Realistische Utopien: Malen, was nicht existiert
Sein Blog „Gurney Journey“ ist unter den ersten zehn der beliebtesten Kunst-Blogs im Internet. Zur Zeit unterrichtet James Gurney in Kalifornien die führenden Kreativen der Unterhaltungsbranche, wie Steven Spielbergs Dreamworks Animation und George Lucas Lucasfilm, dem Schöpfer von Star Wars und Indiana Jones. Wir befragten ihn über seine Malerei und über sein ab Ende November erscheinendes Buch „Color and Light – a guide for the realist painter“.
Epoch Times: Während Ihrer Karriere haben Sie in so unterschiedlichen Bereichen wie der Illustration von Buchcovern, als Hintergrundmaler in Animationsfilmen, wie an dem Film„Feuer und Eis“ des Fantasykünstlers Frank Frazetta gemalt. Sie haben den Erfolg Ihrer Dinotopia Buchreihe gefeiert, die ebenfalls als Fernsehserie aufgelegt wurde und sie unterrichten die führenden Kreativen der Unterhaltungsbranche. Was hat sich aus ihrer Sichtweise im Bereich der visuellen Künste im Allgemeinen und für die Künstler und die Anforderungen an sie in den letzten 25 Jahren am meisten verändert?
James Gurney: Die auffälligste Veränderung in den letzten zwei Jahrzehnten ist das Aufkommen der digitalen Werkzeuge, sowohl in der Illustration als auch in der Filmbranche. Obwohl ich mit traditionellen Ölfarben arbeite, empfinde ich die neue Technologie als sehr interessant, insbesondere die Durchbrüche im 3D Modelling und der Animation, weil es zu einer Renaissance eines neuen Verständnisses der visuellen Welt geführt hat. Es hat Künstler mit Physikern und Mathematikern zusammengebracht, um solche Dinge wie Volumenstreuung (Anm. d. die Streuung des Lichts in transluzenten Körpern) , Kaustik, absorbierende Schatten und das Verhalten von Partikeln besser zu verstehen. Alle diese neuen Einsichten haben mich beeinflusst, obwohl ich gänzlich mit traditionellen Ölfarben male.
Aber ich denke, Ihre Frage berührt noch eine weitere und wahrscheinlich weniger offensichtliche Veränderung. Aufkommende Formen digitaler Arten der Distribution ermöglichen es Künstlern, sich auf neue Art und Weise zu vermarkten und ihre Arbeiten zu verkaufen.
Diese Werkzeuge haben aufstrebenden Künstlern eine Menge Möglichkeiten eröffnet, ihre Talente zu nutzen. Wenn sie es mögen, an einem großen Vorhaben wie einem Film oder einem Videospiel zusammen zu arbeiten, gibt es viele Möglichkeiten. Der Fachbegriff „Concept Artist“ existierte nicht, als ich zur Kunsthochschule ging. Wenn sie möchten, können Künstler für große Firmen der Unterhaltungsbranche arbeiten, sie können jedoch auch schreiben, illustrieren, und ihre eigenen illustrierten Geschichten gestalten und mit möglichen Lesern bereits in Verbindung treten noch bevor sie eine Veröffentlichungsmöglichkeit haben.
Epoch Times: Betrachtet man sich einmal Plattformen für Künstler im Internet wie „deviant art“ oder „conceptart.org“, deren Mitglieder jeden Tag hervorragende Kunstwerke en masse hervorzubringen scheinen, möchte man sich die Frage stellen: Gibt es denn da einen Bedarf an illustrativer/imaginativer Kunst und was bedeutet das für die jungen Künstler von heute?
Gurney: Ich kann nicht all zu viel über diese Foren sagen, einfach weil ich nicht genügend Zeit habe sie online zu erkunden, aber ich merke, dass sie eine reichhaltige Ressource für sowohl aufstrebende Künstler als auch Profis sind.
Die Leute sind hungriger denn je nach Bildern aus der Fantasie, imaginative Kunst ist gesünder als jemals zuvor. Die erfolgreichste Ausstellung der letzten Jahre der amerikanischen Gesellschaft der Illustratoren war „the Spectrum Annual of Fantastic Art“. Die meisten jungen Leute sind mit einer Liebe zu Comics, Spielen, Fantasy oder Science Fiction groß geworden, von daher wird es nicht so schnell verschwinden.
Epoch Times: In ihrem ersten Lehrbuch über Illustration „Imaginative realism – how to paint what doesn’t exist“ geben Sie einen umfassenden Überblick, in dem sie sowohl aus der Schatztruhe der Illustratoren des „Golden Age of Illustration“ (Amerika, ca. 1880 – 1920, Anm. d. Übers.) als auch einen Einblick in Ihre eigenen Arbeitsweisen und Ihren Erfahrungsschatz gewähren. Wird es noch mehr Bücher nach „Color and Light“ geben? Was war der Auslöser für Sie, auch Lehrbücher zu dem Thema zu schreiben?
