William Bouguereau und seine religiösen Werke
Obwohl William Bouguereau (1825-1905) für seine Bilder von Bauernmädchen und mythologischen Szenen bekannt ist, war er auch ein bedeutender religiöser Maler. Wie viele Katholiken verstand er seine künstlerische Arbeit als Verehrung Gottes und dessen großartigster Schöpfung, des Menschen. Bouguereaus Liebe zu Christus ist in seinen religiösen Gemälden klar erkennbar und ebenso deutlich wird beim Betrachten, wie viel Hingabe der Maler in diese Werke legte.
Sein Werk Vierge Aux Agnex, Gesang der Engel, aus dem Jahre 1881 hängt heute im Forest Lawn Memorial Park in Kalifornien. Es wurde bei einer Ausstellung im Getty Museum wiederentdeckt, wo das Originalwerk in voller Größe neben einer verkleinerten Kopie ausgestellt wurde. Die Präzision der Kopie, die ebenfalls vom Meister selbst stammte, überhaupt die Strahlkraft beider Werke, machten sie zu den beliebtesten Exponaten aller Getty-Ausstellungen überhaupt. Das Bild stellt die heitere Maria mit dem schlafenden Jesus, in freier Natur dar – mit drei musizierenden Engeln. Alle Figuren sind in zeitloser Perfektion gemalt.
Wenn Bouguereau Engel malte, verwendete er meist dieselbe Gestalt mehrere Male. In der „Pieta“ von 1876 sind von acht Engeln nur zwei verschiedene Individuen und in der „Regina Angelorum“ von 1900 sind alle einundzwanzig Engel von ein und demselben Mädchen dargestellt worden. Genauso beim „Gesang der Engel“.
Bourguereau war ein Perfektionist, er verwendete zum Beispiel von einem Modell die Hände, von einem anderen die Augen, die Haare gehörten einem dritten und so weiter. Er betrieb immensen Aufwand, um einen vollendet schönen Menschen zur Darstellung des Göttlichen abzubilden. Sobald er die Modelle dafür gefunden hatte, blieb er dabei. Das war auch seine Aussage über die Natur des Göttlichen; dass eine heilige Gegenwart sich so mächtig wie viele Seelen anfühlt, aber in Wahrheit es eine Macht ist. Die drei Engel in „Vierge Aux Anges“ werden zum Sinnbild der Heiligen Dreifaltigkeit. Die Mutter und das friedlich schlafende Kind zeigen keinerlei Vorahnung der kommenden Leiden.
„Die Geißelung Christi“ aus dem Jahre 1880, eines der Meisterwerke Bouguereaus, hängt heute im Baptisterium der La Rochelle Kathedrale in Frankreich. Der an eine Säule gefesselte Christus unterwirft sich seinem Schicksal. Seine Füße schleifen am Boden und der Kopf hängt hintenüber. Man sieht zwei Peitschen schwingende Männer in der Mitte, ein dritter kniet am rechten unteren Rand und bereitet Birkenruten für die nächste Stufe der Folter vor. Anders als die zwei schlagenden Männer oder der vierte Mann im Hintergrund scheint in dem Knienden ein gewisses Schuldbewusstsein für seine Taten zu erwachen, denn seine Hand hält inne inmitten der Bewegung.
Der Betrachter fühlt den Schmerz der Folter, da die Augen von Christus leer und sein Geist in einem anderen Raum zu sein scheinen. Die Menge im Hintergrund besteht aus Schaulustigen. Auf der linken Seite steht ein Bub, der sein Gesicht vor dem schrecklichen Anblick in den Rock seiner Mutter drückt. Rechts, gerade über dem Kopf von Christus, schaut ein auf den Schultern seines Vaters sitzendes Kleinkind mitfühlend auf ihn herunter. Inmitten der Menge schaut ein Bärtiger uns als Betrachter an, was uns direkt einbezieht. Möglicherweise ist der bärtige Mann mit den dichten Augenbrauen ein Selbstportrait, mit dem Bouguereau sich und die Betrachter zu Zeugen der Szene macht. Dieses lebensgroße Meisterwerk ist ebenbürtig mit den religiösen Werken Raphaels, Caravaggios oder Velázquez‘. Bouguereaus Beherrschung von Malerei, Detailzeichnung, Komposition, Perspektive und emotionalem Ausdruck stehen den Genannten in nichts nach.
Beim Betrachten von „Die Barmherzigkeit“ aus dem Jahre 1897 meint der Betrachter auf den ersten Blick, dass es sich um die übliche Darstellung von Christus am Kreuz handelt, vielleicht in Begleitung eines anderen Heiligen.
Das Bild thematisiert allerdings nicht nur das Ereignis, sondern es stellt symbolisch den Übertritt zum Christentum dar, der sich durch das Mitgefühl für das Opfer, das Jesus brachte, vollzieht. Der Mann, der seinen Kopf an die Brust von Jesus lehnt, repräsentiert den irdischen Menschen. Er zeigt das gleiche Mitgefühl und trägt das gleiche symbolische Kreuz und hat seinen Weg zu Christus und damit zu seiner Erlösung gefunden. Das Blut Christi fließt über seine Hand und bildet somit eine direkte Verbindung zwischen den beiden. Am oberen Ende des Kreuzes hängt ein Schriftstück mit den Worten „Jesus von Nazareth, König der Juden“ in Griechisch, Latein und Aramäisch. Obwohl Jesus in vielen Darstellungen an einer Bergspitze gekreuzigt wird, wählte Bouguereau ein ödes Land, was das Leben der Menschen vor ihrer Begegnung mit Christus symbolisieren soll. Das Bild zeigt die bedeutende Rolle der Religion im Leben des Malers. Bouguereau behielt es in seinem Privatbesitz und es verblieb in seinem Atelier, bis es kürzlich dem Museum d’Orsay in Paris geschenkt wurde.
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