Boxen ist nicht einfach nur Draufhauen

Eine „Lehrstunde“ beim Weimarer Boxverein
Titelbild
Trainer Thomas Elke im Ring mit einem seiner Boxkadetten. (Foto: Steffen Andritzke)
Von 29. September 2006

Im Westen von Weimar liegt der Stadtteil, den die Bürger kurzerhand nach seiner Lage benannt haben: „Weimar-West“. Das ganze Viertel besteht aus Häusern der Plattenbauweise „Made in DDR“. Nicht eben gerade das, was man unter wunderschön versteht – aber funktional. Mittlerweile sind die Häuser hübsch angestrichen und es gibt kaum einen Unterschied zu Hamburg-Wilhelmsburg oder Neukölln in Berlin – nur eben alles viel kleiner.

Etwas am Rand und früher völlig unbeachtet steht ein altes Trafohäuschen. Eigentlich war es einmal ein Trafohäuschen, denn jetzt ist es die neue Heimat des „Weimarer Boxvereins“.

Leiter und Cheftrainer der Weimarer Faustkämpfer ist Thomas Elke. Schon während seiner aktiven Zeit als Boxer ist er in den Trainerjob hineingewachsen und hat neben seiner Lehre als Maler seine Ausbildung zum Trainer absolviert.

Als Maler hat er nie wirklich gearbeitet, denn gleich nach der Beendigung seiner Lehre wurde er von der Firma Talsperrenbau als Boxtrainer unter Vertrag genommen. Schon damals trainierte er zwei Trainingsgruppen täglich. Nach der Wende und der daraus resultierenden Auflösung seines Trainervertrages stand er dann vor dem Nichts und war gezwungen, sich als Taxifahrer sein Geld zu verdienen. Trotzdem trainierte er nach Feierabend weiterhin noch seine Jungs in den Kellerräumen einer Schule.

Der Neubeginn in der alten Trafostation

„19 lange Jahre haben wir dort trainiert, bis ich diese alte Trafostation bekam. Sie war total heruntergekommen und rundherum völlig verwildert. Für den Umbau haben hier insgesamt fast 40 Leute ein Vierteljahr gebraucht. Wir haben 15 große Container Schutt wegschaffen müssen und 300 Säcke Estrich verbraucht. Die waren damals gerade im Angebot. Ein Euro pro Sack – da haben wir natürlich gleich zugeschlagen.“

Erfolgreich zuschlagen konnte der mittlerweile 38-Jährige auch schon als aktiver Boxsportler im Ring: er war DDR-Mannschaftsmeister, DDR-Vizemeister und 10-facher Bezirksmeister. Er hat das Boxen von der Pike auf gelernt „Boxen ist nicht einfach nur Draufhauen. Boxen ist viel mehr. Boxen ist vor allem die Kunst sich selber nicht treffen zu lassen; Boxen ist Technik, Boxen ist Taktik, Körperbeherrschung, Schnelligkeit und vor allem eine gute Ausbildung in den Techniken der Grundschule.“

Nach Meinung von Cheftrainer Elke ist nach der Wende das technische Boxen und taktische Verhalten im Ring immer mehr in Vergessenheit geraten. „Heute wird vorrangig nur auf das spektakuläre „Umhauen“ des Gegners spekuliert. Es scheint so, als ob es kaum noch jemanden interessiert, dass man aber gerade damit die Jungs kaputt macht.“

Selbstbewusstsein und eine Perspektive

Knapp 60 Jungs trainiert er mit seinem vierköpfigen Trainerteam derzeit und der Erfolg gibt ihm Recht. Bei den Thüringer Landesmeisterschaften im Kinderbereich konnten die Weimarer Faustkämpfer 12 Titel von 16 zu vergebenden nach Weimar-West holen, in der Jugend- und Juniorenmeisterschaft wurden von 16 Startern 15 Meister und der WBV wurde beste Mannschaft. Dies freut Cheftrainer Elke jetzt besonders, denn seiner Meinung nach wurde in der letzten Zeit von so manchem ganz vergessen „dass wir hier im Osten vor der Wende im Boxsport auch schon sehr gute Leistungen erbracht haben.“

„Nach der Wende gab es dann einen ‚Knick’. Viele interessierten sich jetzt mehr für Computerspiele und Skateboard fahren. Weil keiner mehr nachkam, habe ich mir etwas einfallen lassen: ich gründete Arbeitsgemeinschaften in Schulen und durch diese AGs entstand das Interesse am Boxsport dort wieder neu. Dazu kam, dass es sich wieder herumsprach, dass hier ordentlich trainiert wird und durch die Mundpropaganda kamen wieder immer mehr Jungs zum Boxen.“ Sein Anspruch ist es, die Kinder und Jugendlichen über Spiele und koordinative Übungen an den Boxsport heranzuführen. „Ich möchte den Kindern wieder Spaß am Sport, Selbstbewusstsein und eine Perspektive geben.“

Nachhilfeunterricht im Boxverein

Es verwundert nicht, dass es mittlerweile in Weimar Schulen gibt, die bei ihm anfragen, ob der Weimarer Boxverein Trainer an die Schulen schicken kann, um den Schülern das Boxen und die dazugehörige Disziplin beizubringen.