Gurney: Ja, es wird noch mehr Bücher nach „Color and Light“ geben, inklusive Lehrbücher über Kunst, Skizzenbücher und neue illustrierte Fantasien, analog zu Dinotopia. Ich bin auch sehr stark an Video und I-Pad Formaten interessiert, also werde ich etwas Zeit nehmen, um diese Ideen zu entwickeln.
Um Ihre zweite Frage zu beantworten: Wie viele Künstler meiner Generation empfand ich, dass die Kunsthochschule nicht die Fragen behandelte, die mir auf der Seele brannten. Ich war nach einer gewissen Art von Buch hungrig, das ich nicht finden konnte, also schrieb ich das Buch, um alle diese anhaltenden Fragen zu beantworten.
Um Bücher zu recherchieren habe ich nicht nur auf meine eigene Erfahrung oder auf die älterer Mentoren zurückgegriffen, denen ich persönlich begegnet bin, wie zum Beispiel Tom Lovell, sondern auch auf längst vergriffene Lehrbücher, die teilweise mehr als hundert Jahre alt sind und die für mich wie ein Fenster in eine ferne Vergangenheit waren.
Epoch Times: „Imaginative Realism“ erreichte innerhalb der letzten sechs Monate Platz 1 der meistgekauften Bücher sowohl in den Kategorien Kunstlehrbuch als auch Malerei bei Amazon, „Color and Light“ ist noch nicht im Verkauf und liegt schon auf Platz 2, allein durch Vorbestellungen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg und kam er überraschend für Sie?
Gurney: Es gibt bereits so viele gute Kunstlehrbücher auf dem Markt, sodass ich nicht wiederholen wollte, was bereits gesagt wurde. Als ich mir jedoch die derzeitigen Veröffentlichungen ansah, bemerkte ich, dass es Lücken gab, und diese fehlende Information war es, die ich anbieten wollte.
Es gab viele Bücher über figürliches Zeichnen, Landschaftsmalerei oder die Wiedergabe von Stillleben, aber überraschenderweise wenige Bücher, die systematisch die Frage behandelten, wie man ein realistisches Bild zu einem fantastischen oder historischen Thema erstellt. Das war Inhalt meines ersten Buches.
Epoch Times: Bezogen auf „Color and light“ – Farbe und Licht – man möchte sagen, die beiden fundamentalen Themen der Kunst: Was können wir von Ihrem neuen Buch erwarten? Können Sie uns einen kurzen Überblick vermitteln?
Gurney: Als ich das Material für den ersten Band Imaginative Realism zusammentrug, wurde mir klar, dass die Informationen über Farbe und Licht so umfangreich waren – und so beliebt unter den Lesern – dass ich beschloss, es bedürfe eines zweiten Bandes.
Ich wollte vier verschiedene Gruppen von Lesern erreichen:
1. Künstler aller Medien, die an einem traditionellen, realistischen Ansatz interessiert sind
2. Fantasy und Science Fiction Künstler, Illustratoren und Concept Artists
3. Nicht-Künstler, die neugierig auf die Wirkungsweisen der visuellen Welt sind
3. Sammler und Fans meiner Kunst, wobei ich sichergestellt habe, dass verglichen mit dem, was wir im ersten Buch gesehen haben, noch mehr neue, bisher unveröffentlichte Kunstwerke vorgestellt werden.
Was das Buch enthält: Das Buch beginnt mit einem Überblick historischer Meister, die Farbe und Licht in interessanter Art und Weise benutzten. Danach untersucht es die unterschiedlichen Quellen von Licht, und wir betrachten, wie Licht die Illusion dreidimensionaler Form hervorrufen kann. Die mittleren Kapitel behandeln sowohl die grundlegenden Eigenschaften von Farbe als auch von Farbmitteln und Pigmenten.
Danach präsentiere ich eine Methode, die ich entwickelt habe und gebrauche, um meine Farbwahl zu planen, die ich „Gamut Mapping“ nenne. Die späteren Kapitel des Buches behandeln spezifische Herausforderungen, denen wir begegnen, wenn wir Oberflächen wie Haar und Blattwerk porträtieren, zusammen mit detaillierten Informationen über die schier endlos variierenden Phänomene atmosphärischer Effekte. Das Buch endet mit einem Glossar, einem Pigment-Index und einer Bibliografie.
Es enthält keine Rezepte zur Mischung von Farben oder Schritt für Schritt Zeichenanleitungen. Ich habe dem Leser ebenfalls einige der unglaublich technischen Diskussionen erspart, denen man nur sehr schwer folgen kann, es sei denn man ist Physiker, zugunsten ausführlich präsentierter Beispiele und praktischer Beobachtungen. Es durchdringt das verwirrende und widersprüchliche Dogma über Farbe und prüft es im Lichte der Wissenschaft und Beobachtung. Es wird als Lehrbuch für Kunsthochschulen verwendet werden und eine Standard Studio Referenz für viele verschiedene Arten von Künstlern.
Epoch Times: Warum sind Studien nach der Natur so wichtig? Was ist der Unterschied zum direkten Arbeiten mit Fotoreferenzen und ist dieser Ansatz in der heutigen, schnelllebigen Industrie überhaupt noch umsetzbar?
Gurney: Die beste Möglichkeit diese Frage zu beantworten, ist eine Seite aus dem Buch zu zeigen, die den direkten Vergleich zwischen fotografierter und beobachteter Realität deutlich macht.
Die zwei Methoden zu arbeiten sind voneinander unabdingbar: Ich könnte nicht lange alleine aus meiner Vorstellung heraus zeichnen ohne nicht nach kurzer Zeit das Bedürfnis zu spüren nach draußen zum Zeichnen zu gehen und ich könnte nicht vollständig nur nach der Beobachtung malen.
Epoch Times: Entgegen der Lehrmeinung vieler moderner Kunsthochschulen lehnen Sie es ab, einen individuellen, persönlichen Stil anzustreben. Warum?
Gurney: Ich denke, es ist ein Fehler, auf der Entwicklung eines persönlichen Stiles zu beharren, insbesondere für den Studenten. Ein Punkt ist, dass jeder Stil irgendwann einmal fad und überholt ist, die Wahrheitsliebe zur Natur hingegen ist zeitlos. Meiner Meinung nach sollten insbesondere die Studenten, aber auch arbeitende Profis, die Welt um sich herum mit wachsamer Beobachtung studieren. Es ist natürlich und gut für junge Künstler, ihre Arbeiten nach dem Vorbild anderer Künstler zu formen, ich für meinen Teil habe es jedoch immer bevorzugt, dass die Helden, von denen ich lernte, schon lange tot waren, und ich habe immer versucht, möglichst viele unterschiedliche zu studieren, nicht nur einen.
Epoch Times: Im Nachwort von „Imaginative Realism“ zitieren Sie den amerikanischen Künstler Harvey Dunn: „Das einzige, was wirklich wahr an irgendeiner Sache ist, ist ihr Geist“ und schließen das Buch mit den Worten: „Kunst, die in Erinnerung bleibt und den Test der Zeit besteht, mischt Erdhaftigkeit mit Mysterium und enthält sowohl eine Handvoll Lehm sowie die Feder aus der Schwinge eines Engels.“ – was ist ihrer Meinung nach essenziell für „gute“ Kunst im Allgemeinen und gibt es diesbezüglich etwas, das sie jungen aufstrebenden Künstlern mitgeben wollen?
Gurney: Ich kann nicht sagen, was „gute Kunst“ ist, weil ich viele verschiedene Arten der Kunst liebe, die von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen. Ich war jedoch immer an Gemälden interessiert, in denen die Oberfläche zu verschwinden scheint und ich fühlte, dass ich in der Szenerie leben kann, die ich male. Es gibt ein lateinisches Zitat, das ich in das Holz meines Malstockes eingebrannt habe, es heißt: „Ars est celare artem“. Ich habe es von einem Künstler namens James Perry Wilson aufgegriffen, der die Hintergrundgemälde im American Museum of Natural History angefertigt hat. Es lässt sich übersetzen mit: „Wahre Kunst ist das Verbergen von Künstlichkeit.“ Es ist sehr einfach, ein Gemälde nach Farbe aussehen zu lassen, aber es ist um ein Vielfaches schwerer, ein Gemälde zu erschaffen, dem es gelingt, den Betrachter so komplett hineinzuziehen, dass er die Sonne in seinem Nacken spürt und den Sand in seinen Schuhen.
Aber natürlich ist Kunst weitaus mehr als Illusionismus. Mir kommt es vor allem darauf an, inwieweit sich eine Arbeit mit der Welt der Träume und Emotionen verbindet. Viele verschiedene Arten der Kunst können dieses Ziel erreichen, aber was mich begeistert, ist Kunst, die das erreicht, indem sie sowohl sensibel zu der Welt um uns herum als auch zum Meer des Mysteriums in uns ist. Das innere- und das äußere Auge inspirieren einander.
Die Fragen stellte Christian Schlierkamp
Mehr Informationen über James Gurney und seine Kunst unter
http://gurneyjourney.blogspot.com/
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