Rheingold! Reines Gold – falsch und feig ist dort oben, was sich freut

Lang anhaltende stehende Ovationen für die konzertante Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“ in Dresden am 14. Juni im Rahmen der Musikfestspiele 2023.
Titelbild
Die drei Rheintöchter (v. l. Eva Vogel, Ida Aldrian, Ania Vegry) bei „Das Rheingold“ mit dem Dresdner Festspielorchester und dem Concerto Köln unter Dirigent Kent Nagano.Foto: Oliver Killig
Von 20. Juni 2023

Die Stimmung im Konzertsaal des Musikpalastes Dresden ist elektrisiert, alle Plätze sind so gut wie ausverkauft. Das Publikum ist auffallend altersgemischt, was oftmals bei klassischen Konzerten nicht der Fall ist. Dieser Abend ist der Auftakt einer auf vier Jahre angelegten Erarbeitungszeit für die gesamte Tetralogie „Ring des Nibelungen“, bestehend aus einem Vorabend und drei Tagen.

1876 feierte der Wagner’sche „Ring“ bei den ersten Opernfestspielen in Bayreuth seine Uraufführung. Das 150. Jubiläum wird 2026 zu feiern sein. Bis dahin wird jedes Jahr ein Teil der Tetralogie neu erarbeitet.

Große Herausforderung dieses Musikprojekts ist es, so nah wie möglich an eine sogenannte historische informierte Aufführungspraxis heranzukommen. Dazu wurden extra Instrumente gefertigt: Die Streichinstrumente sind alle mit Darmsaiten bespannt, die Querflöten sind aus Holz. Auch das Quartett der Wagner-Tuben fehlt nicht. Richard Wagner hat sie bei der Arbeit zu „Rheingold“ entwickelt, um die Lücke in der Klangfarbe zwischen Horn und Posaune zu schließen.

Anschwellende Basstöne

Durch die fehlende theatrale Inszenierung ist die ganze Konzentration auf die Musik möglich. Wie tief aus der Erde tönend beginnt der Abend mit einem unisonen Klangteppich, der sich allmählich auffächernd immer mehr überlappt. Sofort entstehen Bilder von Wellen vor dem geistigen Auge.

Die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde bewachen das Gold des Rheines. Alberich, ein Zwerg, zu dem Volk der Nibelungen gehörend, von eher abstoßender Gestalt, möchte eine der drei Schönen erobern. Was ihm – obendrein noch unter dem Spott der jungen Frauen – nicht gelingt.

In seiner Wut darüber entreißt er ihnen den leuchtenden Schatz, was ihm allerdings nur gelingen kann, indem er der Liebe abschwört. Und so ist der erste Schritt gegangen, mit List und Gewalt – aber ohne Liebe – die Welt beherrschen zu wollen.

Jan Vogler, Cellist und Intendant der Musikfestspiele, ist zusammen mit dem international renommierten Dirigenten Kent Nagano künstlerischer Leiter dieses Projektes. Zusammen mit dem Festspielorchester Dresden und dem Ensemble „Concerto Köln“ haben die Musiker sich auf die Suche nach einem Klang begeben, der so nah wie möglich an die Vorstellungen des Komponisten heranreichen soll.

Wissenschaftler und Musiker Hand in Hand

Mit den Worten: „Hier haben die Wissenschaftler die Musiker informiert, nicht andersherum“, begrüßt Vogler das Publikum, unter dem sich auch einige Stadthonoratioren und Politiker befinden. Und Nagano sagt im Interview: „Wir nehmen uns Zeit, uns gründlich der Musik anzunähern. Neben der wissenschaftlichen Arbeit mag dieser Zeithorizont mit der wichtigste Aspekt sein, der unser Projekt auszeichnet.“

Diese tiefgehende Auseinandersetzung trägt sicher ihren Teil dazu bei, dass die Interpretation so gar nichts Schwülstiges und Überfrachtetes an sich hat, was vielleicht mancher bei Musik von Wagner assoziiert.

