Verflossenes Nazi-Tattoo bringt Bayreuther „Holländer“ Evgeny Nikitin zu Fall
Seemänner sind tätowiert, und das seit Jahrhunderten gern und viel. Und wenn schon in der Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ in Bayreuth vor lauter Modernisierung kein Geisterschiff mehr zu erwarten sein wird, einen passablen Kapitän hätte es gehabt. Hätte. Denn nun musste Holländer-Darsteller Evgeny Nikitin nur vier Tage vor der Premiere die Segel streichen. Aus einem Grund, der geradezu grotesk ist.
Verräterisches Video
Und das kam so: Am Freitagabend sendete das ZDF im Kulturmagazin Aspekte ein Portrait des russischen Bassbaritons. Und darin gab es einen Filmschnipsel, der den heute 39-jährigen Nikitin in seinen wilden Jugendjahren mit nacktem Oberkörper und rasiertem Schädel beim Schlagzeug spielen zeigt. Und, oh Schreck, es war für einen Moment ein Hakenkreuz-Tattoo auf seiner Brust eindeutig erkennbar!
Das hatte in Bayreuth natürlich keiner vermutet, dass bei diesem sympathischen, bunttätowierten Star solch ein Problem auftauchen könnte. Da wäre ja auch kein Mensch draufgekommen! Das hätte doch niemanden interessiert! Aber schicksalhafterweise lief es groß und für jedermann sichtbar im ZDF. Und noch vor erfolgtem Aufschrei, lediglich aus der Angst heraus, dass irgendwoher wegen dieses Tattoos ein Aufschrei erfolgen könnte, musste er nun seine Auftritte absagen.
Da half es auch nichts, dass es auf Nikitins Haut heutzutage – und das beweisen aktuelle Fotos – ganz anders aussieht. Von dem Hakenkreuz, das dort vor 20 Jahren prangte, ist längst nichts mehr zu sehen!
Die Bayreuther Festspiele lassen durch ihren Pressesprecher Peter Emmerich (der übrigens früher ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war) polternd verlauten: „Dazu muss man Stellung beziehen. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“
Es wäre zu schön gewesen
Da hat Bayreuth also mit seiner großzügigen Medienpräsenz um den dringend benötigten Star, über den es sich zu berichten lohnt, weil er eine so tolle, medientaugliche Story ist (Wagnersänger und Heavy Metaler) sich künstlerisch torpediert. Oder waren es einige ungnädige Hügelgötter, die den Untergang der entweihten Weihestätte betreiben? Die Integrität derer, die dort oben zu Gange sind, wie sollte man sie prüfen? Wäre das nicht auch eine diktatorische Maßnahme?
Menschen machen Fehler, seit Urzeiten, vor 70 Jahren und heute noch immer. Ein Problem Bayreuths ist ja, dass auch Richard Wagner große Fehler machte. Er lebte seine persönlichen Feindschaften durch generalisierende antisemitische Hetzschriften auf unschönste Weise aus. Und er hatte – viel später – einen Fan namens Adolf Hitler. Aber wird Wagners Musik – und um die, vermutet man, geht es in Bayreuth vornehmlich – wird diese nicht weltweit wegen ihrer humanistischen Essenz verehrt, dieser weltumspannenden Botschaft der Liebe und des Verzeihens, die uns alle angeht?
Er hat uns doch lauter Stücke hinterlassen, die von Leuten handeln, die irgendwie immer zur tieferen Einsicht kommen. Über Menschen, die es schaffen, sich und ihr Leben zum Besseren zu ändern. Sogar einer Frau, die Christus am Kreuz verspottete, kann bei Wagner vergeben werden (gemeint ist die Kundry im „Parsifal“). Natürlich nach einer schweren Zeit der Buße. Aber immerhin. Und auch der in Verdammung schmachtende, weil Gott gelästert habende „Fliegende Holländer“ wird am Ende erlöst.
Jeder Fehler ist auch eine Chance zur Einsicht
Ist es nicht Zeit, sich mal auf dieses positive geistige Erbe zu besinnen? Wurde nicht auch dem Pressesprecher seine Vergangenheit vergeben? Dann hätte die offizielle Erklärung zum Fall Nikitin inhaltlich so oder ähnlich lauten können: „Gestern lief ein Film im ZDF, an dem ein Detail verunsichern könnte. Und deshalb wollten wir bei dieser Gelegenheit gerne mitteilen: Das ist Vergangenheit, Evgeny Nikitin hat sich inzwischen geändert und wir alle finden, er ist ein dufter Typ. Ihm ist seine Vergangenheit genauso peinlich, wie es uns die unsrige ist, also sitzen wir im selben Boot. Und deshalb freuen wir uns, ihn weiterhin als ‚Fliegenden Holländer‘ bei uns an Bord zu haben.“
Vergeb´ne Hoffnung, furchtbar eitler Wahn. Eines ist in Bayreuth offensichtlich nicht möglich: Ein normaler, unvollkommener Mensch mit persönlicher Geschichte zu sein. Und so äußerte Herr Nikitin pflichtschuldig: „Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen.“ Und er fügte noch hinzu, dass dieses Tattoo eine Jugendsünde gewesen sei, die er mittlerweile bereue: „Ich wünschte, ich hätte es nie getan.“ Danach segelte er schnell davon. Das Echo wird noch lange in den deutschen Feuilletons nachhallen, ebenso die Enttäuschung bei den Nikitin-Fans, die den Auftritt eines schonungslos ehrlichen Künstlers vermissen werden. Anstatt Nikitin wird nun der Koreaner Samuel Youn den Holländer singen, der sowieso als sein Einspringer parat stand.
Und wie geht es jetzt weiter?
Eines hat der Fall jedoch bewirkt: Er hat den Festspielen eine ordentliche Portion Medienaufmerksamkeit gebracht. Vielleicht nicht ganz die Gewünschte. Aber zumindest eine, die der unheilvollen Vermutung Nahrung gibt, dass die seit Jahren künstlerisch angeschlagenen Bayreuther Festspiele, bar jeder geistigen Essenz, nur noch durch den sie umgebenden Medienzirkus und dessen sogenannte Skandale am Leben erhalten werden.
Das eigentlich Bedauernswerte ist jedoch, das Bayreuth nichts dazu gelernt hat. Es hat eben keine Stellung bezogen und ist zur Tagesordnung übergegangen. Die Chance, sich selbst von den Gespenstern der Vergangenheit zu erlösen und in eine offenherzige, menschliche Diskussion einzusteigen, wurde verpasst. Zum bestehenden Haufen an unangenehmen Erinnerungen ist eine Neue hinzugekommen. Und auf die Mauer um den Gralstempel und in den Köpfen wurde ein weiterer, dicker Stein gepackt.
Über Absagen von Premierengästen, die lieber Nikitin hören wollten, ist noch nichts bekannt.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion