Wie lockt man die Instagram-Generation aufs Dorf? Wandgemälde der Älteren in Taiwan erregen Aufsehen

Graffitis der Älteren: Nachdem die Produktion von Taiwan nach China verlegt wurde, wanderten die jungen Leute ab. Zurück blieben die Alten. Nun fallen sie durch Graffitis auf und erste Touristen kehren ein.
Titelbild
Wu Tsun-hsien, 21. Mai 2019 in dem taiwanesischen Dorf Ruan Chiao.Foto: SAM YEH/AFP/Getty Images
Epoch Times10. August 2019

„Dieses Dorf ist voller alter Leute“, beklagt Wu Tsun-hsien. Sein Dorf, das ist das nebelverhangene Ruan Chiao am Fuß der Bergkette im Zentrum Taiwans. Auf der Suche nach Arbeit ziehen die Jungen in die Stadt. Doch der 55-Jährige wollte sich nicht mit dem einsamen und langweiligen Leben unter Alten abfinden. Sein Rezept dagegen: Graffitis.

Mit gebeugten Knien hockt Wu vor einem Wandgemälde, in der Linken die Farbdose, in der Rechten den Pinsel. Mit sorgfältigen Strichen vollendet er sein jüngstes Werk: Eine ländliche Szene mit Bauern inmitten ihrer Herden.

„Diese Gemälde ziehen viele Touristen an. Dadurch sind die alten Leute nicht mehr so gelangweilt – das ist das beste“, freut sich Wu. Früher arbeitete er als Gefängniswärter und Gärtner, heute schafft er die Kulisse für unzählige Selfies.

30. März 2019: Im Innenhof eines vom Hakka-Graffitikünstler Wu Tsun-hsien gemalten Hauses im taiwanesischen Dorf Ruan Chiao schläft ein Hund. Das Dorf Ruan Chiao liegt in den nebligen Ausläufern der zentralen Bergkette Taiwans und ist praktisch frei von jungen Menschen, aber Wu Tsun-hsien lockt die Instagram-Generation zur Rückkehr, indem er die lokalen Häuser in eine Farbfläche verwandelt. Foto: SAM YEH/AFP/Getty Images

An der Hauptstraße von Ruan Chiao reiht sich ein Graffiti ans andere. Wus Strategie hat Nachahmer gefunden. Mehrere entvölkerte Dörfer versuchen inzwischen, mit Kunst Besucher anzulocken. Die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans der vergangenen Jahrzehnte hat die demographische Struktur verändert.

Die lange verbreitete Heimarbeit sei verschwunden, sagt Shelley Rigger, Taiwan-Expertin am Davidson College in North Carolina. „Die Leute haben zum Beispiel Kleider für Barbiepuppen zu Hause genäht und dann zur Packstation in der Mitte des Dorfes gebracht.“

Die Produktion wurde nach China verlegt – die Dörfer vereinsamten

In Ruan Chiao stellten die Menschen Opfergaben aus Papier her, die in Tempeln verbrannt werden. In den 1990er Jahren wurden solche Produktionen nach China verlegt. „Von da an leerten sich die Dörfer“, sagt die Wissenschaftlerin. Wu hat das in seiner eigenen Familie erlebt: Ein Kind lebt in Australien, das andere in einer nahegelegenen Stadt. Zurück blieben seine Frau und er sowie die 81 und 72 Jahre alten Schwiegereltern.

„Die beiden wollen mit Menschen ins Gespräch kommen“, sagt Wus Frau Fan Ai-hsiu. „Darum geht’s bei den Graffitis, nicht ums Geldverdienen.“ Anfangs stieß die Idee mit den Wandgemälden auf wenig Begeisterung bei den Dorfbewohnern. „Die Leute sind ziemlich konservativ“, sagt Fan. „Aber schon als die ersten Bilder fertig waren, haben sie gemerkt, dass dadurch Leute kommen.“

Nahezu alles kann bemalt werden. Foto: SAM YEH/AFP/Getty Images

Bei den Gemälden im Dorf hält sich Wu an traditionelle Motive. Die Mauern an seinem eigenen Haus hingegen nutzt er für politische Statements: Szenen von Umweltzerstörung mahnen, etwas gegen den Klimawandel zu tun. In anderen Bildern kommt seine Ablehnung der Homoehe zum Ausdruck.

„Und in diesem Wandgemälde geht es um Korruption in der taiwanischen Gesellschaft“, erklärt Wu. Diese politischen Bilder sind die beliebtesten bei den Touristen; Fotos davon sind am häufigsten auf Instagram zu finden.

Wu Tsun-hsien in seinem Haus. Foto: Sam YEH / AFP

Evelyn Sun – Organisatorin von Kunstveranstaltungen in der Hauptstadt Taipeh – entdeckte Wus Graffitis in den Sozialen Medien. Mit Freunden fuhr sie nach Ruan Chiao und kam mit Wus Familie bei einem gemeinsamen Essen ins Gespräch.

Die 25-Jährige ist begeistert, vor allem davon, dass in den Bildern politische und soziale Probleme thematisiert werden. Sie hofft, dass sich mehr junge Leute auf in die Dörfer machen. „Denn die Menschen dort sind unsere Kultur, unsere Geschichte – wir müssen sie kennenlernen.“ (afp)



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