Die Musik erstrahlt pur und geradezu erhaben in ihrer Direktheit. Vom Anfang bis zum letzten Ton ist das Vorwärtsdrängen der Handlung zu spüren. Keine überflüssige Verzögerung lässt den schicksalhaften Handlungsfluss stocken. Die fantastischen Stimmen der vierzehn Sänger und Sängerinnen tragen die Handlung. Ihre Spielfreude füttert und unterstützt die Imagination der Rezipienten – und erheiterte auch zuweilen.

Macht und Reichtum

Alberich selbst wird aber der Rheinschatz mit einer List entlockt – samt des Ringes, den er im Auftrag für sich schmieden ließ und der seinem Besitzer Allmacht verleiht. Göttervater Wotan mit seinem Vertrauten Loge, welcher aus gezähmtem Feuer als Halbgott hervorging, packt den Zwerg bei seiner Geltungssucht. Mit dem Vorwand, er soll ihnen doch seine Tarnkappe präsentieren, verwandelt er sich auf ihren Vorschlag hin in eine Kröte und ist nun leicht zu überwältigen.

Das ist der Boden, auf dem sich Gewalt und Blutvergießen fortsetzen, bis es am Schluss des „Ringes“ mehr Tote als Lebende geben wird. Vergeblich warnen die drei Rheintöchter im Dreiklang von Sopran, Mezzosopran und Alt begleitet von einer Harfe, das Rheingold wieder seinem Herkunftsort zurückzugeben:

Rheingold! Rheingold! Reines Gold!
O leuchtete noch in der Tiefe dein lautrer Tand!
Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe:
falsch und feig ist, was dort oben sich freut!

Effektvoll im ersten Rang hinter dem Publikum platziert, ertönen ihre Stimmen über das Publikum hinweg in Richtung Bühne.

Erstaunliche Mittel

Weiteres überraschendes Moment ist ein gesprochener Satz an mancher, bedeutenden Stelle oder auch grelle Schreie. Diese sogenannten „Schröder-Devrient-Momente“ gehen auf die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient (1804-1860) zurück, die für Wagner das große Ideal darstellte.

Sie bediente sich der ganzen Bandbreite Ihrer Stimme und schloss auch Flüstern oder psychologisch aufgeladenes Aufschreien nicht aus. Ganz im Sinne des Komponisten Wagner, der an einem Gesamtkunstwerk interessiert war, indem der Gesang das dramatische Spiel mit einschloss.

In aufwendiger, schrittweiser Erarbeitung der Texte in Workshops und Probenprozessen tastete sich das, für dieses außergewöhnliche Projekt extra gebildete Ensemble, an eine historische präzise Aufführungspraxis heran. Getreu dem Motto Wagners: Singen ist gedehntes Sprechen.

Faszination Wagners schwer in Worte zu fassen

Als das Publikum am Schluss hinausströmt, frage ich meinen Sitznachbarn, was ihn denn an Wagner begeistere. Der junge Mann ist höchstens Mitte zwanzig und hatte aufrecht sitzend, in größter Konzentration das Bühnengeschehen zweieinhalb Stunden ohne Pause verfolgt. Gefühlt waren es auch höchstens eineinhalb Stunden.

Es falle ihm schwer, konkrete Worte dafür zu finden. Sicherlich sei es ja etwas völlig anderes als harmonisch geordnete Bachstücke zu erleben. Es gebe auch Disharmonien und sei aufwühlend. Doch bereue er es keinen Moment, die geschenkte Karte in Anspruch genommen zu haben. Sichtlich bewegt verabschiedet er sich, um sich mit Freunden, welche schräg gegenüber im Saal saßen, lebhaft über den Abend auszutauschen.

Uraufführung und Konzert der Dresdner Musikfestspiele „Das Rheingold“ mit dem Dresdner Festspielorchester und dem Concerto Köln unter Dirigent Kent Nagano am 14.06.2023 im Kulturpalast . Foto: Oliver Killig

 

 



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