Gratulation zum 90er, Herr Jedermann!
Gleich vorweg: Dieses war der erste Salzburger Jedermann-Streich des Autors dieser Zeilen. Von diesem Streich wird er sich jedoch so schnell nicht wieder erholen. Denn: Gut war es nicht, das in diesem Jahr den 90. Geburtstag feiernde (Fest-)Spiel um den Tod des reichen Mannes – nein, es war großartig!
Das liegt zum größten Teil am Stück selbst, das in seiner Zeitlosigkeit doch so voll die Zeit und ihren Geist trifft. Zu guten Teilen auch an der Regie von Christian Stückl. Und in einigen Teilen auch am Spiel der Protagonisten – zum kleineren Teil. Von den meisten kann gesagt werden: Sie haben fleißig gearbeitet.
Vor allem der neue Jedermann Nicholas Ofczarek. Was der nicht alles stürzt, haspelt, Treppen vorder- und rücklings hinabrutscht. Leicht verdient ist seine Gage nicht, und dem Premierenpublikum – illuster wie eh und je unter voller Prominentenversammlung, mit Bundeskanzler Faymann und Präsident Fischer vornedran – verschlug es ob seines massiven körperlichen Einsatzes die Sprache.
Die Reife und Fallhöhe seines Vorgängers Peter Simonischek erreicht er dabei noch nicht. Will er aber auch gar nicht, er legt den Jedermann schmieriger, jünger, näher den aalglatten Finanzjongleuren an. Dieser Jedermann ist ein eiskalter Machtmensch, der weiß, wie er sich durchsetzt. Nur keine Schwäche zulassen, nicht der Buhlschaft und nicht dem Schuldner gegenüber, dem er mit hochgerecktem Kinn zeigt, wer der „Herr im Haus ist“. Über ihm knieend drückt er auf ihn, seine Stahlfesseln in der Hand wie ein grausamer Dompteur. Erst als der Tod (Ben Becker; in seinem zweiten Todesjahr unprätentiös, mystisch und weiterhin grandios) ihn sprichwörtlich anfasst, sackt das Kinn zur Brust und Jedermann liegt öfter auf dem Boden, als es ihm wohl Zeit seines „weiß Gott“ gelebten Lebens lieb war. Hier zeigt sich auch die Stärke Ofczareks, der mehr kann, als knallend mit seinem (Klang-)Körper zu arbeiten. Hier nimmt er einen mit auf die Reise; warum die teils gestelzte Sprache („Rappt der da hin und wieder?“, fragt sich nicht nur der wohl konditionierte Berliner. Selbiges gilt übrigens auch für Peter Jordan als Guter Gesell, nicht jedoch, wenn er den Teufel gibt.).
Auch die zum ersten Mal als Buhlschaft auftretende Birgit Minichmayr zeigt eine stabile Leistung. Die Rolle der Buhlin steht ihr gut. In einem Film wäre von „gutem Casting“ die Rede gewesen – zu Begeisterungsstürmen regte sie jedoch nicht an. Kokett, im orangeroten Kleid (ja, was denn jetzt eigentlich, orange oder rot?), das passt, mit ihrer teils brechend-kieksenden Stimme und überbordenden Kraft, kann schön langsam von einem ansonsten eher Klaus Maria Brandauer zugeschriebenen Phänomen gesprochen werden. Gibt es ihn schon, den Begriff „Minichmayrn“? Also in der Vergangenheit: „Es Minichmayrte“? Und ehrerbietig mit Großbuchstaben am Anfang? Wundern würde es nicht. Also: Es Minichmayrte am Domplatz.
Mehr als die bekannt fleißigen Arbeiter boten nur noch Peter Jordan als Guter Gesell und Teufel und Angelika Richter in der Personifikation der Guten Werke und des Glaubens. Ihr galt auch ein unerwartet starker Schlussapplaus, verdient nicht durch ihr körperliches Spiel, doch durch die Klarheit, mit der sie die Zerbrechlichkeit im Äußeren und die unverrückbare Stärke im Inneren präsentiert, mit der sie sich dem Teufel entgegen- und sich vor, neben und hinter Jedermann stellt. Dem Teufel, einer äußerlich ölig-schwarzen Gestalt, wie frisch aus einem BP-Ölloch geschlüpft, die Peter Jordan in sich hat. Wenn er die schreckliche und erschreckende Erscheinung des Leibhaftigen mit witzigen Einlagen – den Guten Werken wie Neo in der „Matrix“ Mr. Anderson zu sich heranwinkend oder den himmlischen Chor nachäffend, der Jedermanns Seele bei seinem Tod begleitet – bricht, hat er das Publikum und die Lacher auf der richtigen Seite. Nämlich auf seiner. Hier verlagert sich das Stück kurz in die Realität und in die Zuschauer, wird jeder lachende reiche Mann unter den Gästen zum Jedermann. Ob es einer gemerkt hat?
„Du hast mich nicht erkannt“, sprechen die Guten Werke zu Jedermann. Er, der zwar die Buhlschaft – und wohl so manche andere Damenbekanntschaft, schenkt man dem besorgten Auftritt seiner Mutter (Elisabeth Rath, der man die Sorge nicht so recht abnehmen will) glauben – gekannt, doch nie eine Ehefrau anerkannt hat. Wie Josef seine Maria in der Bibel „erkannte“ und sie heiratete. Darauf spielte Hofmannsthal wohl an. Wären sie nicht das rechte und rechtmäßige Paar gewesen, Jedermann und die Guten Werke, vom Schicksal einander bestimmt, die Möglichkeit, Gutes für die Gesellschaft zu tun? Doch Jedermann vertraut lieber auf seine Augen, die er im Tod verflucht, und seine Liebe der Buhlschaft an. Die ihm zwar treu ergeben ist in seiner Stattlichkeit und seinem Ansehen, doch als es ans Sterben geht, hat ihre Treue ihr Ablaufdatum erreicht. Hier will ihm niemand folgen, auch der Gute Gesell nicht – nur die Guten Werke treten bereitwillig den letzten Gang mit ihm an, halten schützend die Hände vor ihn, als der Teufel sein Recht einfordert.
Erinnert sich noch jemand an Harrison im dritten Teil von „Indiana Jones“? Er muss vor dem Gralsritter, der das Elixier des Ewigen Lebens bewahrt, einen Kelch auswählen. „Wählt mit Weisheit“, spricht der betagte Ritter. Und Harrison Ford kommt die Erleuchtung: „Der Kelch eines Zimmermanns!“ Nicht die goldenen Becher nimmt er, nein, den einen aus Holz trinkt er in einem Zug aus. Und lag goldrichtig.
Jedermann wählte ohne Weisheit. Anstatt das hässliche Entlein mit dem goldenen Herzen zur Blüte zu führen und sich selbst dabei nicht nur von Materiellem blenden zu lassen, wählte er die Buhlschaft, das schnelle Vergnügen, die Spaßgesellschaft, das stolze Partygirl, das jeder haben will und doch nur einer ins Bett bekommt. Wer schon mal auf einer dieser Parties war, weiß, wie aktuell Jedermann ist. Und dass dem von Ofczarek dargestellten Typus nicht nur, aber doch recht häufig an der Wall Street zu begegnen ist. Eine Party- und Machtgesellschaft (mit zwei anständig verkommenen Vettern, dargestellt von Felix Limpinsel und Felix Vörtler), von der er erst dann abkehrt, als ihn der Tod bereits angefasst hat. Für eine Verbindung mit den Guten Werken ist es nun zu spät, was einzig ihm zur Rettung vor der Hölle helfen kann: der Glaube.
Hier steht die Werkinterpretation des Hauptdarsteller Ofczarek übrigens im Widerspruch zum Stück. Sieht er den Schluss in einem Interview als rein katholischen und religiösen Schluss, so liegt gerade hier der Knackpunkt zum allgemeingültigen Plädoyer Hoffmannsthals zum Glauben. Vielleicht zum christlichen Glauben, wenn im Stück die Barmherzigkeit das Mittel ist, doch nicht notwendigerweise zur Religion.
In keinem Fall ist hier der Glaube an Gott, nicht einmal die Akzeptanz eines alttestamentarisch strafenden Gottes gemeint. Sondern ein barmherziger, der Jedermanns Sünden vergeben kann, so die Reue echt. Hier kommt auch die Brillianz von Hoffmannsthals Allegorien voll zum Tragen. Denn es ist der Glaube, der Jedermann befiehlt, sich selbst zu vergeben. Beinahe hat ihn der Teufel schon, als er sich selbst aufgeben will. Er, der „Sünden, so hoch wie ein Berg“ angehäuft hat. Doch welch ein Glaube an die Allmacht dieses Gottes wäre das, würde er nicht einmal die Sünden – welcher Art auch immer – eines einzigen Menschen ungeschehen machen können? Ihm ist „ganz leicht“ spricht Jedermann, als er stirbt. Er lässt sich in die Arme des von Martin Reinke überzeugend, wenn auch nicht überragend dargestellten Gottes fallen. Jedermann hat Vergebung erlangt – noch wie Jederjahr. Gratulation zum 90er, Herr Jedermann!
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