Staatsoper Hamburg: Madame Butterfly
Die neue Inszenierung von Vincent Boussard bot an der Hamburgischen Staatoper wenig Zauber, aber viele Fragen. Wunderbare Darsteller schlugen sich unter dem exzellenten Dirigenten Alexander Joel tapfer durch ein Regiekonzept, das an vielen Stellen lieblos wirkte, doch zumindest farbenprächtig und ausdrucksvoll bebildert war: Von Bühnenbildner Vincent Lemaire und dem Ex-Couturier Christian Lacroix.
Puccinis Klassiker verführt dazu, auf eine simple, traurige Liebesgeschichte reduziert zu werden. Dabei ist er ein Drama über Welten und Wertvorstellungen, die aufeinanderprallen. Ein Stück über eine Frau aus halbseidenen Verhältnissen, die ihre Sehnsucht nach einem besseren Leben mit einem Mann verknüpft, der sie sehenden Auges ausnutzt.
Spielstätte ist ein karger Raum mit gemalten Mohnblumen an den Wänden und einer Wendeltreppe in der Mitte, die außer ihres filigranem und stylischen Aussehens keine Bedeutung zu haben scheint. Es wird immer wieder darauf herumgeklettert, Menschen treten von unten kommend auf – vermutlich weil Butterfly’s Haus auf einem Berg liegt.
Im ersten Akt beobachtet der Zuschauer zwei Menschen, die aneinander vorbeisingen – schon im Dialog vor der Hochzeit. Und was eigentlich zwischen ihnen passiert, das bleibt vage. Es muss etwas Erotisches sein, denn am Ende steht sie plötzlich im durchsichtigen Kimono da. Überhaupt wirkt diese Butterfly ziemlich flittchenhaft und so gar nicht unschuldig. Weiß sie, dass sie Teil eines schmutzigen Spiels ist, das sie im weiteren Verlauf wie eine Besessene zur großen Liebe erklärt?
Im Bezug auf die Liebesgeschichte bricht die Inszenierung mit den klassischen Butterfly-Zutaten, weil sie sich vor Stimmung und Kitsch fürchtet. Mit den Kostümen wird dieser Mangel dann überkompensiert: Die Verwandschaft ist bunt und pompös ausgestattet wie man sie selten gesehen hat, der Hochzeits-Kimono glitzert zartrosa und am Ende erscheint mit der wasserstoffblonden Kate Pinkerton in Kostüm und roten Pumps eine ratlose Pin-Up-Amerikanerin (Ida Aldrian).
Statt Selbstmord geköpfte Kinderpuppe
Bei Puccini gibt es jedoch keinen doppelten Boden – er meint alles todernst und die Probleme sind echt. Bei Boussard ist das Kind aus Plastik und wird als Gegenstand behandelt. Ein Ding, zu dem Frauen greifen, um Männer unter Druck zu setzten: „Kann er das jemals vergessen?“ ruft Butterfly und reißt die Puppe ebenso demonstrativ wie beiläufig am Ärmchen hoch. Später stopft Suzuki den Sprößling während des Summchores in einen Schrank, der vor lauter Babypuppen überquillt. Und am Ende, nachdem sich Butterfly nicht erstochen hat, sondern den Raum ohne Messer verlassen hat, purzelt die geköpfte Kinderpuppe daraus hervor. Über die Moral von der Geschicht muss spekuliert werden.
Die großartige Alexia Voulgaridou als Butterfly wirkte ziemlich psychopathisch, wenn sie mit ihrem nicht vorhandenen Kind sprach und vermutlich war dies beabsichtigt. Die Musik konnte dies zum Glück nicht zerstören, sie war der Faktor, der die Aufführung zusammenhielt und den zweiten Teil sehr spannend machte. Alexia Voulgaridou sang und spielte sich hier zu tragischer Größe: Ihre Arie „Un bel di vedremo“ hatte die Intensität eines Gebetes und war einer der schönsten Augenblicke und alle Ausbrüche, die danach kamen, gelangen ihr als kontinuierliche Steigerung bis zum Schluss. Auch die Suzuki von Cristina Damian die etwas mechanisch begonnen hatte, gewann dramatische Größe. Unterstützung bekamen die Damen von Lauri Vasar als Sharpless mit geschmeidigem Bariton und großem Fingerspitzengefühl. Spannende Momente stellten sich ein, wenn Butterfly sich emanzipiert mit Jeans und Shirt präsentiert und doch mit unterwürfig japanischen Gesten bewegt. Oder wenn sie im Sessel schläft, während die anderen über die Zukunft ihres Kindes diskutieren.
Charakter und Fortissimo
Interessant war der Pinkerton von Teodor Ilincai: Er ahnt offensichtlich, dass er dabei ist, eine Dummheit zu begehen. Weil seine Lust jedoch größer als die Angst ist, trinkt er sich Mut an und schmettert große Töne von amerikanischer Freiheit. Da blitzt soetwas wie eine Charakterzeichnung auf, die berührt. Einer, der gern stark und selbstbestimmt sein möchte, aber im Grunde menschlich unreif ist. Ilincai war ein Traum von einem Tenor – manchmal trug er mit seiner Heldenstimme vielleicht das Fortissimo etwas zu dick auf, aber er konnte es sich leisten und musste einfach irgendwo hin mit all seiner Strahlkraft und Leidenschaft – zumal die Regie für ihn nur den strammen Blick auf den Dirigenten vorsah. Bei seiner Rückkehr wirkte er hoffnungslos verstört und „Addio fiorito asil“ wurde zu seinem Höhepunkt.
Jürgen Sacher brachte als profitgieriger Goro einen schmierigen Typ auf die Bühne, der all das verkörpert, was Butterfly verachtet. Etwas schwach wirkte der Auftritt von Jongmin Park als Bonze, dem die Bedrohlichkeit fehlte. Viktor Rud gelang dafür eine ernstzunehmende Darstellung des Yamadori.
Nachdem sehr schlaffen Applaus für den ersten Akt wurde der zweite Teil ein großer Erfolg. Was auf der Bühne an Gefühl gefehlt hatte, machte das Orchester wett. Unter der Leitung von Alexander Joel spielten die Philharmoniker Hamburg mit Verve, Prägnanz und einem Schuss wohltuender Italianitá – ohne in die Rührseligkeit abzugleiten. Es gab einen liebevollen Umgang mit allen Motiven und eine feine Schattierung ihrer Klangfarben, der Dirigent verstand es, die dramatischen Brüche der Musik zu einem atmosphärischen Strom zu vereinen in dem für Süße, Verspieltheit und Folklore genauso Platz war wie für Momente tödlichen Schweigens. Der Chor agierte souverän unter der Einstudierung von Christian Günther.
Am Ende: Großer Jubel für die Hauptdarsteller, besonders für Alexia Voulgaridou als Madame Butterfly. Auch das Regieteam erntete reichlichen Beifall gemischt mit einzelnen Buhs.
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