Elke Heidenreich über Oper und mehr

Titelbild
Elke Heidenreich und Christian Schuller - begeistert von und für Opern.Foto: MH
Von 5. November 2012

 

Die Kölner Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Moderatorin Elke Heidenreich ist seit Jahrzehnten in Sachen Literatur und Musik unterwegs. „Ich bin immer missionarisch“, sagt die 69-Jährige über sich. Gerade hat sie Christian Thielemann für eine Fernsehdoku interviewt. Seit der neuen Spielzeit ist sie „Kolumnistin in Residence“ des Magazins „Semper!“ der Dresdner Semperoper. Begeisterung für die Oper zu wecken, ist eines ihrer Lieblingsthemen.

Epoch Times: Frau Heidenreich, wann haben Sie angefangen, Opern bewusst wahrzunehmen?

Elke Heidenreich: Mit sechs, sieben Jahren, als ich noch klein war. Mit Dreizehn war ich das erste Mal in der Oper und bin seitdem Opernfan. In jeder Stadt, in der ich bin, bleibe ich einen Tag länger und gehe in die Oper. So habe ich auch die verstorbene Intendantin der Semperoper, Ulrike Hessler, in München kennengelernt. Ich habe die Oper immer geliebt. Mein Beruf ist die Literatur, aber meine Liebe ist die Musik. Ich konnte glücklicherweise beides verbinden.

Epoch Times: Wo sehen Sie die Aufgabe der Oper heute?

Heidenreich: Ich finde, die Oper ist ein ganz wunderbares Gesamtkunstwerk aus Literatur, Musik und Bühnenbild. Tolle Sänger, ein großes Orchester – das ist etwas, das unbedingt schützenswert ist. Zubin Mehta sagte einmal an die Adresse der Europäer: „Die Oper ist Eure Musik, sie bewahrt Eure archaischen Kräfte. Ohne die Oper würdet Ihr alle Amerikaner.“

Ich sehe mit Entsetzen, dass in Zeiten der Krise, die wir zweifellos haben, immer als erstes an der Kultur gespart wird. Das halte ich für fundamental falsch. Denn die Kultur, die Bücher und die Musik sind unsere Wurzeln. Wenn wir die haben, sind wir stark und können auch andere Dinge bewältigen. Wenn man uns das nimmt, sind wir nichts mehr – nur noch arme Würstchen, die arbeiten.

Ich finde ganz wichtig, dass der Mensch Atempausen hat, die mit Büchern, Musik und Malerei zu tun haben, damit er sich erholen und Kraft tanken kann, um wieder weiterzumachen. Es ist ganz wichtig, auch etwas zu machen, das nicht der Gewinnmaximierung, dem Konsum und dem „Noch-Reicherwerden“ dient, sondern dem Aufladen der eigenen Batterie.

Darum habe ich auch die „Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann“ herausgegeben, 40 Bücher nur über Musik und Musiker. „Das Bastardbuch“ von Hans Neuenfels ist auch darunter, das von der Zeitschrift Opernwelt gerade zum Buch des Jahres gekürt wurde. Neuenfels, der eigentlich Schauspielregisseur war, erzählt darin seinen Weg zur Oper. Er hat inzwischen fast 40 Opern inszeniert und beschreibt, wie das kam und wie viel kraftvoller, leidenschaftlicher und gewaltiger er die Oper findet. Für mich eines der schönsten Bücher, die ich herausgegeben habe.

Und auch das Buch des Neurowissenschaftlers Daniel Levitin ist darunter, der erklärt, was Musik im Gehirn bewirkt und wie wichtig sie für den Intellekt ist, weil sie ganz viel mit uns macht – eben nicht nur auf der Gefühlsebene. Es muss nicht Oper sein, es kann auch ein Konzert oder ein Streichquartett sein, aber ich finde die Oper am kraftvollsten und am leidenschaftlichsten. Da passiert alles. Ich möchte sie nicht missen und könnte gar nicht ohne …

Epoch Times: Was werden Sie in der Kolumne für „Semper!“schreiben?

Heidenreich: Ich versuche, mich immer thematisch am Programm zu orientieren. Das hat natürlich mit Musik zu tun, aber auch ganz allgemein mit Kunst, mit dem Leben, mit dem, was uns diese Stücke sagen wollen.

Epoch Times: Sie verbinden Literatur und Musik und sind eine Persönlichkeit, die sagt: „Ich möchte den Menschen erklären, warum wir das brauchen.“

Heidenreich: Ja natürlich! Ich mache das ja nicht nur für mich oder l’art pour l’art; ich bin immer missionarisch, in allem was ich tue. Genau wie mit meiner Sendung „Lesen!“. Ich wollte, dass die Leute lesen und ihnen sagen, was sich zu lesen lohnt. Auch Anfängern, die Angst vor komplizierter Literatur haben. Das ist mir gelungen. Und deshalb sage ich auch: „Geht in die Oper! Ihr braucht kein Brokatkleid und kein passendes goldenes Täschchen; das ist etwas ganz Normales. Und dann taucht zwei Stunden ab und schaut Euch dieses wunderbare Geschenk an. Danach seid Ihr gerettet.“

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Epoch Times: In vielen Fällen kann das helfen …

Heidenreich: Die Scheu vor der Oper ist oft einfach Unwissen, Nichtwissen, was es Schönes gibt und Angst davor. Ich war neulich mit einem jungen Punker in der Oper. Er hat selbst eine Band und war noch nie in einer Oper. Danach war er fassungslos – wie selig. Und seitdem geht er regelmäßig. Wer als junger Mensch nicht hingeführt wird, der hat Berührungsangst.

Ich habe an der Kölner Kinderoper zwölf Jahre lang mit Christian Schuller gearbeitet, von 1996 bis 2008.

Wir haben nicht die üblichen Kinderopern gemacht, sondern Märchenopern, deren Inhalte Kinder verstehen, zum Beispiel „Die Nachtigall“ von Strawinski, „Das Kind und der Zauberspuk“ von Ravel oder „Das geheime Königreich“ von Ernst Křenek. Weil Kinder maximal eine Stunde Aufmerksamkeit aufbringen, habe ich die Libretti gekürzt. Mein Freund Marc-Aurel Floros hat sie musikalisch bearbeitet. Seine Aufgabe war es, eine 80-Mann-Orchestrierung zu reduzieren, weil wir räumlich maximal 16 Musiker unterbringen konnten.

Durch die Kinderoper geschahen dann regelrecht Wunder, denn die Kinder kommen ja nicht alleine, sondern mit ihren Eltern. Viele Eltern waren auch noch nie in der Oper und wurden mit diesem Medium konfrontiert, weil sie ihren Kindern etwas bieten wollten. Die Kinder haben die Stücke ganz einfach aufgenommen, auch moderne Musik. Die brauchen keine Melodien, sondern eine Geschichte, die sie fesselt.

Die Kinderoper hat fast jeden Tag gespielt und ihre 120 offiziellen Plätze waren immer ausverkauft – auf sechs Wochen im Voraus. Meistens saßen dort 150 Leute. Ganze Schulklassen hatten Dauerabonnements, um keines der insgesamt 20 Stücke, die Christian Schuller über die Jahre inszeniert hat, zu verpassen, er war ein Meister darin, mit wenig Geld große Magie auf die Bühne zu zaubern. Es gab wunderschöne Bühnenbilder und es war nie zum Mitmachen wie im Schultheater. Nein, man musste still sein, es war dunkel und das Geheimnis und das Märchen blieben erhalten. Das hat die Kinder fasziniert. Danach sind sie auch in die große Oper gegangen. Innerhalb von zwölf Jahren wurden aus 200 Schüler-Abos in der großen Oper fast 2.000 Schüler-Abos. Das hat sich also verzehnfacht!

Durch die Kinder waren auch ihre Eltern gekommen – nach der Devise: „Jetzt wollen wir mal abends gucken, wie das ist.“ Die sah ich dann bei „La Traviata“ wieder und dachte: „Jawohl, wir haben’s geschafft und wieder ein paar rübergeholt!“

Epoch Times: Das ist eine ganz bemerkenswerte Geschichte.

Heidenreich: Es gibt übrigens ein sehr schönes Buch von Christian Schuller und mir, das diese Zeit der Kölner Kinderoper in Bild und Text dokumentiert. Es ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen und heißt „Das geheime Königreich“.

Das Interview führte Rosemarie Frühauf.


„Das geheime Königreich. Oper für Kinder“

von Elke Heidenreich und Christian Schuller. 208 Seiten. 2007 erschienen beim Verlag Kiepenheuer & Witsch

ISBN 3462039598



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