Petrenkos packender Puccini

Beinahe pünktlich zu „Toscas“ 111. Geburtstag (der Welterfolg wurde am 14. Januar 1900 uraufgeführt), hatte Puccinis Oper gestern Premiere in Frankfurt. Die Neuinszenierung von Andreas Kriegenburg löste die alte Tosca Alfred Kirchners ab, die seit 2001 ganze 77 Aufführungen in der Mainmetrople erlebt hatte.
Titelbild
Die Oper Frankfurt ist bei ihren Fans für das außergewöhnliche musikalische Niveau ihrer Aufführungen bekannt.Foto: Wolfgang Runkel
Von 17. Januar 2011

Mit Spannung erwartet wurde die Regie von Andreas Kriegenburg, der sich für einen Kubus aus Holz und Glas als Schauplatz der Geschichte entschieden hatte (Bühne: Harald Thor). Ganz wollte man nicht auf technische Tricks verzichten, und so gab es Hub-Effekte und ein überdimensionales Madonnenbildnis als Videoprojektion (Bibi Abel). Die minimalistische Andeutung der Kirche klappte am besten. Die Lichtregie Frank Kellers gab sich stylisch, doch weitgehend unromantisch.

Musik, die süchtig macht

Es sollte der Abend des Dirigenten Kirill Petrenko werden. Schon die Anfangsakkorde elektrisierten; fünf Töne, mit denen Puccini die Zuhörer in die Grundsituation der Oper wirft: Gewaltherrschaft, Spionage, Polizeiterror. Wir befinden uns in Rom, Sommer 1800. Nach der Vertreibung von Napoleons provisorischer Regierung ist Baron Scarpia als Chef der Geheimpolizei eingesetzt, um pro-napoleonische Kräfte im Kirchenstaat auszumerzen. Ein Künstlerpaar, die Sängerin Floria Tosca und der Maler Mario Cavaradossi, gerät in die Fänge des Despoten und verliert innerhalb weniger Stunden sein Leben.

Petrenko und das Orchester kosteten die düsteren Klänge gedehnt aus, ohne sie in Blech und Schlagwerk zu ersticken. Jeder Akkord bekam eine andere Farbe und es war sofort klar, dass er mit dem Wunsch antrat, die Partitur von ihrem Schocker-Image zu lösen. Mit Transparenz und kammermusikalischer Sensibilität arbeitete sich Petrenko aus dem Herzen der Toscamusik, strömendem Puccini-Wohlklang, in ihre Grenzbereiche und Abgründe vor. Das Orchester folgte ihm prägnant, temperamentvoll und farbenprächtig.

Puccini war entschlossen, sein Publikum mit allen Mitteln zu packen, um ihm die Erfahrung von plötzlichem Ausgeliefertsein, Lebensgefahr und Gewalt mitzuteilen. Plötzliche Stimmungswechsel, von lyrisch, quirlig und süß zu den Schrecken des menschlichen Daseins, waren ihm Mittel zum Zweck. Man muss sich einlassen können auf Puccinis heiligen Ernst; Petrenko und das Orchester konnten. Jeglichen Kitschverdacht ließen sie als gleichberechtigte Partner der Sänger weit hinter sich. Und diese gaben alles, um den musikalischen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Nur die szenische Umsetzung von Andreas Kriegenburg sperrte sich ab dem zweiten und dritten Akt gegen Toscas theatrale Urgewalt.

Ein Fest der Stimmen

Das Ensemble aus Mitgliedern der Oper lieferte eine Spitzenleistung, die durch Homogenität bestach. In Timbre und Gesangskultur war die Besetzung perfekt aufeinander abgestimmt und entfaltete bis in die Nebenrollen vokalen Glanz.

Das begann mit Vuyani Mlinde als Ausbrecher Angelotti in Todesangst und setzte sich mit dem verschrobenen Mesner von Franz Mayer fort. Einen ersten Höhepunkt bildete Cavaradossis Auftrittsarie. Aleksandrs Antonenko gab ein Versprechen von Schmelz und italienischer Strahlkraft, das er den ganzen Abend lang halten konnte. Verspielt flirtete er mit Tosca, die Erika Sunnegardh mit leuchtendem Sopran und filigranen Höhen wirklich als die vom Himmel begnadete Sängerin verkörperte. Ihre edlen Legati waren zu Petrenkos leichtfüßigem Dirigat der vollendete Puccini-Genuss. Die hysterischen Ausbrüche der Heldin streute sie wohldosiert und hielt die elegante Linie durch bis in die extremsten Momente ihrer Partie.

Beeindruckend die Schlußszene des ersten Aktes. Dank des ästhetischen Kostümbilds von Tanja Hofmann wurde sie zur infernalischen Prozession in Rostrot, Braun und Pinktönen. Der tadellose Kinderchor, einstudiert von Michael Clark, wurde begleitet von einem soliden Chor und Extrachor (Leitung: Matthias Köhler). Die Choreographie der Massen gelang diskret und wirkungsvoll.

Der dunkle Lord

Mit Jason Howard als Scarpia bekam Antonenkos Cavaradossi einen Gegenspieler, der stimmlich sogar noch mehr zu bieten hatte. Im ersten Akt mit düsterer Noblesse und in der Maske der Bescheidenheit, ließ Howard das Gewaltpotenzial seiner Figur nur untergründig glühen. Puccini notierte in der Partitur ständig wechselnde Ausdrucksnuancen, um den skrupellosen Polizeichef zu charakterisieren. Kaum machbar, denkt man, aber Howard, dessen üppiger Bariton über eine enorme Breite von Klangfarben verfügt, meisterte dies faszinierend. Seine „Liebeserklärung“ an Tosca gelang sogar so überzeugend feurig, dass jeder Tenor neidisch werden müsste. Der Verzicht auf die Brutalo-Masche wirkte: Scarpia war eher ein Gambler-Typ, der als cool durchgehen könnte. Wenn er nicht mit Menschenleben spielen würde.

