Hart aber fair – TV-Kritik – Plasberg fragt: Vereint aber fremd – zwei Deutschlands unter einem Dach?

Titelbild
Hart aber fair: Matthias Platzeck, Uwe Steimle, Klaus Meine, Julia Klöckner, Ines Geipel, Frank Plasberg (v.l.n.r.)Foto: Screenshot DAS ERSTE/ ETD
Von 4. November 2014

Vielleicht hätte man einen ausländischen Korrespondenten einladen sollen, um die Frage in "Hart aber fair" zu beantworten: "Vereint aber fremd – zwei Deutschlands unter einem Dach?"  Denn bald nach der Wende bemerkte schon ein solcher Beobachter: "Leider sprechen die Bewohner in beiden Teilen des wiedervereinten Landes dieselbe Sprache. Dadurch glauben sie, dass sie auch dasselbe meinen. Bei verschiedenen Sprachen müssten sie sich viel mehr Mühe geben, einander zu verstehen."

So war es denn auch eher peinlich, dass Frank Plsberg gleich zu Beginn der Sendung fragte, ob und woran man Unterschiede zwischen den ehemaligen DDR-Bewohnern und denen aus dem Westen erkennen könne. Es gab reichliches Gedruckse bei der Beantwortung und natürlich die ersten Bewertungen. Der sächsische Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle sprach vom unterschiedlichen Denken und Fühlen, ohne es definieren zu können. Im Osten hätte es eben ein Zusammenhaltsgefühl gegeben, geboren aus einer Notgemeinschaft, während der Westen eher einen hohen Individualisierungsgrad erreicht hätte.

Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz, stellvertretende Parteivositzende der CDU, war bei der Wende gerade mal 16 und konnte und kann – oder will – Ossis und Wessis gar nicht unterscheiden, sie lobte politisch unanfechtbar "die Vielfalt". Matthias Platzeck, SPD, ehemaliger Ministerpräsident von Brandenburg, meinte, dass die Sozialisation länger fortwirke, als er es gedacht hätte, und bezeichnete den Osten als kooperativer und den Westen als konfrontativer. 

Klaus Meine, Scorpions-Sänger, der 1989 den Wende-Song ‚Wind of Change‘ geschrieben hatte, meinte, dass wir immer noch zusammenwachsen und dass Ossi und Wessi einfach abgeschafft gehören. Dagegen findet Ines Geipel, ehemalige Spitzensportlerin der DDR, Buchautorin: Generation Mauer, Kämpferin für Opfer des DDR-Zwangsdopings, es großartig, dass die Menschen jetzt endlich sprechen, es gäbe viele neue Bücher mit neuen Erkenntnissen: "Nach ’89 wurden die Wunden ja überhaupt erst freigelegt, die die Staatsmacht der DDR vielen geschlagen hatte."

Und während Steimle immer wieder seine schönen Kindheitserinnerungen in der DDR verteidigte – aber er wolle auf keinen Fall die DDR wiederhaben – und sich dagegen wehrte, dass DDR und Nazideutschland in einen Topf geworfen würden, beschwichtigte Platzek mit Beschwörungen der demokratischen Tugenden der Toleranz und Akzeptanz. Danach hätte man jetzt zu leben. Die Stasi hätte für 90 Prozent (!) der Bevölkerung keine Rolle gespielt und mit der Frage an ehemalige DDR-Bewohner wie "Warste dafür oder warste dagegen?" käme man nicht weiter, "so erklärt man Leben nicht".

Frau Klöckner sprach über die Erschossenen an der Mauer und Meine legte nach mit der Erinnerung an den 18-jährigen Peter Fechter, der angeschossen bei einem Fluchtversuch an der Mauer verblutete. Aber Steimle bekannte, dass die Nationalhymne der DDR ihm immer noch die Tränen in die Augen triebe. Etwas peinlich geriet dann Julia Klöckners Verteidigungsrede von Helmut Kohls großer Leistung bei der Wiedervereinigung. Der Anteil der ostdeutschen friedlichen Revolution schien ihr nicht so bedeutsam zu sein. Sie bezog sich auf die jüngst verbreiteten Kohl-Zitate, die Plasberg eingespielt hatte.

Keine Aufarbeitung der Schuld 

Substanziell waren die Einlassungen von Ines Geipel dazu am bemerkenswertesten, als sie zunächst die 70.000 Teilnehmer der Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 ins rechte Licht rückte, weil ohne deren Einsatz und Anschub die Mauer nicht so schnell gefallen wäre. Ihr Mut wäre ansteckend gewesen. Aber sie verwies auch auf die Versäumnisse der jetzigen gesamtdeutschen Gesellschaft, die diejenigen alleingelassen habe, die nach der Wende nicht mit ihren körperlichen oder psychischen Verletzungen zurechtkamen. Es hätte auch niemals jemand wirklich Schuld auf sich genommen, also eine sogenannte Aufarbeitung sei bisher nicht geschehen.

Durch Plasberg dazu aufgefordert, berichtete sie, wie sie laut Stasiakten als Sportlerin "auf Eis gelegt" wurde. Sie hatte ihre Fluchtpläne Anfang der achtiger Jahre einem vermeintlichen Freund anvertraut, der sie sofort verriet. Eine Blinddarmoperation wurde genutzt, um ihr im Bauchraum schwere Verwundungen zuzufügen, die allen sportlichen und sonstigen Plänen ein Ende setzte. Eine große Narbe zog sich quer über ihren Bauch. Erst 20 Jahre später hat ein Chirurg in Berlin diese Ungeheuerlichkeit wegen schmerzhafter Bescherden wieder geöffnet, das Geheimnis gelüftet und in einer achtstündigen Operation "die innere Ordnung" wiederhergestellt. 

Verständlich, dass sie, ebenso wie der Bundespräsident Gauck, große Bedenken hat, wenn in Thüringen ein Mitglied der "Linke", in deren Reihen noch alte Genossen mitarbeiten, zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Platzeck beschwichtigte und erinnerte an den Slogan: "Keine Gewalt". Er stellte fest: "Wenn wir als Gesellschaft dazu nicht in der Lage sind, dann funktioniert es nicht mit der Demokratie."

Eine Diskussion, die auf die Eingangsfrage von Plasberg "Vereint aber fremd – zwei Deutschlands unter einem Dach?" den Schluss zuließ, dass wir zwar immer noch "zwei Deutschlands vereint unter einem Dach sind", und dass wir anders ticken, aber einander gar nicht nur fremd sind. Es lohnt sich, solche Gespräche zu vertiefen und das nicht den Enkeln zu überlassen. 

Tagesschau vom 10. November 1989, ein Tag nach Mauerfall:

WIEDERHOLUNGEN:

Dienstag, 04.11.2014

  • WDR: 08:45 Uhr
  • 3sat: 10:15 Uhr
  • tagesschau24: 20:15 Uhr

Mittwoch, 05.11.2014

  • MDR: 02:40 Uhr

Hart aber fair in der MEDIATHEK



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion