkommen. „Unsere Gärtnerinnen gehen zweimal in der Woche durch diese Waldgebiete und sammeln eine Unzahl von Marmorengelchen, Blumenschalen, Kerzenhaltern und Blumenvasen ein. Was von den Verstorbenen gut gemeint war, dass niemand mehr Mühe mit einer Grabstätte haben soll, das heißt für die Trauernden, dass sie der traditionellen Kultur des Totengedenkens nicht folgen dürfen. Sie müssen alle diese Impulse unterdrücken.“
Trost und natürliche Ordnung
Der Gang über den Stahnsdorfer Friedhof macht nachdenklich über das Wegrationalisieren von lebendiger Trauer. Die Grabmale eines ganzen Jahrhunderts, selbst wenn sie verfallen sind, sind tröstlicher als die Anonymität. Gelebtes Leben und gelebte Trauer können hier noch immer einen würdigen Rahmen finden und zurück ins Leben führen. „Es geht mir besser, wenn ich hier war“, sagt eine Besucherin aus Berlin, „es ist, als fände alles in seine natürliche Ordnung zurück.“
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