Zweifelhafte Schwammfolter

Nachdem Kriegenburg im ersten Akt mit vielen feinen Details gearbeitet hatte, entglitt ihm die Dramatik, sobald es richtig ernst wurde. Spaß am Foltern hatte nicht nur Scarpia, sondern auch seine Handlanger Spoletta (Michael McCown) und Sciarrone (Dietrich Volle). Mit einem Schwamm träufelten sie rote Farbe aus einem Eimer auf Cavaradossi. Dieser sollte wohl als ein Opfer der eigenen Angst dargestellt werden. Aber ist ein Mann, der im ersten Akt in den höchsten Tönen schwört „und gelte es mein Leben, ich helfe Euch“ so schwach, dass er sich mit einem plumpen psychologischen Trick – sprich Simulation – hereinlegen lässt?

Die im Wortsinn doppelbödige Darstellung (das alles passierte auf einem herabsenkbaren Podium) brachte einem die eigentlich erschütternde Szene menschlich nicht näher. Die Darsteller gaben unter Petrenkos rasantem Dirigat ihr Bestes.

Auf einmal Arie

Toscas Popularität – vielmehr der Schlager-Status, den drei gewisse Arien dank den Umtrieben der Musikindustrie erlangten, ist ihr Fluch. Wenn man es nicht schafft, diese Stücke innerhalb der Fieberkurve des Dramas als Höhepunkte zu zelebrieren, ist ihr Zauber dahin. Das klappte mit „Recondita armonia“, scheiterte aber tragisch bei „Vissi d´ arte“, das zum Zuckerguss-Programmpunkt verkam. Auch wenn sich Erika Sunnegardh alle Mühe gab – der eigentliche Gipfel von Toscas Verzweiflung, ihr Lebensresumée, wurde pflichtgemäß abgeliefert. Ohne ins Herz zu treffen. Dazu lag Scarpia in voller Länge abwartend auf dem Schreibtisch.

Mit dem Instinkt der Rampensau

Kriegenburg inszenierte stellenweise so opernhaft, dass er dem Drama die Schubkraft nahm. Oft ließ er seine Sänger in entscheidenden Momenten vorne an der Rampe singend ins Publikum starren. Im Fall von Toscas Mord an Scarpia unfreiwillig komisch: „Jetzt ist er tot!“ schleudert sie ins Publikum, ohne sich auch nur einmal nach ihm umgeschaut zu haben.

Wo Puccinis Heldin nicht ohne Genugtuung beim Gehen feststellt, dass „vor dem da“ ganz Rom zitterte, kann sich Kriegenburgs Protagonistin (wie vom Stockholm-Syndrom gebannt) scheinbar nicht von ihrem Peiniger trennen. Statt ihm ein Kruzifix auf die Brust zu legen, schenkt sie ihm sogar ihr Halskettchen. Gänsehaut und Pianissimo-Grusel gab es dazu aus dem Graben.

Ein Alptraum aus Kiefernholz

Im dritten Akt fand das Regie-Konzept seinen hölzernen Höhepunkt. Der Kubus zeigte einen Raum, in dem Töten nur noch Routine ist. Das Erschießungskommando vertreibt sich die Zeit bis zur nächsten Hinrichtung auf Kiefernholzkisten. Solch einen Sarg bietet denn auch der Schließer (Zoltán Winkler) Cavaradossi als Schreibunterlage für seinen Abschiedsbrief an. Ein Soldat wischt gemächlich eine Blutlache vom Boden auf. Gut, dass er damit vor der berühmten Arie fertig ist. „E lucevan le stelle“ wurde von Aleksandrs Antonenko stilvoll und verhalten gesungen. Doch ähnlich seiner Kollegin Tosca, gelang auch ihm das „Außenrum“ seiner Partie spannender als sein großes Solo.

Der präzise artikulierende Knabenalt Frederik Callies als Hirte legte sich nicht nur ins Zeug, sondern in seinem schneeweißen Anzug auch in die Blutpfütze. Stellte er einen Genius des Todes dar? Zuletzt gestaltete sich Toscas Abgang schwierig. Als Mörderin entdeckt, ist sie ausweglos vom Chor umstellt. Aber wohin springen im Holzkubus? Ein Seidenvorhang, der am Ende wie ein Blutstrom herabrauschte, ließ jedenfalls keinen Zweifel am Tod der Heldin.

Triumph für Petrenko

Wirklich gepackt hatte Kriegenburgs Inszenierung die Zuschauer nicht, und so blieb der Applaus freundlich, aber reserviert. Die großartigen Nebendarsteller erfuhren relativ wenig Anerkennung. Publikumslieblinge waren Erika Sunnegardh und Aleksandrs Antonenko; der brillante Jason Howard bekam als Bösewicht Applaus-Abzug. Allein Kirill Petrenko und dem Orchester schlugen reichliche Bravo-Rufe und einhellige Begeisterung entgegen. Wenige Buhs, gemischt mit Anerkennung für das Regieteam, schlossen den musikalisch perfekten Abend ab.



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