Auf ein Neues

Ein Gastkommentar von Wolfgang Hilpert
Titelbild
„Binde deinen Karren an einen Stern“, sagte Leonardo da Vinci. Hier tun das Studenten in Manila beim alljährlichen Laternenfest am 15. Dezember. (Foto: ROMEO GACAD/AFP/Getty Images)
Von 4. Januar 2007
„Binde deinen Karren an einen Stern“, sagte Leonardo da Vinci. Hier tun das Studenten in Manila beim alljährlichen Laternenfest am 15. Dezember. („Binde deinen Karren an einen Stern“, sagte Leonardo da Vinci. Hier tun das Studenten in Manila beim alljährlichen Laternenfest am 15. Dezember. (Foto: ROMEO GACAD/AFP/Getty Images)

Es ist jedes Jahr dasselbe. Die ersten Januartage empfinde ich als „gefährlich“. Zu groß ist der Sog, sich über sich selbst zu täuschen. Ich meine jene Sackgasse, für die Erich Kästner ein schönes Bild gefunden hat:

Man soll das Jahr nicht mit Programmen

Beladen wie ein krankes Pferd.

Wenn man es allzu sehr beschwert,

bricht es zu guter Letzt zusammen.

Allein schon das Wort „neu“ hat für die meisten von uns einen eigentümlichen Reiz. Wir verbinden damit Hoffnung, zumindest Chancen. Es ist ja nicht nur die Werbung, die uns die Innovationen der Industrie anpreist. Nein, wir machen auch sozusagen Reklame vor uns selbst. In Momenten der Selbstprüfung, wie sie sich zum Jahreswechsel anbieten, etwa so: „Wenn ich auch im letzten Jahr mit meinen eingefahrenen Schwächen nicht recht weitergekommen bin, im neuen muss alles anders werden! Da will ich meinem alten Adam entschlossen den Kampf ansagen!“ Schon stellen sich die guten Vorsätze wie von selbst ein.

Der Volksmund bezeichnet gute Vorsätze als Pflaster auf dem Weg zur Hölle. Das ist sicher übertrieben. Aber wahr daran ist, dass sie allein nicht reichen. Wir brauchen mehr als psychische Aufschwünge – denen die Abstürze in der Regel bald folgen. Da hat Kästner einfach Recht. Die Arbeit an uns selbst ist gewiss sinnvoll, doch bedarf sie einer Orientierung, einer Dimension, die über sie hinausgeht. Nicht leicht zu sagen, worin dieses Mehr besteht. Es mag für jeden anders gefärbt sein. Aber ist es nicht so, dass wir alle uns sehnen nach einer Erfüllung, die weiter reicht, nach einem Sinn, der tiefer geht als der Kampf gegen unseren Schatten? Die weihnachtliche Erzählung von den Magiern, die sich aufmachten, dem erblickten Stern zu folgen, ist so etwas wie ein archetypisches Modell für das Aufscheinen jenes Mehr hinter den Wolken unseres Seins. Es ist wohl etwas Souveränes, das sich nicht verrechnen lässt.

„Binde deinen Karren an einen Stern“, sagte Leonardo da Vinci. Wäre es nicht etwas wirklich Neues, wenn wir geduldig in uns gingen und uns fragten, was dieser Stern für uns sein könnte?

Vielleicht finden wir die Antwort recht schnell, als warte sie schon auf uns. Es kann aber auch sein, dass wir uns auf einen längeren, sogar mühevollen Erkenntnisweg begeben müssen. Auch dann stünde das Neue Jahr unter einem guten Stern, und es fiele auf seinen Anfang ein freundliches Licht!



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