Sogar das Verwaltungsschulamt kennt Trainer Elke mittlerweile und hat grünes Licht für derlei Aktivitäten gegeben. Grund des Vertrauens ist nicht allein die fachliche Kompetenz des Trainers im Boxsport. Schon jahrelang steht Trainer Elke in ständigem Kontakt mit den Lehrern und Eltern seiner jungen Athleten – es ist auch schon vorgekommen, dass er selbst bei seinen Boxern im Unterricht hospitiert hat um sich ein Bild zu machen, wie sich seine Jungs in der Schule verhalten. Dazu kommt, dass immer freitags alle Boxer ein Heftchen beim ihm vorlegen müssen, in dem die Lehrer eingeschrieben haben, wie sich die jungen Boxer in der vergangenen Woche in der Schule geführt haben und in welchem Fach sicherheitshalber Nachhilfe gegeben werden sollte. Montags vor jedem Training gibt es dann in der Halle des Weimarer Boxvereins Nachhilfeunterricht und es wird so lange gepaukt bis alles sitzt.

Teamarbeit für ein Mammutprogramm

Aber das Engagement um seine Jungs ist hier noch nicht zu Ende. „Ich habe auch im Laufe der vielen Jahre Kontakte zu ein paar Firmen aufgebaut, bei denen ich mich für meine Boxer einsetze. Wenn ich dort anrufe und denen sage: einer meiner Jungs braucht ein berufsvorbereitendes Jahr oder er findet keine Lehrstelle, sagen die: klar, kein Problem, das ist einer von dir, den nehmen wir, der ist ordentlich erzogen und hat auch den Willen Leistung zu erbringen.“

 „Allerdings“ fügt Thomas Elke gleich hinzu, „würde ich es nicht ohne die zuverlässige Mitarbeit von meinem Co-Trainer Andre Izmajlov und der anderen Trainer schaffen. Deren Einsatz macht es erst möglich, gemeinsam so ein Mammutprogramm täglich bewältigen zu können. Es geht nur, wenn wir alle Hand in Hand arbeiten und wenn ich dafür sorge, dass hier unter den Boxern Disziplin herrscht.“

Aber nicht nur allein auf Disziplin wird hier geachtet: auch Pünktlichkeit und Freundlichkeit wird von jedem hier gefordert. „Kommt hier einer zu spät, sag ich nur einmal etwas dazu, beim zweiten Mal kehrt er draußen den Hof. Diese Disziplin ziehe ich durch, denn wenn ich mich hier auf keinen verlassen könnte und jeder kommen und gehen würde, wie er gerade will, würde das ganze Konzept von mir überhaupt nicht funktionieren.“

Der gute Ruf muss gewahrt werden

Jeden Montag zur Trainerberatung müssen alle Trainer dem Cheftrainer Elke einen konkret ausgearbeiteten Trainingsplan für die kommende Woche vorlegen. Nichts wird hier dem Zufall überlassen. Jeder muss mitziehen. Auch die Trainer. Die Athleten sowieso: „Ich habe auch schon einen guten Boxer von mir rausgeschmissen. Der hatte bereits mehrere Turniere gewonnen. Den hatte ich mehrmals schon verwarnt. Dann hab ich den vorm Getränkebasar mit Bier und Kippen gesehen, wie er vor jungen Mädels große Reden geschwungen hat – da hab ich ihn dann tatsächlich rausgeschmissen. Ich kann mir das einfach nicht leisten, dass sich hier einer meiner Jungs trotz mehrmaliger Ermahnung in der Öffentlichkeit so benimmt.“

„Letztens kam hier einer rein und sagte: ich will boxen. Ich hab ihm gesagt, er kann zum Anfängertraining kommen und dann sehn wir mal weiter. Da sagt der Typ: ich boxe gut auf der Strasse – ich geh doch nicht in die Anfängergruppe. Da hab ich meinen Sohn mit ihm in den Ring steigen lassen … Dreimal ist der Typ in der ersten Runde in die Knie gegangen. Kann sein, dass der spontan die Lust verloren hat“, sagt Thomas Elke leicht grinsend, „denn der kam dann nie wieder. Ich  muss wirklich aufpassen das ich mir nicht durch solche Leute, die sich nur auf der Straße schlagen wollen, meinen Ruf verderben lasse.“

„Bei mir sind sie alle gleich …“

Elke ist nun offiziell als Cheftrainer und Hallenwart  bei den „Stadtwerken / Stadtwirtschaft Weimar“ angestellt und hat aus dem alten Trafohäuschen mit viel Mühe und Engagement eine exzellente Trainings- und  Begegnungsstätte für die Weimarer Boxer gemacht. Auch sein Vater und sein Opa waren schon Box-Trainer – eine solche Halle hatten sie allerdings nicht. „Mit dieser Boxhalle habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt und ein Zuhause für mich und die Jungs geschaffen. Das ist allerdings auch sehr viel Arbeit und es kostet manchmal auch viele Nerven. Vor allem mein Familienleben leidet darunter“, sagt der Vater von drei Kindern. „Letztes Jahr hab ich drei Wochenenden frei gehabt, dieses Jahr erst zwei – das darf  nicht mehr passieren, sonst macht das meine Lebensgefährtin eines Tages auch nicht mehr mit.“

Der Weimarer Boxverein hat aber nicht nur eine sportliche Bedeutung, denn er leistet im Stadtteil Weimar-West auch eine äußerst wichtige Integrationsarbeit zwischen unterschiedlich orientierten Jugendgruppen, zwischen Deutschen und Aussiedlern. Auf diese Arbeit angesprochen sagt Thomas Elke in der ihm eigenen Art: „Integration? Ach, das sind doch irgendwie alles meine Jungs! Da mache ich keinen Unterschied. Egal wo sie herkommen, ich hab sie alle gleich gern. Bei mir sind sie alle gleich …“                                  



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