Schwesternliebe und Schicksal
Mit „stiller Begeisterung“ arbeitete Johann Gottfried von Schadow am Doppelstandbild der Kronprinzessinnen Luise und Friederike von Mecklenburg-Strelitz. Dank Anmut und Charme der Mädchen gelang es Schadow, ein Realportrait zum Ausdruck überzeitlicher Schönheit zu erheben: Ein künstlerisches Ideal war geboren.
Gerade mal 16 und 18 Jahre waren die beiden Schwestern, als sie portraitiert wurden. Als preußischer Hofbildhauer und anerkannt Bester seiner Zunft hatte Schadow (1764-1850) das Privileg bekommen, ein Atelier im Seitenflügel des Berliner Kronprinzenpalais einzurichten, nahe der Wohnung der Prinzessinnen und ihrer Ehemänner. Um ein Maximum an Naturtreue zu erreichen, formte er mehrer Büsten zur Vorbereitung des Werkes, das neben der Quadriga auf dem Brandenburger Tor sein berühmtestes werden sollte.
Luise – die zukünftige Königin
Luise hat eine geradlinige und aufstrebende Erscheinung, denn ihr ganzer Körper wirkt säulenartig. Hervorgerufen durch die hoch sitzende Taille ihres Kleides ist ihre Silhouette klar definiert und harmonisch. Sie schaut mit leicht erhobenem Kopf nach links oben. Diese visionäre und selbstbewusste Haltung zeichnet sie als zukünftige Königin aus und wurde gezielt gewählt. Interessanterweise trat Luise in ihrem weiteren Leben tatsächlich als charakterstarke Königin auf.
Beginnend mit Schadows Skulptur wurde der Schleier ums Kinn ihr Markenzeichen. Er krönt als letztes Detail die Reihe der sich nach oben öffnenden Formen, wie die V-förmigen Falten um ihr Knie und den großzügigen Bogen ihres Halsausschnitts.
Luise lehnt sich auf ihre Schwester, ja fällt beinahe auf sie, weil sie mit überkreuzten Beinen steht. In dieser ungewöhnlichen Pose fußt der gesamte V-Charakter und die mädchenhafte Verspieltheit der Prinzessinnengruppe.
Friederike – im Schatten der Schwester
Friederikes Pose ist klassisch und erdverbunden, da sie das Gewicht der Komposition zu tragen scheint. Es ist nicht klar, ob sie mit ihrer linken Hand im Begriff ist, die dominante Umarmung ihrer Schwester liebevoll zu erwidern oder abzuschütteln. Sie schaut in die entgegengesetzte Richtung zur Erde, viel bescheidener als Luise, etwas verträumt und mit sich selbst beschäftigt.
Betrachtet man die beiden von der Seite, sieht man wie weit der Winkel zwischen ihren Gesichtern tatsächlich ist. Luise sieht entspannt und erhaben aus, während Friederike vom Ellbogen bis zur Nasenspitze gebeugt ist.
Andererseits liegt in der Zärtlichkeit ihre Umarmung auch die Ahnung des innigen Verhältnisses, indem die beiden zueinander standen. Durch die korrespondierenden Falten ihrer Gewänder werden sie zur unzertrennlichen Einheit verwoben. Beider Mädchen rechte Beine formen ein steiles Dreieck, dessen Spitze weit über ihrem Kopf liegt – ein weiterer kompositorischer Trick um sie zu verbinden und Offenherzigkeit und Heiterkeit zu entfalten.
Schadow entschied sich bei Friederike für ein vergleichsweise kompliziertes Kleid; mit zwei Gürteln und indifferenter Taille zergliederte er es in mehrere unregelmäßige Formen – ist dies die intuitive Andeutung einer problematischeren Persönlichkeit? Es gibt sogar einen hochgebundenen Überrock, der eine starke diagonale Falte wirft. Im üppigen Überhang von Friederikes Ärmel findet sich das Gegengewicht zu Luises linker Schulter. Auf der Rückseite legt Friederike ihren Arm um Luises Hüfte und die Geschlossenheit der Vorderseite wird durch die Symmetrie der Faltenwürfe in den Röcken wiederholt. Die nachschleppenden Kleider erwecken den Eindruck, dass die beiden spazieren gehen.
Das missverstandene Meisterwerk
Die Prinzessinnengruppe gilt heute als Spitzenwerk des Berliner Klassizismus und wurde tausende Male als Porzellanminiatur verkauft. Obwohl die Präsentation der Gips- (1795) und des Marmor-Originals (1797) an der Berliner Akademie der Künste ein großer Erfolg für Schadow war, geriet die Skulptur jahrzehntelang in Vergessenheit. Sie passte einfach nicht ins Bild, das die Monarchie der Öffentlichkeit zu vermitteln wünschte: Die realen Prinzessinnen – so menschlich! Obwohl Natürlichkeit ein Ideal der Romantik war und eine Darstellung ohne Standesinsignien Mode, wurde die Statue als zu gewagt empfunden.
Ein unerwünschtes Image
Spielerisch mädchenhaft, beinahe lasziv, die Körperformen der Vollbekleideten virtuos von Falten umschmeichelt: „Mir fatal“ nannte Luises Ehemann König Friedrich Wilhelm III. das Bildnis. Um es auf elegante Weise loszuwerden, fällte er zunächst drei Jahre lang keine Entscheidung über den endgültigen Standort des Kunstwerks, schließlich ließ er es in ein Gästezimmer stellen, wo ihm keinerlei öffentliche Aufmerksamkeit zu Teil werden konnte.
Neben der Sinnlichkeit der Darstellung gab Friederikes skandalumwittertes Privatleben den entscheidensten Grund für das Verschwinden der Prinzessinnengruppe: Sie wurde vom Hof verbannt, nachdem sie 1798, nach kurzer glückloser Ehe verwitwet, ein uneheliches Kind erwartete. Eilig wurde sie mit dem vermeintlichen Vater verheiratet, weit unter ihrem Stand. Alle Abbildungen Friederikes wurden aus den Augen Friedrich Wilhelms entfernt, der denkbar herbste Schlag für die Prinzessinnen und ihr marmornes Ebenbild.
Mädchen mit Tiefgang
Man kann die Skulptur als charmantes Portrait zweier Mädchen betrachten. Führt man sich jedoch die Lebenswege der Beiden vor Augen, wird man merken, wie erstaunlich hellsichtig die künstlerische Intuition des Bildhauers war: Die junge Königin Luise sollte schon zu Lebzeiten zum Vorbild weiblicher Tugendhaftigkeit erhoben werden, das Schönheit, Warmherzigkeit und Willensstärke in sich vereinte. Ihre kleine Schwester hingegen hatte Schwierigkeiten, den Erwartungen die man an sie als Prinzessin stellte zu entsprechen und einen geradlinigen Weg im Leben zu finden: In dritter Ehe wurde sie schließlich Königin von Hannover. Sicher war es schwierig für sie, ständig mit ihrer Schwester verglichen zu werden und die sanfte Auseinandersetzung, die in der Körpersprache von Schadows Prinzessinnen angedeutet ist, hatte hier ihren realen Hintergrund.
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