Vollendeter „Parsifal“ in der Philharmonie mit dem RSO Berlin

Mit einem überwältigenden „Parsifal“ setzte Marek Janowski am Freitagabend seinen Berliner Wagnerzyklus fort. „Das Wesentliche ist die Musik“ wirbt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.
Titelbild
Foto: Felix Broede
Von 9. April 2011

Am Ende wurde der Maestro enthusiastisch gefeiert, den ganzen Abend hatte er sich als wichtigster Mann in völliger Zurückhaltung geübt und nichts anderes getan, als Chor, Orchester und die grandiosen Solisten zu höchstem Ausdruck zu führen.

Janowskis Wunsch, dem Publikum Wagner und die musikalische Tiefe des Werkes ohne störendes Beiwerk zu vermitteln, ging auf magische Weise in Erfüllung. Der zweite Teil des Konzertzyklus, wenn auch zur Osterzeit aufgeführt, war kein Standard-Parsifal, derer es so viele gibt. Nein, es wurde eine Sternstunde, die überwältigte und die nachklingen wird.

Geheimnisvolle Erlösungsmär

„Bühnenweihfestpiel“ nannte Wagner sein spirituelles Epos Parsifal, das auf mittelalterlichen Sagen basiert. Es verstörte seine Zeitgenossen und spaltet bis heute die Welt in Faszinierte und Verständnislose. Hatte der alternde Komponist hier seine Privatreligion kreiert?

Die Gralsritter hüten den Gral und pflegen damit eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, in der sich christliche mit buddhistischen Ideen vermischen. Ihre märchenhafte Welt bevölkern Personen mit sonderbaren Namen. Mit mehr oder weniger viel Weisheit und Bewusstsein streben sie alle – bis auf einen – nach dem Göttlichen und Guten.

Parsifal ist ein Auserwählter, der Irrwege und Prüfungen erlebt, bevor er zur Selbsterkenntnis gelangt und seine Aufgaben erfüllen kann.

Er besteht eine Prüfung auf Leben und Tod, indem er der Verführerin Kundry widersteht. Dadurch bringt er den Bösewicht zu Fall und gewinnt den heiligen Speer der Gralsritter zurück. Er kann den Gralskönig Amfortas erlösen, weil er dessen Fehler wieder gutgemacht hat und kann an seine Stelle treten. Mit den Worten „Erlösung dem Erlöser“ endet das Stück.

Sinfonie mit Singstimmen

Die exzellente Sängerriege konnte insgesamt mit außergewöhnlich guter Textverständlichkeit aufwarten und schilderte Wagners Charaktere mit enormem Engagement und Ausdruck.

Breit und sakral, als eine Sinfonie mit Singstimmen, legte Janowski seinen Parsifal an, der es im flüssigen Andante auf runde vier Stunden brachte. Ohne forcierten Pomp und Kitsch, aber mit Urgewalt und Drama an den nötigen Stellen. Alles war auf Wohlklang gebaut, selbst die ruppigen Motive, mit denen Kundrys Zerrissenheit geschildert wird, wusste Janowski in die Harmonie des großen Ganzen einzubetten. Sanft und satt wurde der Weltschmerz der Musik aus den Unisono-Bögen der Streicher entwickelt, deren Herz Celli und Bratschen bilden. Und auch die acht Kontrabässe leisteten Unbeschreibliches.

Einen absoluten Höhepunkt, schon wegen der Zahl der Beteiligten, bildeten die Chorszenen am Ende des ersten und letzten Teils. Der Rundfunkchor Berlin, einstudiert von Simon Halsey, sang lupenreine Klangwolken – auf drei Etagen verteilt. Trotz der transparenten und trockenen Akustik in der beinahe ausverkauften Philharmonie glückte eine sakrale Atmosphäre, gab es niemals Risse in den ausgedehnten Phrasen. Die Herren schafften es, der Gralsritterschaft Wucht, Würde und Verzweiflung zu verleihen.

Niemals deckte das Orchester die Sänger zu und geradezu unprätentiös, still und heimlich gestaltete Janowski die Aktschlüsse. Sekundenlanges Schweigen, nicht ohne ein gedachtes – „Wie, schon vorbei?“ – waren die Folge. Dies gab der Erlösungsmär etwas Parabelhaftes und Nüchternes. Janowski kam es hörbar nicht darauf an, die Zuhörer in Klangeffekte einzuwickeln, sondern ihnen die Figuren und ihre Schicksale nahezubringen.

Schlussapplaus für Michelle DeYoung (Kundry),Dirigent Marek Janowski, und Christian Elsner (Parsifal) und das Rundfunksinfonieorchester Berlin.Schlussapplaus für Michelle DeYoung (Kundry),Dirigent Marek Janowski, und Christian Elsner (Parsifal) und das Rundfunksinfonieorchester Berlin.Foto: Kai Bienert

Sagenhafte Sänger

Obwohl an diesem konzertanten Abend mit Notenständern und Wassergläsern ausgerüstet, agierte das Ensemble immer an der Grenze des Spiels. Es gab liebevolle Abstimmung der Kleider auf das Stück, weshalb die Blumenmädchen in verschiedenfarbigen Abendkleidern auftraten. Und Michelle DeYoung als Kundry durfte den dritten Aufzug mit ihrer schweigenden Präsenz erfüllen.

DeYoung setzte von Anbeginn auf Schönheit und weibliche Würde und verzichtete bis auf drei Naturlaute im dritten Akt auf Kundrys Schreie, diese blieben den Geigen überlassen.

Ihre Stimme gründete auf voluminösem Alt, den sie mit abgrundtiefer Trauer zu füllen verstand und endete in der Höhe als tremolierender Sopran. Sie meisterte die spitzen Höhepunkte und extremen Tonsprünge mit Bravour. Eine Idealbesetzung einer gebrochenen Frau, die gezwungen ist, abwechselnd Verführerin und Büßerin zu spielen.

Geradezu riesig mutete der Gurnemanz von Franz Josef Selig an. Er gab den alten Gralhüter mit sonorem Bass, der Wärme, Güte und Autorität ausstrahlte. In seinen langen Erzählungen wurde deutlich, wie intelligent Janowski die Balance zwischen leisen und lauten Tönen zu halten wusste, sodass die Sänger großen Raum fanden, ihre Rollen zu gestalten.

Christian Elsner war Parsifal. Er schaffte mit seinem strahlenden und silbrigen Tenor erfolgreich den Spagat, den seine Rolle fordert: Den „reinen Toren“ als unschuldigen Knaben und später als den selbstbeherrschten Helden und Gralskönig darzustellen. Im entscheidenden Zwiegespräch mit Kundry lief er zur absoluten Höchstform auf.

Nach wilder Schmerzensnacht nun Waldes Morgenpracht

Als wirklich königlicher Amfortas erschütterte Evgeny Nikitin: Er stellte den Gralskönig als Helden dar, der zu Fall gebracht wurde und sich gegen das Leiden wehrt. Kein schwacher Amfortas, sondern ein trotzig kraftvoller.

Eike Wilm Schulte hatte einen kurzen, aber prägnanten Auftritt als Bösewicht Klingsor, der mit Leichtigkeit über das Orchester hinwegsang und durch seinen kalten, zynischen Tonfall schaudern machte. Dimitry Ivashchenko gab den Titurel ebenso autoritär und makellos aus dem Hintergrund.

Der Rundfunkchor Berlin, einstudiert von Simon Halsey, sang lupenreine Klangwolken und wurde mit viel Beifall bedacht.Der Rundfunkchor Berlin, einstudiert von Simon Halsey, sang lupenreine Klangwolken und wurde mit viel Beifall bedacht.Foto: Kai Bienert

Clemens Bieber und Tuomas Pursio als Gralsritter, sowie Michael Smallwood und Timothy Fallon als Knappen, vervollständigten die Riege der Herren.

Gebettet auf einem betörend flirrenden Damenchor sangen die Blumenmädchen: Julia Borchert, Martina Rüping, Lani Poulson, Sophie Klußmann, Olivia Vermeulen, Ulrike Schneider verführten mit federleichten Höhen. Und auch hier glitt Janowskis Genius nicht ins Süßliche ab, sondern machte die Falschheit hinter der Fassade des Zaubergartens ebenso hörbar wie die Bitterkeit in Kundrys Kuss.

Es war das große künstlerische Verdienst Janowskis, dass bei ihm Schmerz und Erlösung, Gut und Böse stets gemeinsam präsent waren. Das machte seinen Parsifal zur packenden musikalischen Erfahrung voller Seelentiefe.

Das Publikum dankte den Künstlern für die monumentale Leistung mit stürmischem, wenn auch nicht sehr ausdauerndem Applaus. Chor und Orchester jubelten ihrem Dirigenten zu.

Es war ein Abend, zu dem sich alle beglückwünschen konnten.

Foto: Felix Broede

 



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