Jonas Kaufmann über Oper und mehr
„Natürlich ist die Oper eine alte Kunstform. Aber sie hat, wie ich finde, eine unglaubliche Kraft, Türen zu öffnen zu unserem Herzen und zu unserer Seele, Schleusen in einem selbst – und findet irgendwie Zugang zur Seele. Das ist ja das merkwürdig Faszinierende an der Oper, was auch in vielen wissenschaftlichen Abhandlungen besprochen wurde. Diese Kombination von Theater und Musik hat offenbar bei vielen Menschen eine ganz besondere Wirkung; immer wieder liest man von Menschen, deren Leben sich durch die Oper nachhaltig verändert hat, und zwar zum Guten!
Und die Stimme ist nicht nur das älteste und vielseitigste, sondern auch das natürlichste Instrument, weil es in uns ist. Wir können dieses Instrument mit unseren Gedanken und Gefühlen beeinflussen; so stark, dass man im Bruchteil einer Sekunde hört, ob jemand traurig, fröhlich oder stinksauer ist.
Wenn man diese drei Dinge miteinander kombiniert: Theater, Musik und Stimme, dann ist dies eine Form, die für mich nichts an Aktualität eingebüßt hat, auch wenn sie schon vor ein paar Jahrhunderten erfunden wurde.
Absichtlich etwas altmodisch
Natürlich wurden im Laufe von 400 Jahren viele Opern geschrieben, die absichtlich in einem fremden Land und in einer fremden Zeit spielen, um gewisse Parallelen zu der Zeit, dem Ort und dem Regime, das im jeweiligen Moment geherrscht hat, zu vermeiden. Aber das damalige Publikum hat sofort gemerkt, dass es ein aktuelles Stück ist.
Wenn man ein Stück wie Beethovens „Fidelio“ anschaut, ist das eine Handlung, die heute noch genau so passieren könnte. Es ist vielleicht ein bisschen unrealistisch, dass eine Frau sich so lange als Mann ausgeben kann, ohne geoutet zu werden. Doch das Thema, dass ein politischer Gefangener umgebracht und irgendwo verscharrt werden soll, das lesen wir doch jeden Tag in der Zeitung.
Aber meistens geht es ja in der Oper um Liebe, um Verrat, um Eifersucht. Auch das ist eigentlich alltäglich und in jeder Soap haben wir genau dieselben Themen.
Musik, hinter der noch mehr steckt
Faszinierend finde ich auch, dass ein Popsong, der vor 20, 30 Jahren ein Nummer-Eins-Hit war, heute aus rein nostalgischen Gründen interessant ist. Wenn Leute davon sentimental berührt sind, dann meistens nicht von der Musik selbst, sondern von den Erinnerungen, die damit verbunden sind.
Eine Oper, die vor 150 Jahren und mehr geschrieben wurde und die einen heute noch zum Weinen bringt, hat offensichtlich so eine starke Kraft, dass es keiner „Einführung“ bedarf. Die Kunstform Oper hat nichts von ihrer magischen Wirkung eingebüßt, ihr Zauber wirkt auf jeden, der sich offen und ohne Vorbehalte in eine Vorstellung begibt. Das zeigt für mich, dass das eine Kunstform ist, die eben auch noch in unserer heutigen wilden und verrückten Gesellschaft funktioniert.
Willkommen im Hier und Jetzt
Natürlich hat sich unser Geschmack verändert, hat sich unsere Phantasie immer weiter zurückgebildet, schon aufgrund von den ganzen Beschallungen, denen wir ständig ausgesetzt sind, und dem muss man schon ein bisschen Rechnung tragen. Das heißt, man muss das heutige Opernpublikum auf einem anderen Erfahrungsniveau abholen.
Früher haben zwei Scheinwerfer, ein Kostüm und die Atmosphäre im Opernhaus schon genügt, um einen Zuschauer in Bann zu ziehen. Da muss man heute schon mehr tun. Man muss sich einem gewissen Realismus annähern, der früher nicht nötig war. Früher konnten die Sänger beim „Tristan“ fünf Meter auseinander stehen und singen – und trotzdem hatte man den Eindruck eines Liebesaktes, weil die eigene Phantasie visuell ergänzt hat, was so stark in Musik und Wort zu spüren war.
Magie geht auch modern
Ich finde, die oberste Prämisse ist der Respekt vor dem Werk. Das heißt, wenn auf der Bühne so viel passiert, dass die Musik ihre Magie nicht mehr entfalten kann, dann stimmt etwas nicht, dann wird das Stück auf eine extreme Sichtweise reduziert. Ich habe es immer als positiv empfunden, wenn eine szenische Interpretation bei aller Konsequenz der Darstellung der Phantasie des Zuschauers genügend Raum lässt für die vielen anderen Deutungsmöglichkeiten. Dem Publikum zu vermitteln, was in diesem Stück noch alles steckt und was man noch alles herausholen könnte – das reizt mich als Darsteller ungeheuer, das macht mir unheimlichen Spaß.“
Interview und Bearbeitung von Rosemarie Frühauf
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion