Roland Schwabs frecher „Don Giovanni“ in der Deutschen Oper Berlin

Wann ist ein Mann ein Mann? - Roland Schwabs frecher „Don Giovanni“ feierte an der Deutschen Oper Berlin Premiere
Titelbild
Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Don Giovanni (Ildebrando d´Arcangelo vorn Mitte) und seine Mitspieler.Foto: Marcus Lieberenz für Deutsche Oper Berlin
Von 17. Oktober 2010

Ist Männlichkeit in Zahlen messbar? Ist Sex nur eine Sportart? Und wenn ja, haben Sie noch Sex, oder Golfen Sie schon?

Mit solchen und anderen Fragen wird der/die Zuschauer/in von Berlins neuestem „Don Giovanni“ konfrontiert: Ein kesser Flirt mit Mozarts unsterblichem Klassiker, der das Publikum bei der Premiere am Samstag in Buhs und Bravos spaltete. Roland Schwab führte an der Deutschen Oper Regie. Und Golfschläger spielten eine dominante Rolle.

Don Giovanni, Mythos der Verführung

„In Italien sechshundertundvierzig, aber in Spanien schon eintausend und drei!“ Don Giovanni, der Verführer der Superlative, kann einfach jede Frau haben, will uns Mozart weismachen. Dabei folgt er rücksichtslos seiner Begierde. Schreckt weder vor Mord noch vor Vergewaltigung zurück. Kein Wunder, dass er am Schluss für seine Untaten zur Hölle fährt.

Doch was macht den Wüstling bis heute unwiderstehlich?

Inspiriert von der Idee, dass in jedem Mann ein Stückchen vom großen Verführer steckt, erlebt der neue Berliner Don Giovanni seine Höllenfahrt als vorübergehende Ego-Krise. Keine Angst, der Mythos stirbt nie! Sobald sich der Nebel verzieht, schüttelt er sich den Staub vom Anzug und schlendert neuen Abenteuern entgegen …

Dass Don Giovanni in der Inszenierung von Schwab nicht stirbt und die moralisierende letzte Szene gestrichen wurde, erboste einige Besucher zu heftigen Buhs. Auf jeden Fall ist dies ein schwerer Eingriff ins Werk, aber im Gesamtkonzept verzeihlich: Es ging dem Regisseur nicht darum, Don Giovanni als ruchlosen Bösewicht darzustellen und zu bestrafen. Vielmehr wurde er als Urbild männlicher Erotik unter die Lupe genommen.

In Traumbesetzung

Ildebrando d´Arcangelo ließ als Don Giovanni keine Wünsche offen. Egal ob lässig, leidenschaftlich, arrogant oder verführerisch: Mit kraftvollem Bariton und fantastischem Aussehen beherrschte er die Szene. Ein Heer von Alter Egos, bestehend aus den Herren des Chores, stand ihm zur Seite. Als clowneske Begleiter mussten sie mit ihm zusammen Donna Elvira auslachen, Zerlina bedrängen oder sich mit Liegestützen fit halten.

Und die surreale Überzeichnung funktionierte: Das quirlige Tempo und die Tiefe von Mozarts Musik machten möglich, dass trotz szenischer Überfülle und Abgedrehtheiten die Musik treibende Kraft blieb.

Natürlich, einige Gags gingen unter die Gürtellinie und manche auch voll daneben. Insgesamt gelang Schwabs Meditation über das Wesen der Männlichkeit aber so entspannt wie selbstironisch. Sexistisch wurde man hier nur, um Sexismus auf die Schippe zu nehmen. Als emanzipatorischer Akt. Als Balsam auf die Wunden all jener, die dem Vergleich mit diesem Don Giovanni nie standhalten werden.

Und so war der Leporello von Alex Esposito keinesfalls braver als sein Herr. Mit dreckiger Lache und spektakulärem Körpereinsatz stand er Don Giovanni zur Seite. D´Arcangelo und Esposito – ein Dreamteam.

Überhaupt wurde die ganze Geschichte bewusst aus männlicher Perspektive erzählt: Frauen waren – wie sich das gehört – an diesem Abend die Prinzessinnen: Sie durften hübsche Kleider tragen, die schönsten Arien singen und bekamen den meisten Applaus.

Als Donna Anna verzauberte Marina Rebeka bis in die Spitzentöne mit glockenhellen Höhen und makellosem Pianos, wunderbar verletzlich und empfindsam. Sie, die Kühle, noch Unschuldige, trug bei ihrem Auftritt ein beeindruckendes rosa Schößchenkleid, das bewies, dass modernes Styling und mozärtliche Romantik keine Gegensätze sein müssen. Ihre Solo-Szenen waren echte Highlights.

Eine energisch flammende Donna Elvira sang Ruxandra Donose. Als Don Giovannis Ex, die nicht von ihm loskommt, trug sie ebenso edle, aber weit sinnlichere Outfits als Donna Anna. Eine Frau mit Erfahrung also. Ein großes Kompliment an das feinfühlige Kostümbild von Reneè Listerdal, in dem alle Guten sehr bunt aussahen, während die bösen Jungs in schwarzen Anzügen glänzten.

Die Sänger waren so hochkarätig und homogen im Klang, dass keiner hinter dem anderen zurückblieb. Sei es Stimme, sei es Bühnenpräsenz, alle spielten ihre Parts perfekt und in den Ensembles mischten sich die Stimmen hervorragend.

Yosep Kang meisterte als Don Ottavio mühelos die gefürchtete Arie „Dalla sua pace“. Bassist Ante Jerkunica war als Komtur kaum aufgetreten, schon wurde er mit Golfschlägern erschlagen. Als imposante Autorität aus dem Off flößte er im Folgenden Schauder ein. Überzeugenster Softie des Abends war Krzysztof Szumanski als Masetto, der seinen Part mit warmherzigem Humor spielte (Dank der Regie bekamen wir von ihm etwas mehr zu sehen, als wir uns gewünscht hätten). Ihm zur Seite stand die bezaubernde Zerlina Martina Welschenbachs als flotte Blondine in fluffigen Tüllrüschen.

Unter der Leitung von Roberto Abbado spielte das Orchester der Deutschen Oper solide, aber unspektakulär. Die Sänger standen stets im Vordergrund, was die Aufführung auszeichnete.

Bizarr bebildert

Piero Vinciguerras flexible Bühne faszinierte: Das Fest auf Don Giovannis Schloss zum Beispiel entpuppte sich als bizarre Club-Party, auf der die Gäste mit Peitschen auf Trab gehalten werden und dabei die neonbeleuchtete Tretmühle der Obsession am Laufen halten. Was äußerlich verheißungsvoll erscheint, ist in Wirklichkeit ein stumpfsinniger Mechanismus, aus dem kein Entkommen möglich ist. Der Don und sein Diener lachen sich als dämonische Herren des Geschehens ins Fäustchen. Ein gruselig-komisches Bild für die Abgründe der Lust.

Unkonventionell kreativ ging es auch in der Friedhofs-Szene zu, die statt hinter Friedhofsmauern vor dem Eisernen Vorhang spielte. Dies provozierte einige Gags, die so witzig waren, dass sie nicht verraten werden sollen. Hier führten Held und Diener den schicksalhaften Dialog mit dem Publikum anstatt mit der Marmorstatue. Merke: Der Mann von heute fürchtet weit weniger den Richter aus dem Jenseits als das Urteil der Öffentlichkeit.

Fazit: Nichts für zarte Gemüter, aber sehr sehenswert. Der Großteil des Publikums hat den Abend sichtlich genossen.

 



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