Der Geist in der Flasche
Vor mir sitzt ein Mann mittleren Alters mit offenem, freundlichen Lächeln und Schmunzeln im Blick. Nennen wir ihn Paul. Er sagt: „ Mir geht es heute gut, mit meiner Familie läuft alles rund, Schwierigkeiten meistern wir gemeinsam im Gespräch. Am Arbeitsplatz arbeite ich zuverlässig und habe aus Kollegen Freunde gemacht.“ Dann wird er ernst: „Vielleicht ist das erst möglich, wenn man im Leben Einmal–Hölle–und –Zurück gebucht hatte. Ich bin Alkoholiker und seit 22 Jahren trocken. Es ist nicht einfach, da noch einmal raus zu kommen. Ohne Hilfe hätte ich das niemals geschafft. Zum Glück habe ich aber damals schon Leute gefunden, denen es genauso ging wie mir und die mir glaubhaft versichern konnten, dass es sich lohnt. Sonst wäre ich schon lange tot.“
Wovon Paul spricht, ist die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker, kurz AA genannt. Entstanden aus einem zufälligen Treffen eines versoffenen Arztes, Dr. Bob und eines heruntergekommenen Börsenmaklers, Bill W., am 12. Mai 1935. Sie schütteten einander ihr Herz aus und stellten hinterher fest, dass sie beide durch dieses Gespräch an diesem Abend der Sucht, auch Saufdruck oder „Craving“ genannt entkommen waren. Das war für die beiden vollkommen neu und unerklärlich. Sie wiederholten dies mehrfach erfolgreich und stellten fest, dass sie dann nicht trinken mussten, wenn sie mit einem Leidensgenossen offen und ehrlich über das Trinken und ihre Unfähigkeit, damit willentlich aufzuhören, sprachen.
AA findet man weltweit
So begann alles. Schnell bildeten sich Gruppen. Sie sorgten gegenseitig dafür, dass sie wieder Wohnraum, Brot und Arbeit fanden und ihr großer Erfolg für ein bislang unlösbares Problem brachte ihnen auch die Anerkennung der konservativen Gesellschaft Amerikas. Nelson Rockefeller sagte bei einem für die AA gegeben Essen im NY Unions Club 1940: „Die Kraft liegt in der Tatsache, dass ein Mitglied die gute Botschaft zum nächsten trägt, ohne Gedanken an finanziellen Gewinn oder Belohnung.“ So war ihnen die moralische Unterstützung gewiss, wenn auch finanzielle Hilfen ausblieben. AA nimmt auch heute noch keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren und ist mit keiner Institution, Partei oder staatlichen Einrichtungen verbunden und erhält sich ausschließlich selbst durch eigene Spenden.
AA findet man weltweit, in jeder größeren Stadt, in jedem Telefonbuch. Eine ganze Reihe weiterer Selbsthilfegruppen haben sich auf Basis der „12 Schritte und 12 Traditionen“ herangebildet, für Freunde und Angehörige, für Kinder, für Suchtkranke und Spieler und vieles mehr. An den Grundsätzen hat sich allerdings nichts geändert, sie sind geistiger Art und helfen den Erkrankten wieder zufriedene, nützliche Menschen zu werden. Viele Nicht-Alkoholiker berichten, dass sie mit diesem Programm mit anderen Lebensproblemen fertig geworden sind und dass es mehr bewirken kann als Nüchternheit für Problemtrinker.
Wunder sind möglich.
Es gibt im Hauptwerk „Big Book“ oder „Blaues Buch“ genannt ein Kapitel mit der Überschrift „Wir Agnostiker“ in dem der Weg aus der Verzweiflung des verlorenen oder nie erlernten Glaubens und daraus resultierender Respektlosigkeit dem Leben gegenüber aufgezeigt wird. Es führt auf einem steinigen und meist harten Weg zurück ins Mensch-Sein zu Wahrheit, Liebe und Toleranz. All dies muss aber neu erlernt werden und das geschieht am besten mit Hilfe einer Gruppe von Menschen, die ähnliches erlebt und ebenfalls geistige Gesundheit als Ziel haben und bereit sind, diese Wahrheit mit anderen Menschen zu teilen.
Sicher einer der besten Ratschläge, kleine Schritte zu machen und immer nur 24 Stunden lang aushalten zu wollen, denn der Feind im eigenen Kopf nutzt jede Lücke gnadenlos aus um aus der Suche nach dem Menschsein und nach der Verbindung zu einer höheren Macht wieder Abhängigkeit und Sucht zu machen. Es ist eine wahrhaftig große Leistung, die nur der wirklich zu schätzen weiß, der sie erlebt hat. Sicherlich ist jeder trockene Alkoholiker oder jeder, der suchtabhängig war ein lebendiges Beispiel für die Existenz von Gnade. Wunder sind möglich.
Kraft, die aus dem Innern kommt
Im medizinischen Sinne hört sich das bei „Professor Dr. med. Jobst Böning, dem Vorsitzende der DHS, heute so an: „Erst langsam werden die Zusammenhänge von körperlicher und seelischer Abhängigkeit wissenschaftlich besser verstehbar. Gerade die psychische Abhängigkeit ist ein Lernprozess im menschlichen Gehirn. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf.“ Weiterhin liest man bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen folgendes: Exzessive Verhaltensweisen führen bei zu vielen Menschen zu verhaltensbezogenen Störungen. Sie führen zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung. Unabhängig von der Frage, ob es sich um eine Sucht handelt oder nicht, muss Hilfesuchenden ein Angebot zur Verhaltensänderung und zur Bearbeitung der verhaltensbezogenen Störungen gemacht werden.“
Die Kraft der AA entstand aus dem verzweifelten Wunsch der Betroffenen zu ihrem wahren Sein zurück zu kehren. So etwas muss aus dem Inneren kommen und kann niemals von außen erzwungen werden.
Erstmals findet ein deutschsprachiges Ländertreffen der AA im Saarland statt. Gleichzeitig feiert AA das 70jährige Bestehen weltweit.
Termin: 6.-8. Mai 2005, Saarbrücken, Saarlandhalle, Camphauser Straße
Anonymität: Fotografieren sowie Film- oder Video-Aufnahmen am Veranstaltungsort sind nicht gestattet (12. Tradition). E-Mail: [email protected]
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